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Studie: 96 % der Kinder in Gaza haben das Gefühl, dass ihr Tod unmittelbar bevorsteht

NGO-Bedarfsanalyse zeigt die enormen psychologischen Auswirkungen des Krieges von Israel auf Kinder.


Von Julian Borger, The Guardian, 11.12.2024


(Originalbeitrag in englischer Sprache)

 

Eine neue Studie über Kinder, die den Krieg im Gazastreifen miterleben, hat ergeben, dass 96 % von ihnen das Gefühl haben, dass ihr Tod unmittelbar bevorsteht, und dass fast die Hälfte aufgrund des Traumas, das sie erlebt haben, sterben möchte.


Eine Bedarfsanalyse, die von einer im Gazastreifen ansässigen und von der Wohltätigkeitsorganisation War Child Alliance gesponserten NGO durchgeführt wurde, ergab außerdem, dass 92 % der befragten Kinder „die Realität nicht akzeptieren“, 79 % unter Albträumen leiden und 73 % Symptome von Aggression zeigen.


„Dieser Bericht macht deutlich, dass Gaza einer der schrecklichsten Orte der Welt ist, um ein Kind zu sein“, sagte Helen Pattinson, Geschäftsführerin von War Child UK. „Neben der Zerstörung von Krankenhäusern, Schulen und Häusern hat eine Spur psychologischer Zerstörung unsichtbare, aber nicht weniger zerstörerische Wunden bei Kindern hinterlassen, die keinerlei Verantwortung für diesen Krieg tragen.“


Im Rahmen der Erhebung wurden Eltern oder BetreuerInnen von 504 Kindern aus Familien befragt, in denen mindestens ein Kind behindert, verletzt oder unbegleitet ist. Die Stichprobe war zwischen dem südlichen und dem nördlichen Gazastreifen aufgeteilt und wurde durch weitere ausführliche Interviews ergänzt. Die Umfrage wurde im Juni dieses Jahres durchgeführt, sodass die kumulierten psychologischen Auswirkungen auf die Kinder im Gazastreifen jetzt, nach mehr als 14 Monaten israelische Angriffe auf das Gebiet, wahrscheinlich als zu gering eingeschätzt werden.


Die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen wird auf mehr als 44.000 geschätzt, und das UN-Menschenrechtsbüro hat kürzlich festgestellt, dass 44 % der Todesopfer, die es verifizieren konnte, Kinder waren.


Die neue psychologische Studie, die am Mittwoch (11.12.2024) veröffentlicht wurde, wurde von einer in Gaza ansässigen Organisation, dem Community Training Centre for Crisis Management, mit Unterstützung der Dutch Relief Alliance und der War Child Alliance durchgeführt.

„Der psychische Leidensdruck für die Kinder ist gravierend, mit einem hohen Maß an Stress, der sich in Symptomen wie Furcht, Angst, Schlafstörungen, Albträumen, Nägelkauen, Konzentrationsschwierigkeiten und sozialem Rückzug äußerte“, heißt es in dem Bericht. „Kinder haben die Bombardierung ihrer Häuser und Schulen miterlebt, den Verlust geliebter Menschen erfahren und wurden auf der Flucht von ihren Familien vertrieben oder getrennt.“


Etwa 1,9 Millionen Palästinenser im Gazastreifen, d. h. etwa 90 % der Gesamtbevölkerung des Gebiets, wurden vertrieben, viele davon mehrmals. Die Hälfte davon sind Kinder, die ihre Zuhause verloren haben und gezwungen wurden, aus ihren Wohnvierteln zu fliehen.


Mehr als 60 % der befragten Kinder gaben an, während des Krieges traumatische Erlebnisse gehabt zu haben, einige waren mehrfach traumatischen Ereignissen ausgesetzt.


Schätzungsweise 17.000 Kinder im Gazastreifen sind unbegleitet und von ihren Eltern getrennt, obgleich die Studie festgestellt hat, dass die tatsächliche Zahl noch viel höher sein könnte.

Der Bericht warnt: „Durch die Trennung von ihren Familien sind diese Kinder einem erhöhten Risiko der Ausbeutung, des Missbrauchs und anderer schwerwiegender Verletzungen ihrer Rechte ausgesetzt.“


„Infolge dieser Belastung entwickeln die Kinder Reaktionen, die noch lange nach dem Ende des Krieges anhalten können und ihr tägliches Leben stark beeinträchtigen“, heißt es weiter. „Traumatische Reaktionen können sich auf verschiedene Weise manifestieren, darunter anhaltende emotionale Not, Angst, Verhaltensänderungen, Beziehungsschwierigkeiten, Regression, Albträume, Schlafstörungen, Essprobleme und körperliche Symptome wie Schmerzen.“


Das Gefühl, dem Untergang geweiht zu sein, ist inzwischen allgegenwärtig. Fast alle Kinder (96 %) hatten das Gefühl, dass ihr Tod unmittelbar bevorstand, und 49 % wünschten sich sogar den Tod, wobei dieses Gefühl bei Jungen (72 %) viel stärker ausgeprägt war als bei Mädchen (26 %).

Nach Angaben von War Child konnten die Hilfsorganisation und ihre Partner bisher 17.000 Kinder im Gazastreifen erreichen, um ihnen psychosoziale Hilfe zukommen zu lassen. Letztlich sollen aber eine Million Kinder mit psychosozialer und anderer Unterstützung erreicht werden, was nach eigenen Angaben die größte humanitäre Aktion in der drei Jahrzehnte langen Geschichte der Organisation wäre.


„Die internationale Gemeinschaft muss jetzt handeln, bevor die psychische Katastrophe bei Kindern, deren Zeuge wir sind, sich zu einem generationenübergreifenden Trauma auswächst, mit dessen Folgen die Region noch jahrzehntelang zu kämpfen haben wird“, so Pattinson.


Julian Borger ist der leitende internationale Korrespondent des Guardian in London. Zuvor war er als Korrespondent in den USA, im Nahen Osten, in Osteuropa und auf dem Balkan tätig.




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