„Was die israelischen Streitkräfte im belagerten nördlichen Gazastreifen tun, darf nicht weitergehen.
Krankenhäuser wurden angegriffen, medizinisches Personal festgehalten und Ersthelfer daran gehindert, die unter den Trümmern eingeschlossenen Menschen zu retten. Notunterkünfte wurden gestürmt und niedergebrannt... Familien wurden getrennt und Männer und Jungen in Lastwagen abtransportiert.
Berichten zufolge wurden Hunderte von Palästinenserinnen und Palästinensern getötet. Zehntausende von Menschen wurden erneut vertrieben.
Die gesamte Bevölkerung des nördlichen Gazastreifens ist in Gefahr zu sterben.
Diese eklatante Missachtung grundlegender Menschenrechte und der Gesetze des Krieges muss aufhören.“
Joyce Msuya, stellvertretende Generalsekretärin für humanitäre Angelegenheiten und UN-Nothilfekoordinatorin, 26. Oktober 2024
„Israel hat eine konzertierte Politik zur Zerstörung des Gesundheitssystems im Gazastreifen als Teil eines umfassenderen Angriffs auf den Gazastreifen betrieben und dabei Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Vernichtung gegen die Menschlichkeit mit unerbittlichen und vorsätzlichen Angriffen auf medizinisches Personal und Einrichtungen begangen.“
Untersuchungsbericht der Vereinten Nationen, 10. Oktober 2024
„Die israelische Armee schießt direkt auf das Krankenhaus, sie haben es von allen Seiten umstellt. Die Situation im Inneren des Krankenhauses ist katastrophal. Die Patienten sterben vor unseren Augen, wir können nichts tun, uns fehlen die Mittel.“
Dr. Hussam Abu Safiya, Direktor des Kamal Adwan Krankenhauses, 25. Oktober 2024
„Mir fehlen einfach die Worte.“ Dr. Mohammed Obeid, Orthopäde bei Ärzte ohne Grenzen, berichtete am 23. Oktober über die Situation im Kamal Adwan Krankenhaus im nördlichen Gazastreifen, das zu diesem Zeitpunkt von der israelischen Armee beschossen und belagert wurde:
"Im Kamal-Adwan-Krankenhaus und im nördlichen Gazastreifen gibt es den Tod in allen Arten und Formen. Die Bombardierung hört nicht auf. Die Artillerie hört nicht auf. Die Flugzeuge hören nicht auf. Es gibt schweren Beschuss, und auch das Krankenhaus wird beschossen. Es sieht aus wie in einem Film - es scheint nicht real zu sein.
Vor etwa fünf Tagen wurde mein Haus getroffen. Das Dach und die Wassertanks wurden komplett zerfetzt, aber wir befanden uns im Erdgeschoss und Gott sei Dank wurde nur eine Person verletzt. Wir haben das Haus mehrmals verlassen und sind in andere Gegenden geflüchtet. Meine Familie und meine Nachbarn waren verängstigt. Ich bin mit meiner Frau und meinen Kindern im Kamal-Adwan-Krankenhaus untergekommen und arbeite jetzt hier, wo ich zahlreiche PatientInnen behandeln kann.
Es gibt keine Worte, um die Situation im Kamal Adwan Krankenhaus zu beschreiben: Sie ist katastrophal. Das Krankenhaus ist völlig überfordert. Überall sind Verletzte, außerhalb und innerhalb des Krankenhauses, und wir haben keine medizinische und chirurgische Ausrüstung mehr, um sie zu behandeln.
Die Krankenwagen können sich nicht bewegen. Wir können die Leichen der getöteten Menschen nicht erreichen und die Verletzten, die auf den Straßen liegen, nicht retten. Viele von ihnen starben, bevor sie das Krankenhaus erreichten, und andere starben im Krankenhaus, weil wir ihre Wunden nicht behandeln konnten.
Wir haben 30 Tote im Krankenhaus und etwa 130 verletzte PatientInnen, die dringend medizinische Hilfe benötigen. Das medizinische Personal ist erschöpft, und viele sind auch verletzt. Wir fühlen uns hoffnungslos.
