Mit der Wiederaufnahme der israelischen Luftangriffe und neuen Evakuierungsbefehlen sind die PalästinenserInnen erneut auf der Flucht.
Von Jason Burke (Jerusalem) and Malak A Tantesh (Gaza), The Guardian, 19. März 2025
(Vollständiger Originalbeitrag in englischer Sprache)
Überall im Gazastreifen haben einfache Palästinenser – Männer und Frauen, Alte und Junge, Kranke und Gesunde – ihre Angst, Verzweiflung und Verwirrung nach der Rückkehr Israels zur Gewalt in den vergangenen zwei Tagen beschrieben.
„Unsere Hoffnungen waren groß, aber jetzt stehen wir wieder am Anfang“, sagt Osama, ein 40-jähriger Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, der in al-Mawasi lebt, einem Küstengebiet, das zu Beginn des Krieges zur „humanitären Zone“ erklärt wurde und seitdem für seine starke Überbevölkerung und die schlechten sanitären Verhältnisse bekannt geworden ist.
Massive israelische Luftangriffe haben am Dienstag die seit zwei Monaten geltende Waffenruhe gebrochen und mehr als 400 Menschen getötet. Weitere 20 PalästinenserInnen starben bei weiteren Angriffen am Mittwoch, wie die lokale Gesundheitsbehörde mitteilte.
In al-Mawasi leerten sich die Zeltlager, die sich entlang des gesamten Küstenstreifens erstreckt hatten, als die Waffenruhe vereinbart wurde. Fast eine halbe Million Menschen kehrten in den Norden des Gazastreifens zurück, um zu versuchen, ihre zerstörten Häuser wiederaufzubauen. Viele kehren jetzt zurück und schlagen ihre Zelte wieder in den Dünen auf.
„Das Schlimmste ist nicht die Entbehrung oder die Ungewissheit. Das Schlimmste ist, dass die Hoffnungen, die wir mit dem Waffenstillstand hatten, nicht mehr bestehen. Wir dachten, unser Leid sei vorbei, aber es hat gerade wieder angefangen“, sagt Osama.
Die vom israelischen Militär am Dienstag erlassenen Evakuierungsbefehle sowie erneute Luftangriffe und Panzerbeschuss zwingen Tausende von PalästinenserInnen zur Rückkehr in die provisorischen Lager, in denen sie im vergangenen Jahr monatelang Zuflucht gefunden hatten.
Auf Flugblättern, die über Beit Hanoun, einer einst blühenden Stadt im nördlichen Gazastreifen, abgeworfen wurden, wurde den BewohnerInnen mitgeteilt, dass „der Verbleib in den Unterkünften oder dem derzeitigen Zelt Ihr Leben und das Ihrer Familienmitglieder in Gefahr bringt“, und sie wurden aufgefordert, „unverzüglich zu fliehen“.
Ähnliche Szenen spielten sich in Städten in der Nähe von Rafah und Khan Younis im Süden sowie in Shuja'iya im Zentrum ab. Mit den neuen Anordnungen wurden nun mehr als 160 000 Menschen aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen.
Zu Beginn des Krieges verwendete Israel ein kompliziertes System nummerierter Zonen, um den PalästinenserInnen mitzuteilen, wo sie am sichersten seien. Dieses System scheint nun aufgegeben worden zu sein.
Viele Menschen im Gazastreifen berichten, dass sie täglich vor der Herausforderung stehen, in den zertrümmerten Beton- und Metallruinen, die einst ihre Häuser waren, ohne fließendes Wasser, Strom oder zuverlässige Kommunikationsmittel zu überleben.
Die MitarbeiterInnen des Feldlazaretts des Roten Kreuzes in Rafah berichteten, dass sie eine große Anzahl von PatientInnen aufnehmen mussten. „Jetzt können wir die Panik in der Luft spüren, die Sirenen der Krankenwagen sind ständig zu hören, und wir können den Schmerz und die Verwüstung in den Gesichtern derer sehen, denen wir helfen. Die Menschen haben Angst und sind wieder gezwungen, nur daran zu denken, die nächsten Stunden zu überleben“, sagte Fred Oola, ein leitender Arzt des Krankenhauses.
