top of page

UN-Sonderausschuss stellt fest, dass Israels Methoden der Kriegsführung im Gazastreifen einem Völkermord gleichkommen, einschließlich des Einsatzes von Hunger als Kriegswaffe

„Die Soldaten zeigten uns einen Weg, dem wir folgen sollten, aber die Scharfschützen schossen wahllos auf uns, und meine Mutter wurde am Bein getroffen. (...) Sie töteten auch zwei unserer Nachbarn - einen älteren Mann aus der Familie a-Talouli, der im Rollstuhl saß, und eine junge Frau aus der Familie al-'Ajrami. Wir haben das jetzt ein Jahr lang überlebt. Unser Leben dreht sich um Vertreibung, Hunger und die ständige Suche nach Wasser, Nahrung und Brennholz. Jedes Mal, wenn wir das Haus verlassen, riskieren wir unser Leben. Der Beschuss und die Granaten sind unaufhörlich, es gibt keine Stabilität, nur Angst und Schrecken. Ein Jahr einer neuen Nakba und eines Völkermordes.“

Yaser Abu Rukbeh, 31, Vater eines sieben Monate alten Babys, Jabalya (aufgezeichnet von B’Tselem)

 

„Was für mich besonders erschütternd war, ist die Tatsache, dass eine Bombe abgeworfen wurde, vielleicht auf einen überfüllten Zelt-Bereich, und dann darauffolgend die Drohnen herunterkamen. Ich habe Tag für Tag Kinder behandelt, die nach Bombenangriffen von Drohnen angegriffen worden waren. Die Drohnen kamen herunter und schossen auf ZivilistInnen – Kinder. Wir [operierten] an Kindern, die uns erzählten: „Ich lag auf dem Boden, nachdem eine Bombe gefallen war, und dieser Quadcopter kam herunter, schwebte über mir und schoss auf mich.“ Das ist eindeutig eine vorsätzliche Handlung, und es war eine konstante Handlung – anhaltende Angriffe auf ZivilistInnen, Tag für Tag. 

Die Kugeln, die die Drohnen abfeuern, sind kleine quaderförmigen Kügelchen, und ich habe einige davon aus dem Bauch von Kleinkindern geholt. Das jüngste Kind, das ich operiert habe, war drei Jahre alt. Diese Kügelchen sind in gewisser Weise zerstörerischer als normale Kugeln. Bei den Drohnenkugeln stellte ich fest, dass sie eindrangen und im Körper herumwirbelten, so dass sie mehrere Verletzungen verursachen konnten. Ich hatte beispielsweise einen siebenjährigen Jungen; er hatte eine Verletzung der Leber, der Milz, des Darms, der Arterien, also eine ziemlich weitreichende Zerstörung durch einen einzigen Einschusspunkt.“

Prof. Nizam Mamode, britischer Chirurg im August und September 2024 auf medizinischer Hilfsmission in Gaza, in einer Anhörung vor dem britischen parlamentarischen Ausschuss für internationale Entwicklung, 14. November 2024

  

„Die Kinder in Gaza schreien auf eine Art, die ich nie gehört habe und die ich nie vergessen werde. In diesem Schreien liegt Todesangst. Sie sind dann nicht erreichbar und lassen sich nur sehr schwer beruhigen. Dieses Schreien zu hören, ist furchtbar schmerzhaft. Diese Kinder hören auf zu spielen, sie hören auf zu lernen. Sie entwickeln sich nicht mehr. Auch wenn dieser Krieg heute aufhören würde: Diese Kinder haben sehr viel nachzuholen.“

Katrin Glatz Brubakk, norwegische Kinderpsychologin und Trauma-Expertin, als Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen im August 2024 auf medizinischer Hilfsmission in Gaza, in einem Interview mit der Berliner Zeitung, 14. November 2024

 

„Wir erhalten Notrufe von Menschen, die unter den Trümmern festsitzen, sie atmen und sprechen noch, aber wir können ihnen nicht zu Hilfe kommen.“

Dr. Hussam Abu Safiya, Direktor vom Kamal Adwan Krankenhaus, 14. November 2024

 

