Von Rasha Khatib, Martin McKee, Salim Yusuf, veröffentlicht am 5. Juli 2024, The Lancet
(Originalbeitrag und Literaturverweise in englischer Sprache)
Bis zum 19. Juni 2024 wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen seit dem Angriff der Hamas und der israelischen Invasion im Oktober 2023 37 396 Menschen getötet, wie das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten berichtet. Die Zahlen des Ministeriums wurden von den israelischen Behörden angefochten, obwohl sie von den israelischen Geheimdiensten, den Vereinten Nationen und der WHO als korrekt anerkannt wurden. Diese Daten werden durch unabhängige Analysen gestützt, in denen die Veränderungen bei der Zahl der Todesfälle von MitarbeiterInnen des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) mit den vom Ministerium gemeldeten Zahlen verglichen wurden, wobei sich herausstellte, dass die Behauptungen, die Daten seien gefälscht, nicht plausibel sind.
Aufgrund der Zerstörung eines Großteils der Infrastruktur wird es für das Gesundheitsministerium im Gazastreifen immer schwieriger, Daten zu sammeln. Das Ministerium musste seine ansonsten übliche Meldepraxis, die sich auf die in seinen Krankenhäusern gestorbenen oder tot eingelieferten Menschen stützt, durch Informationen aus zuverlässigen Medienquellen und von Ersthelfern ergänzen. Diese Änderung hat zwangsläufig zu einer Verschlechterung der zuvor erfassten detaillierten Daten geführt. Daher weist das Gesundheitsministerium im Gazastreifen nun die Zahl der nicht identifizierten Leichen gesondert aus, die zur Gesamtzahl der Todesopfer hinzukommen. Mit Stand vom 10. Mai 2024 waren 30 Prozent der 35 091 Todesopfer nicht identifiziert.
Einige staatliche Stellen und Nachrichtenagenturen haben diese Entwicklung, mit der die Datenqualität verbessert werden sollte, genutzt, um den Wahrheitsgehalt der Daten zu untergraben. Die Zahl der gemeldeten Todesopfer ist jedoch wahrscheinlich zu niedrig angesetzt. Die Nichtregierungsorganisation Airwars führt detaillierte Bewertungen von Angriffen im Gazastreifen durch und stellt häufig fest, dass nicht alle Namen identifizierbarer Opfer in der Liste des Ministeriums enthalten sind. Darüber hinaus schätzt die UNO, dass bis zum 29. Februar 2024 35 % der Gebäude im Gazastreifen zerstört wurden, so dass die Zahl der noch unter den Trümmern begrabenen Leichen wahrscheinlich beträchtlich ist und auf mehr als 10 000 geschätzt wird.
Bewaffnete Konflikte haben indirekte gesundheitliche Auswirkungen, die über die direkten Schäden der Gewalt hinausgehen. Selbst wenn der Konflikt sofort beendet wird, wird es in den kommenden Monaten und Jahren weiterhin viele indirekte Todesfälle geben, beispielsweise durch reproduktive, übertragbare und nicht übertragbare Krankheiten. Angesichts der Intensität des Konflikts, der zerstörten Infrastruktur des Gesundheitswesens, des gravierenden Mangels an Nahrungsmitteln, Wasser und Unterkünften, der Unfähigkeit der Bevölkerung, an sichere Orte zu fliehen, und des Verlusts von Finanzmitteln für die UNRWA, eine der wenigen humanitären Organisationen, die noch im Gazastreifen tätig ist, wird die Gesamtzahl der Todesopfer aller Voraussicht nach sehr hoch sein.
In früheren Konflikten lag die Zahl der indirekten Todesfälle zwischen dem Drei- und 15-fachen der direkten Todesfälle. Wendet man auf die 37 396 gemeldeten Todesfälle eine vorsichtige Schätzung von vier indirekten Todesfällen pro direktem Todesfall an, so ist die Schätzung nicht unrealistisch, dass bis zu 186 000 oder sogar noch mehr Todesfälle auf den aktuellen Konflikt in Gaza zurückzuführen sein könnten. Legt man die für 2022 geschätzte Bevölkerungszahl des Gazastreifens von 2 375 259 zugrunde, so würde dies 7-9 % der Gesamtbevölkerung des Gazastreifens entsprechen. In einem Bericht vom 7. Februar 2024, als die unmittelbare Zahl der Todesopfer 28 000 betrug, wurde geschätzt, dass es ohne Waffenstillstand bis zum 6. August 2024 zwischen 58 260 Todesopfer (ohne Epidemie oder Eskalation) und 85 750 Todesopfer (wenn beides eintritt) geben würde.
MM ist Mitglied des Redaktionsausschusses des Israel Journal of Health Policy Research und des internationalen Beratungsausschusses des Israel National Institute for Health Policy Research. MM war Mitvorsitzender der 6. Internationalen Jerusalemer Konferenz zur Gesundheitspolitik 2016 des Instituts, schreibt aber in persönlicher Eigenschaft. Er arbeitet auch mit Forschern in Israel, Palästina und dem Libanon zusammen. RK und SY erklären, dass sie keine konkurrierenden Interessen haben. Die Autoren danken den Mitgliedern des Studienteams Shofiqul Islam und Safa Noreen für ihren Beitrag zur Erhebung und Verwaltung der Daten für diese Korrespondenz.
Anmerkung der Redaktion: Die Lancet-Gruppe nimmt eine neutrale Position in Bezug auf territoriale Ansprüche in veröffentlichten Texten und institutionelle Zugehörigkeiten ein.
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