Mir fehlen einfach die Worte.
Wir rufen alle Länder der Welt auf, an den nördlichen Gazastreifen zu denken und die Blockade aufzuheben, die zum Tod so vieler Menschen geführt hat.“
Dr. Obeids Hilferuf blieb ungehört. Mehr noch, zwei Tage später, am 25. Oktober, brach der Kontakt zwischen ihm und Ärzte ohne Grenzen ab. Um circa 14:00 Uhr lokale Zeit stürmte die israelische Armee das Krankenhaus. Der Angriff begann mit Luftschlägen auf das Spital und seine Innenhöfe, darunter auch auf den medizinischen Sauerstoffgenerator. Die Bombardierung der Sauerstoffversorgung führte zum Tod von mindestens 2 Kindern im Krankenhaus und verwundete medizinisches Personal.
In einer Presseaussendung erklärte die Organisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF): „Wir sind zutiefst besorgt über die Sicherheit und den Verbleib von Dr. Mohammed Obeid, einem orthopädischen Chirurgen von Ärzte ohne Grenzen, der im Kamal Adwan Hospital im Norden des Gazastreifens untergebracht war und dort arbeitete und zu dem wir seit dem Nachmittag des 25. Oktober keinen Kontakt mehr haben. (…) Wir versuchen, mit unserem Kollegen Kontakt aufzunehmen und suchen dringend nach Informationen über seinen Aufenthaltsort. Wir bitten um seine Sicherheit und seinen Schutz sowie um den Schutz des gesamten medizinischen Personals in Gaza.“
Mit Panzern und Drohnen zerstörte die israelische Armee unter anderem die Intensivstation, Stromgeneratoren, Krankenwagen und Sauerstofftanks des Krankenhauses. „Anstelle von Hilfe kommen Panzer, die das Krankenhaus bombardieren“, so Dr. Hussam Abu Safiya, der Direktor des Kamal Adwan Krankenhauses, in einer verzweifelten Videobotschaft. Einen Tag später wurde bekannt, dass Dr. Abu Safiyas Sohn Ibrahim, ein Teenager, bei den Angriffen auf das Krankenhaus getötet worden war.
Die WHO berichtet am 26. Oktober 2024, dass fast die gesamte männliche Belegschaft des Krankenhauses von der israelischen Armee verschleppt wurde:
„(…) Nach der Verhaftung von 44 männlichen Mitarbeitern sind nur noch das weibliche Personal, der Krankenhausdirektor und ein männlicher Arzt übrig, um fast 200 Patienten zu versorgen, die dringend medizinische Hilfe benötigen. Die Berichte über die Beschädigung oder Zerstörung von Krankenhauseinrichtungen und medizinischen Gütern während der Belagerung sind erschütternd.
Das gesamte Gesundheitssystem in Gaza ist seit über einem Jahr unter Beschuss. Die WHO kann nicht oft genug betonen, dass Krankenhäuser zu jeder Zeit vor Konflikten geschützt werden müssen. Jeder Angriff auf Gesundheitseinrichtungen ist ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.“
Der Verbleib von Dr. Obeid und seinen Kollegen ist ungewiss. Auch Nemer Shaheen berichtete in den sozialen Medien verzweifelt über seinen Onkel Dr. Hassan Khalil Al-Muqayad, der von der israelischen Armee aus dem Kamal Adwan Krankenhaus entführt worden ist:
„Mein Onkel, Dr. Hassan Khalil Al-Muqayad, Facharzt für Arterien- und Gefäßchirurgie, ausgebildet in Rumänien, arbeitete im indonesischen Krankenhaus, im Kamal-Adwan-Krankenhaus und im Al-Shifaa-Krankenhaus in Gaza sowie in seiner Heimatklinik bis zu deren Zerstörung, um seinem Volk zu helfen, seinen medizinischen Eid zu erfüllen und Leben zu retten. Bis zum 25. Oktober war er von seiner Familie getrennt, arbeitete unermüdlich in den Operationssälen und versuchte, im Kamal-Adwan-Krankenhaus im nördlichen Gazastreifen unter Bombardierungen und Hunger zu überleben.