Israel verhängte vor 17 Tagen eine strenge Blockade über den Gazastreifen, nur Stunden nach dem Ende der ersten offiziellen Phase der Waffenruhe. Die Preise für lebenswichtige Güter stiegen sofort in die Höhe und wurden von Panikkäufen überschattet, bevor sie sich wieder beruhigten. Jetzt sind sie erneut in die Höhe geschnellt: Ein Kilo Kartoffeln kostet derzeit umgerechnet 5 $ [4.6 Euro, Anm.], viermal mehr als noch vor einer Woche.
„Viele Menschen können sich das einfach nicht leisten, und es gibt absolut kein frisches Obst oder Milchprodukte, egal wie viel Geld man hat“, so ein hochrangiger Mitarbeiter einer Hilfsorganisation. Die Hilfslieferungen wurden bereits gekürzt, um die Vorräte zu schonen, und obwohl während der zweimonatigen Waffenruhe 25 000 Lastwagen in das Gebiet kamen, könnten die Vorräte bald zur Neige gehen. „Wir haben Mehl für etwa eine Woche, aber nicht genug Lebensmittel, um alle Menschen in diesem Monat mit Rationen zu versorgen“, so der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation in Gaza. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz erklärte, dass die medizinischen Vorräte knapp werden.
Fast alle Menschen im Gazastreifen wurden bereits mehrmals vertrieben, oft nach Evakuierungsbefehlen des israelischen Militärs. „Wir waren von den Befehlen schockiert. Wir begannen, unsere wichtigsten Habseligkeiten und einige Lebensmittel zusammenzusuchen, um dann sofort zu fliehen“, berichtet Khatam al-Kafarna, eine 28-jährige Krankenschwester, die mit ihrer Familie aus Beit Hanoun in das zehn Kilometer westlich gelegene Lager al-Shati gezogen ist. „Aber die Realität ist hart, und die Bedingungen sind schwierig. Es gibt keine Hilfe, kein Essen, kein Brot, kein Wasser, keine Ruhe und keine Privatsphäre“, sagt sie.
Wie al-Mawasi füllt sich auch das Lager al-Shati wieder mit neuen Vertriebenen. Die Hilfsorganisationen hatten keine Zeit, um sich auf den Zustrom vorzubereiten, so dass es an fast allen lebensnotwendigen Dingen fehlt. „Es ist erbärmlich hier. Früher lebten wir in einem großen, schönen, sicheren Haus mit einem großen, schönen Garten. Ich hatte mein eigenes Zimmer. Jetzt wohnen wir alle zusammen in einem Zelt, und wir teilen alles. Wir warten jeden Moment auf den Tod. Wie durch ein Wunder haben wir bisher den Krieg nur knapp überlebt, aber wenn es so weitergeht, werden wir das alles nicht überleben“, so al-Kafarna.
Umm Mujahid Abu Jrad, 31 und hochschwanger mit ihrem vierten Kind, verließ Beit Hanoun ebenfalls am Mittwoch. „Als ich in den Nachrichten hörte, dass der Waffenstillstand gebrochen worden war, wusste ich, dass wir wieder den Alptraum des Krieges erleben würden. Wir sind bereits acht Mal vertrieben worden. Wir wachten auf, als die Evakuierung angeordnet wurde, und begannen, unsere Sachen vorzubereiten, um in ein anderes Gebiet zu ziehen“, berichtet sie. „Als ich erfuhr, dass der Krieg wieder begonnen hatte, war ich sehr wütend. Warum haben sie das getan, wo doch alles lief wie es sollte? Was wollen sie von uns, nachdem sie unsere Häuser zerstört und uns obdachlos gemacht und Gaza in eine Geisterstadt verwandelt haben? Was wollen sie noch?“

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