„In der Völkermordkonvention geht es nicht darum, ob man Israel etwas anlasten kann oder nicht. Sie gibt eine Definition, was Völkermord ist. Und wenn Sie ein Land sehen, das auf diese Weise handelt, und Sie reagieren nicht... dann brechen Sie das gesamte Regelwerk des internationalen Rechts, das nach dem Holocaust geschaffen wurde, um genau das zu verhindern.“

Omer Bartov, israelisch-amerikanischer Professor für Holocaust- und Völkermordforschung, in einem Interview mit Mehdi Hassan, 18. November 2024

 

Was in Gaza geschieht, ist ein Völkermord, denn Gaza existiert nicht mehr.“

Amos Goldberg, israelischer Holocaustforscher, in einem Interview mit Le Monde, 29. Oktober 2024




Von deutschsprachigen Medien fast vollständig ignoriert, erschien am 14. November 2024 ein aufsehenerregender Bericht der Vereinten Nationen, der feststellt, dass Israels Methoden der Kriegsführung in Gaza einem Völkermord gleichkommen. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass der Bericht nur den Zeitraum von Oktober 2023 bis Juli 2024 abdeckt, d.h. die Geschehnisse im Norden von Gaza seit Anfang Oktober 2024 noch gar nicht untersucht und in den Bericht miteingearbeitet wurden. Folgend finden Sie eine Übersetzung der UN-Pressemitteilung, die die wichtigsten Erkenntnisse des UN-Berichts auflistet.



Presseaussendung der Vereinten Nationen, 14. November 2024


(Originalbeitrag in englischer Sprache; Link zum 27-seitigen Originalbericht in englischer Sprache)

 

NEW YORK - Israels Kriegsführung im Gazastreifen entspricht den Merkmalen eines Völkermordes, mit massenhaften Opfern unter der Zivilbevölkerung und lebensbedrohlichen Bedingungen, die den PalästinenserInnen dort absichtlich auferlegt werden, so der UN-Sonderausschuss zur Untersuchung israelischer Vorgehensweisen* in einem heute veröffentlichten neuen Bericht.


"Seit Beginn des Krieges haben israelische PolitikerInnen öffentlich eine Politik unterstützt, die den PalästinenserInnen das Lebensnotwendige – Nahrung, Wasser und Treibstoff – entzieht", so der Ausschuss. "Diese Äußerungen sowie die systematische und rechtswidrige Beeinträchtigung der humanitären Hilfe verdeutlichen Israels Absicht, lebensrettende Hilfsgüter für politische und militärische Zwecke zu instrumentalisieren."


Der Bericht, der den Zeitraum von Oktober 2023 bis Juli 2024 abdeckt, untersucht die Entwicklungen in den besetzten palästinensischen Gebieten und auf dem besetzten syrischen Golan allgemein, konzentriert sich jedoch insbesondere auf die katastrophalen Auswirkungen des derzeitigen Krieges in Gaza auf die Lage der PalästinenserInnen.


"Durch die Belagerung des Gazastreifens, die Behinderung humanitärer Hilfe sowie gezielte Angriffe und die Tötung von ZivilistInnen und MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen verursacht Israel trotz wiederholter Aufforderungen der Vereinten Nationen, verbindlicher Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs und Resolutionen des Sicherheitsrats vorsätzlich Tod, Hunger und schwere Verletzungen, indem es Hunger als Kriegsmethode einsetzt und die palästinensische Bevölkerung kollektiv bestraft", so der Ausschuss.


Der Bericht dokumentiert, wie Israels ausgedehnte Bombardierung des Gazastreifens lebenswichtige Dienste zerstört und eine Umweltkatastrophe ausgelöst hat, die dauerhafte Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung haben wird. Bis Anfang 2024 wurden über 25 000 Tonnen Sprengstoff – das entspricht zwei Atombomben – auf den Gazastreifen abgeworfen, was zu massiven Zerstörungen, zum Zusammenbruch der Wasser- und Abwassersysteme, zur Verwüstung der Landwirtschaft und zu toxischer Verschmutzung führte.