Sein Haus, seine Klinik, sein Auto und seine Ersparnisse wurden innerhalb eines Jahres zerstört, während er im nördlichen Gazastreifen blieb und seinen Leuten, Nachbarn und seiner Familie half. Nun wurden er und mein jüngerer Onkel Mahmoud Khalil Al-Muqayad, der als Krankenpfleger im selben Krankenhaus arbeitet, aus dem Kamal Adwan Krankenhaus entführt und in ein Verhörzentrum gebracht, ohne dass man irgendetwas über ihren Verbleib weiß.“
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die israelische Armee zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 30. Juli 2024 498 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen im Gazastreifen verübt. Am 10. Oktober 2024 veröffentlichten die Vereinten Nationen einen Untersuchungsbericht, in dem eine UN-Kommission Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei israelischen Angriffen auf Gesundheitseinrichtungen im Gazastreifen und in der Behandlung von Gefangenen und Geiseln feststellt:
„Die israelischen Sicherheitskräfte haben vorsätzlich medizinisches Personal getötet, inhaftiert und gefoltert und medizinische Fahrzeuge angegriffen, während sie die Belagerung des Gazastreifens verschärften und die Erlaubnis zum Verlassen des Gebiets für medizinische Behandlungen massiv einschränkten. Diese Handlungen stellen die Kriegsverbrechen der vorsätzlichen Tötung, der vorsätzlichen Misshandlung und der vorsätzlichen Zerstörung von geschütztem Zivileigentum dar, sowie das Verbrechen der Vernichtung gegen die Menschlichkeit.“
Nach Angaben von Marwan al-Homs, dem Leiter der Feldkrankenhäuser des palästinensischen Gesundheitsministeriums, sind die rund 200 schwer verwundete PatientInnen im Kamal Adwan-Krankenhaus unmittelbar vom Tod bedroht. „Wenn die Welt nicht eingreift, um dieses Verbrechen und den Völkermord in Gaza zu stoppen, ist das sichere Schicksal dieser Patientinnen und Patienten der Tod“, al-Homs am Samstag, 26. Oktober, gegenüber Al Jazeera.
Dr. Hussam Abu Safiya, der Direktor des Kamal Adwan Krankenhauses, der immer wieder verzweifelt versuchte, die Weltöffentlichkeit mittels Videobotschaften zu erreichen und das Krankenhaus und seine Patientinnen und Patienten zu retten, veröffentlichte gestern erneut eine Botschaft. Weinend und zutiefst erschüttert sagte er:
„Wir haben in diesem Krankenhaus alles verloren, sogar unsere Kinder.
Alles, was wir aufgebaut haben, haben sie verbrannt.
Sie haben unsere Herzen verbrannt. Sie haben meinen Sohn getötet. Sie haben unsere Herzen gebrochen durch das, was sie im Krankenhaus getan haben.
Sie haben das Krankenhaus völlig verbrannt.
Mein Sohn wurde getötet, weil wir eine humanitäre Botschaft verkünden wollten.
Unsere Kinder werden getötet.
Ich habe meinen Sohn an der Mauer des Krankenhauses begraben.“
Gestern behauptete der Pressesprecher der israelischen Armee, dass 100 „Hamas-Terroristen“ im Kamal Adwan-Krankenhaus festgenommen worden wären. Beweise für diese Behauptung wurden nicht vorgelegt.
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Quellen:
Update from northern Gaza: “I just don’t have words” (23. Oktober 2024)
Gaza: MSF calls for safety and information on missing doctor (26. Oktober 2024)
‘Entire population of north Gaza at risk of dying,’ warns UN’s top humanitarian official (26. Oktober 2024)
WHO Statement (26. Oktober 2024)
UN Commission finds war crimes and crimes against humanity in Israeli attacks on Gaza health facilities and treatment of detainees, hostages (10. Oktober 2024)
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