Nachdem die BewohnerInnen des Gazastreifens während des Waffenstillstands zumindest den Anschein von Frieden wiedererlangt hatten, sind sie nun erneut gezwungen zu entscheiden, ob sie aus ihren Häusern fliehen sollen oder nicht, da Israel seine Angriffe wieder aufnimmt.
Von Ruwaida Kamal Amer, +972Mag, 18. März 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Ich hörte die Rakete, bevor sie explodierte. Es war zwei Uhr morgens, und ich war gerade aufgewacht, um zu beten und den Koran zu lesen. Ich ging auf die Toilette, als plötzlich die Tür aufflog: Unser Haus wurde durch den Einschlag der Bombe erschüttert. Später erfuhren wir, dass das Haus eines unserer Nachbarn in der Al-Fukhari-Siedlung in Khan Younis direkt getroffen worden war.
Überall im Gazastreifen erwachten die PalästinenserInnen von der Wiederaufnahme des genozidalen Krieges durch Israel. Die Armee behauptete, „terroristische Zellen, Abschussrampen, Waffen und zusätzliche militärische Infrastruktur“ ins Visier zu nehmen, aber die plötzlichen Luft- und Artillerieangriffe auf die Enklave trafen Familien in ihren Häusern und Zelten, während sie schliefen, nur eine Stunde vor dem Ramadan-Mahl am Morgen. Während unsere Nachbarn überlebten, wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen 408 Menschen getötet, darunter 174 Kinder, und 562 verletzt, viele weitere sind noch unter den Trümmern der eingestürzten Gebäude gefangen.
Nisreen Abu Jamea, eine 40-jährige Mutter von vier Kindern aus dem Stadtviertel Khuza'a östlich von Khan Younis, sprach mit +972 über den Angriff auf die Stadt. „Wir sind durch extrem schweren Beschuss der Gebiete aufgewacht“, erinnert sie sich. „Die meisten von uns hier leben in Zelten, und als die Bombardierung begann, rannten wir nach draußen. Alle schrien und suchten nach ihren Angehörigen; die Zelte können durch die verstreuten Granatsplitter leicht Feuer fangen, also blieben wir draußen. Unsere Kinder konnten wegen der Bombardierung die ganze Nacht nicht schlafen.“
Nach einer Stunde ununterbrochenen Beschusses erteilte die israelische Armee den BewohnerInnen von Khuza'a den Befehl, aus dem Gebiet zu flüchten - und ließ Abu Jamea und ihrer Familie nur noch wenige Optionen. „Wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen: Kehren wir nach Al-Mawasi zurück und wiederholen unsere Vertreibungs-Tortur ein weiteres Mal?“ Sie weiß auch nicht, ob das mehr Sicherheit bringen wird. „Wir haben jetzt Angst, uns fortzubewegen, weil die Armee es auf zivile Autos abgesehen hat“, erklärt sie, “und wegen des Treibstoffmangels gibt es nur wenige Transportmittel. Deshalb suchen wir nach einem Eselskarren, um eine Transportmöglichkeit zu haben.“
Als der Waffenstillstand im Januar in Kraft trat, zögerte Abu Jamea ein wenig, Al-Mawasi zu verlassen, wo sie seit Oktober 2023 mit ihrer Familie Zuflucht gefunden hatte. Doch etwa eine Woche vor Beginn des Ramadans beschlossen sie und ihre Familie, nach Khuza'a zurückzukehren. „Wir wollten die Feiertage in unserem eigenen Viertel verbringen“, erklärt sie. „Während des Waffenstillstands konnten wir Panzerfeuer hören, und die östlichen Gebiete [von Khan Younis] waren völlig unsicher, aber wir haben das ertragen, um in unserem Wohnviertel zu bleiben.“
Wie viele BewohnerInnen des Gazastreifens befindet sich Abu Jamea in einem völligen Schockzustand. Nachdem sie in ihre Häuser und Wohnviertel zurückgekehrt sind und in den letzten zwei Monaten zumindest einen Anschein von Sicherheit wiedererlangt haben, wissen sie nicht, wie sie wieder in den Krieg zurückkehren können - oder ob sie ihn überhaupt überleben werden.
