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The Lancet: Gibt es eine Zukunft für Neugeborene in Gaza?

Von Bilal Irfana, Abdallah Abu Shammala, Khaled Saleh; The Lancet, 23. Oktober 2024

 

(Originalbeitrag in englischer Sprache und mit dazugehörenden Querverweisen)

 

Der anhaltende israelische Militärangriff auf den Gazastreifen hat zu einer alarmierenden humanitären Katastrophe geführt, bei der der Beginn einer Hungersnot mit einer Verschlechterung der Gesundheitsversorgung von Müttern einhergeht, was das Wohlergehen von Schwangeren und Kindern stark beeinträchtigt. Der fast völlige Zusammenbruch der Gesundheitsinfrastruktur und der fehlende Zugang zu lebenswichtigen medizinischen Leistungen haben zu einem tragischen Anstieg der vermeidbaren Todesfälle bei Müttern und Neugeborenen geführt. Als Vertreter des medizinischen Sektors ist es unsere Pflicht, auf diese erschütternden Fälle aufmerksam zu machen und eine sofortige internationale Intervention zu fordern.


Unsere Teams, bestehend aus internationalen Ärzten, die mit einheimischem palästinensischem Gesundheitspersonal zusammenarbeiten, haben den Zusammenbruch der Gesundheitsinfrastruktur im Gazastreifen bei medizinischen Einsätzen aus erster Hand miterlebt. Die Menschen müssen sich in einer unmöglichen Situation zurechtfinden: Das einst feierliche Ereignis der Geburt ist jetzt zu einer Frage des Überlebens geworden. In Gaza gibt es so gut wie keine Schwangerschaftsvorsorge. Der Anstieg der Frühgeburten ist atemberaubend, oft ausgelöst durch den chronischen Stress der Vertreibung, Unterernährung und das Trauma, Zeugin von Bombardierungen zu sein. Da die Krankenhäuser mit der Bewältigung der Massen von Opfern zu kämpfen haben, sind die Entbindungsstationen nicht mehr funktionsfähig. In einigen Fällen mussten die Frauen ihre Babys im Freien entbinden, unter unhygienischen Bedingungen und ohne die Hilfe von Hebammen oder ÄrztInnen.


Diese Gewalt im Bereich der Reproduktion ist nicht nur eine Folge der militärischen Angriffe –sie ist ein bewusstes Ergebnis der Politik, die den Zugang zur Gesundheitsversorgung einschränkt. Die gezielte Zerstörung von Entbindungskliniken und die Blockade, die die Einfuhr lebenswichtiger medizinischer Güter wie Anästhetika und Entbindungskits in den Gazastreifen verhindert, haben die Schwangerschaft für Tausende von Frauen zu einem lebensbedrohlichen Zustand gemacht.


Unsere KollegInnen im Gazastreifen, einheimische ÄrztInnen, die täglich mit den Schrecken dieser massiven Gewalt konfrontiert sind, berichten von einem beispiellosen Anstieg der Müttersterblichkeit, Fehl- und Totgeburten. Die Unterernährung, unter der viele schwangere Frauen leiden, verschlimmert diese Zustände noch. Ohne Zugang zu angemessener Ernährung oder medizinischer Versorgung sind sie gezwungen, Schwangerschaften unter Bedingungen auszutragen, die für das menschliche Bewusstsein unvorstellbar sind. Die Blockade, die sich nun schon im zweiten Jahrzehnt befindet und in den letzten Monaten immer weiter verschärft wurde, hat das Leiden noch verschlimmert, was für künftige Generationen fatale Folgen hat. Die Verhinderung von Geburten im Gazastreifen ist nicht nur ein Kollateralschaden, sondern ein Verstoß gegen das Völkerrecht und eine düstere Erinnerung an die strukturelle Gewalt, die dieser Bevölkerung auferlegt wird.

 

Was im Gazastreifen geschieht, ist ein tiefgreifendes moralisches Versagen der internationalen Gemeinschaft, die es zugelassen hat, dass diese Gräueltaten unkontrolliert fortgesetzt werden. Humanitäre Grundsätze schreiben vor, dass ZivilistInnen, insbesondere Kinder und schwangere Frauen, geschützt werden müssen. Dennoch wird den Müttern in Gaza jeden Tag ihr grundlegendstes Recht verweigert - die Möglichkeit, in Sicherheit und Würde zu gebären. Die Frauen in Gaza sind nicht nur eine Statistik; sie sind Mütter, die den Verlust von Kindern betrauern, die sie nie kennenlernen werden. Sie sind Überlebende eines Verbrechens, das sie weiterhin ihrer Menschlichkeit beraubt. Die Welt darf nicht länger schweigen. Es ist jetzt an der Zeit zu handeln - den Zugang zur Gesundheitsversorgung wiederherzustellen, Frauen und Kinder zu schützen und die Unantastbarkeit des Lebens zu wahren.




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