"Durch die Zerstörung lebenswichtiger Wasser-, Sanitär- und Nahrungsmittelsysteme und die Verseuchung der Umwelt hat Israel eine tödliche Mischung von Krisen geschaffen, die auch kommenden Generationen schweren Schaden zufügen wird", so der Ausschuss.

Der Bericht gibt Anlass zu ernster Besorgnis über Israels Einsatz von KI-gestützten Zielsystemen bei der Steuerung seiner Militäroperationen und über die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, die insbesondere in der überwältigenden Zahl von Frauen und Kindern unter den Opfern zum Ausdruck kommen.


"Der Einsatz von KI-gestützten Zielsystemen durch das israelische Militär mit minimaler menschlicher Aufsicht in Kombination mit schweren Bomben unterstreicht die Missachtung der Verpflichtung Israels, zwischen Zivilisten und Kombattanten zu unterscheiden und angemessene Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um den Tod von Zivilisten zu verhindern", so der Ausschuss.


Angesichts der Verwüstungen im Gazastreifen stellt der Ausschuss fest, dass Israels eskalierende Medienzensur, die Unterdrückung abweichender Meinungen und die gezielte Verfolgung von JournalistInnen vorsätzliche Bemühungen sind, den weltweiten Zugang zu Informationen zu blockieren. Er stellt des Weiteren fest, dass Unternehmen der sozialen Medien im Vergleich zu Posts, die zur Gewalt gegen PalästinenserInnen aufriefen, unverhältnismäßig viele "pro-palästinensische Inhalte" entfernten.


Der Ausschuss verurteilte die anhaltende Verleumdungskampagne und andere Angriffe gegen das UNRWA und die Vereinten Nationen im Allgemeinen.


"Diese absichtliche Unterdrückung der Berichterstattung in Verbindung mit Desinformation und Angriffen auf humanitäre HelferInnen ist eine klare Strategie, um die lebenswichtige Arbeit der UNO zu untergraben, die Lebensader der Hilfe, die Gaza noch erreicht, zu durchtrennen und die internationale Rechtsordnung zu demontieren", so der Ausschuss.


Der Ausschuss forderte alle Mitgliedstaaten auf, ihren rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und Israels Verstöße gegen das Völkerrecht zu verhindern, zu stoppen und Israel zur Rechenschaft zu ziehen.


"Es liegt in der kollektiven Verantwortung aller Staaten, den Angriff auf Gaza und das Apartheidsystem im besetzten Westjordanland, einschließlich Ost-Jerusalem, nicht länger zu unterstützen", so der Ausschuss.


"Die Einhaltung des Völkerrechts und die Sicherstellung der Rechenschaftspflicht für Verstöße obliegt in erster Linie den Mitgliedstaaten. Wenn sie dies nicht tun, schwächen sie den Kern des internationalen Rechtssystems und schaffen einen gefährlichen Präzedenzfall, der es ermöglicht, dass Gräueltaten ungeahndet bleiben.“


Der Bericht des Ausschusses wird auf der 79. Tagung der UN-Generalversammlung am 18. November 2024 vorgelegt.


*Der Sonderausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der israelischen Praktiken, die sich auf die Menschenrechte des palästinensischen Volkes und anderer Araber in den besetzten Gebieten auswirken, wurde im Dezember 1968 von der UN-Generalversammlung eingesetzt, um die Menschenrechtslage auf dem besetzten syrischen Golan, im Westjordanland, einschließlich Ost-Jerusalem, und im Gazastreifen zu untersuchen.

Der Sonderausschuss setzt sich aus drei Mitgliedstaaten zusammen: Malaysia, Senegal und Sri Lanka. In diesem Jahr werden die Mitgliedstaaten durch S.E. Herrn Ahmad Faisal Muhamad, Ständiger Vertreter Malaysias bei den Vereinten Nationen in New York, S.E. Herrn Cheikh Niang, Ständiger Vertreter Senegals bei den Vereinten Nationen in New York, und S.E. Herrn Peter Mohan Maithri Pieris, Ständiger Vertreter Sri Lankas bei den Vereinten Nationen in New York (Vorsitzender des Sonderausschusses) vertreten.




 


Comments


bottom of page