„Wir wissen nicht, warum der Krieg wieder zurückgekehrt ist“, sagt sie gegenüber +972. „Während des Waffenstillstands haben wir versucht, trotz der Schwierigkeiten, die wir hatten, zu unserem normalen Leben zurückzukehren. So konnten wir Momente relativen Friedens erleben, nur um jetzt wieder mit gewalttätigen Bombardierungen konfrontiert zu werden.“
Erneute Angriffe auf Kinder
In Abasan Al-Kabira – einer kleinen Stadt in der Nähe von Khuza'a, östlich von Khan Younis – schlief der 33-jährige Salem Baraka mit seinen vier Kindern, als die Bombardierung begann. „Seit zwei Uhr morgens haben sie vor Angst gezittert und uns angefleht, die Gegend zu verlassen und nach Al-Mawasi zu flüchten“, erzählt er gegenüber +972. „Unsere Stadt wurde ununterbrochen beschossen, und die Armee hat uns wegen der erneuten Kämpfe aufgefordert, die Stadt zu evakuieren.“
Doch wie viele BewohnerInnen des Gazastreifens zögert Baraka, Abasan zu verlassen und die zermürbende Erfahrung der Vertreibung nach Al-Mawasi zu wiederholen, wo er und seine Familie in den ersten 14 Monaten des Krieges überlebten. „Wir wissen nicht, ob diese Situation nur vorübergehend ist oder ob sie länger als nur ein paar Tage andauern wird“, erklärte er. „Wir fühlen uns verloren und wissen nicht, was vor sich geht. Während des Ramadans litten wir bereits unter der Blockade, und jetzt wurde der Krieg gegen unsere Kinder wieder aufgenommen.“
„Ich denke immer noch darüber nach, ob ich fliehen oder bleiben soll“, fügte Baraka hinzu, “aber letztendlich muss ich mich für die Sicherheit meiner Kinder entscheiden. Wenn der Beschuss so weitergeht, werde ich in eine der Schulen im Zentrum oder in den Westen von Khan Yunis flüchten. Dort weiß ich nicht, was ich tun werde.“
Mahmoud Latifa, 29, erlebte den Angriff in der vergangenen Nacht auch in Abasan, wohin er Anfang Februar nach einer langen Vertreibung aus Al-Mawasi zurückgekehrt war. „Wir haben uns in den Zelten sehr erniedrigt gefühlt, deshalb sind wir während der Waffenruhe in unser Haus zurückgekehrt“, sagt er gegenüber +972. „Es war schwer beschädigt, aber wir haben uns entschieden, in dem zu bleiben, was von ihnen übrig geblieben ist.“
Trotz des Abkommens berichtet Latifa, dass die israelischen Angriffe auf die Stadt den ganzen Februar über anhielten, wobei Quadcopter eine nächtliche Ausgangssperre verhängten und auf BewohnerInnen schossen, die auf die Straße gingen. „Ich kann nicht sagen, dass wir uns während des Waffenstillstands sicher gefühlt haben: Wir konnten tagelang unsere Häuser nicht verlassen und keine Waren des täglichen Bedarfs kaufen, aber wir haben das alles noch eher ertragen, als in den Zelten zu sitzen.“
Dennoch kam die Wiederaufnahme der israelischen Angriffe in vollem Umfang völlig überraschend und furchterregend. „Die Panzer feuerten wahllos Granaten auf die Häuser, ohne Rücksicht auf das Leben der ZivilistInnen“, berichtet Latifa. „Von der Wiederaufnahme des Beschusses bis zum Morgengrauen, als die israelische Armee uns aufforderte, die Häuser zu räumen, konnten wir keinen Moment schlafen.“
Jetzt sind Latifa und seine Familie dabei, ihr Hab und Gut wieder zusammenzusuchen, um ihr Zelt in Al-Mawasi wieder aufzustellen. Doch wie er nur zu gut weiß, gibt es dort keine Garantie für Sicherheit: Wenn der Angriff der letzten Nacht den Beginn einer neuen israelischen Offensive markiert, wird es nirgendwo in Gaza sicher sein.
„Die Lage hier kann sich im Handumdrehen ändern: Alle Gebiete im östlichen Teil von Khan Younis sind von der Evakuierung bedroht“, erklärt er. „Einige haben sich in den Westen der Stadt abgesetzt, andere weigern sich, zu fliehen. Wir sind alle unendlich müde von den wiederholten Kriegen, Angriffen, Bombardierungen und Morden. Wir wollen einfach nur, dass das alles aufhört.“
Bomben von Norden nach Süden
Während Khan Younis und die umliegenden Gebiete in der vergangenen Nacht am stärksten angegriffen wurden, blieb kein Gebiet des Gazastreifens von Israels erneuten Angriffen verschont. In der südlichen Stadt Rafah wurden 17 Mitglieder der Familie Abu Rayash getötet, als ihr Haus in den frühen Morgenstunden bombardiert wurde – darunter Khaled Abu Rayash, seine Frau Majda Abu Aker, ihre verheirateten Kinder, Schwiegerkinder und Enkelkinder, von denen die meisten noch immer unter den Trümmern liegen.
Der 43-jährige Tayseer Al-Kafarna und seine siebenköpfige Familie aus der Stadt Beit Hanoun im Nordosten von Gaza, die an den Grenzübergang Erez grenzt, flohen aus ihrem Haus, nachdem sie im Morgengrauen von Bombenexplosionen in ihrer Nachbarschaft geweckt worden waren. Nachdem die israelische Armee eine Evakuierungswarnung herausgegeben und das Gebiet zur militärischen Operationszone erklärt hatte, begann Al-Kafarna zu packen. „Ich habe das meiste von dem, was ich besitze, zurückgelassen. Wir hatten weder die Zeit noch die Möglichkeit, alles mitzunehmen“, berichtet er gegenüber +972.
Dies ist das dritte Mal, dass Al-Kafarna und seine Familie seit dem Beginn des israelischen Angriffs auf den Gazastreifen im Oktober 2023 vertrieben wurden. Jedes Mal muss er seinen 70 Jahre alten Vater dabei auf dem Rücken tragen. Auch auf dieser Flucht muss er seinen Vater auf dem Rücken tragen, dieses Mal hat das Fasten im Ramadan jedoch seine Kräfte geschwächt. „Meine Familie und ich haben begonnen, in einem Zustand der ständigen Verwirrung zu leben“, erzählt er. „Die Kinder leiden unter psychischen Störungen aufgrund der ständigen Angst.“
Al-Kafarna wird nach Westen gehen, aber viel mehr weiß er nicht. „Wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen. Alle Schulen und Kliniken sind voll mit Vertriebenen. Wir werden versuchen, zurechtzukommen, auch wenn das bedeutet, dass wir auf der Straße schlafen müssen.“
Unter den Opfern des Luftangriffs am frühen Morgen war auch die 10-jährige Maryam Al-Khairi, die sich in ihrem Haus im Zentrum von Gaza-Stadt befand. „Wir schliefen, als das Gebäude gegenüber von uns beschossen wurde“, berichtet Islam Al-Khairi, Maryams Vater, gegenüber +972. „Schrapnell erreichte das Zimmer meiner Kinder; Maryam erlitt eine schwere Kopfverletzung, und sie starb, bevor wir das Baptistenkrankenhaus erreichen konnten.“
Maryams 15-jährige Schwester Salam wurde bei dem Luftangriff ebenfalls verletzt, ihr Zustand ist jedoch stabil. „Sie weiß noch nicht, dass Maryam getötet wurde“, erklärt Al-Khairi. „Sie fragt nach ihr, weil sie gesehen hat, dass sie am Kopf blutet. Wir sagen ihr, dass es ihr gut geht, aber in Wahrheit geht es keinem von uns gut.“
Nun muss Al-Khairi das grausame Schicksal erleiden, seine Tochter am Ende des Waffenstillstands zu verlieren - die einzige Zeit seit dem 7. Oktober, in der er nicht ständig um ihre Sicherheit besorgt war. „Ich habe mich während des gesamten Krieges um meine Kinder gesorgt und sie von Ort zu Ort gebracht, bis wir in unser Haus zurückkehrten“, erzählt er. „Ich hätte nie gedacht, dass ich meine Tochter in unserem Haus, auf das wir so ungeduldig gewartet hatten, verlieren würde.“
Narmin Al-Helou, eine Bewohnerin des Viertels Al-Tuffah in Gaza-Stadt, hat bereits letztes Jahr ihren Mann und zwei ihrer Söhne verloren. Nach dem Angriff in der vergangenen Nacht beschloss sie, kein weiteres Risiko einzugehen, und floh aus dem Gebiet nahe der Grenze zu Israel. „Ich möchte nicht auch noch meine anderen Kinder verlieren, die wie durch ein Wunder die Bombardierung von gestern Nacht überlebt haben“, sagt sie. „Ich befürchte, dass diese Eskalation der Beginn eines Krieges sein könnte, der größer und gewalttätiger ist als der vorherige.“
Etwas weiter südlich, im Stadtteil Shuja'iyya in Gaza-Stadt, waren der 39-jährige Ahmed Sukar und seine Familie die ganze Nacht wach und durch die schweren Angriffe auf das Viertel wie paralysiert. Sie haben beschlossen, nach Westen zur New Gaza Preparatory School im zentralen Stadtteil Rimal zu gehen. „Ich denke nur ans Überleben und an meine Familie“, sagt er. „Ich will nicht in Shuja'iyya bleiben, aus Angst vor erneutem Beschuss oder einer überraschenden Bodenoffensive der israelischen Armee.“
Wie Al-Kafarna ist auch Sukar bereits zum dritten Mal vertrieben worden. „Jedes Mal kämpfen meine Familie und ich darum, uns an die Situation anzupassen, aber das Leben in ständiger Vertreibung macht es unmöglich, an die Zukunft zu denken“, berichtet er gegenüber +972. „Die Welt muss sehen, was hier geschieht, und uns beistehen, damit das Töten und die Zerstörung aufhören. Wir wollen nur Gerechtigkeit und Freiheit, wie alle Völker der Welt.“
Ruwaida Kamal Amer ist eine freiberufliche Journalistin aus Khan Younis. Ibrahim Mohammad und Ibtisam Mahdi haben ebenfalls zu diesem Bericht beigetragen.

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