„Im vergangenen Jahr ist es uns dank unserer politischen Macht gelungen, dieses Abkommen ein ums andere Mal zu verhindern.“
Der israelische Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, schrieb am Dienstag (14.01.2025) in einem Beitrag auf X/Twitter, dass seine Partei das Zustandekommen eines Waffenstillstandabkommens bei zahlreichen Gelegenheiten immer wieder verhindert habe
„Während die Kämpfe weiterhin unvermindert andauern und auch in der vergangenen Nacht zahlreiche PalästinenserInnen ums Leben kamen, räumte der rechtsextreme Minister Itamar Ben Gvir offen ein, dass er und andere rechte Kräfte der Regierung Geiselabkommen und Waffenstillstände bewusst verhindert haben. Man fragt sich, wie sich wohl jene Menschen fühlen, die „Bring Them Home“ in Deutschland als Parole hochgehalten haben. Diejenigen, die reflexartig „Bring Them Home“ skandierten, wann immer eine pro-Palästina-Demo stattfand, und die überall „Bring Them Home“- Sticker und Accessoires verteilten, ohne die israelische Regierung jemals kritisch zu hinterfragen. Kommt da jetzt vielleicht ein Hauch von Selbstreflexion auf?“
Mehmed König, deutscher SPD-Politiker
„Was machen die Führer der extremen Rechten, während wir voller Bangen darauf warten, ob das Abkommen zustande kommt? Sie überlegen, wie sie ein weiteres Abkommen sabotieren können.
Gestern Morgen schrie ein Knessetmitglied den Vater von Yehuda Cohen an, dass er seinen Sohn in den Tunneln der Hamas zurücklassen werde. Am Abend kündigte Smotrich seine Ablehnung des Abkommens an, und Ben-Gvir beeilte sich, mit einem Austritt aus der Regierung zu drohen. Sie werden uns weismachen, dass ihre Erwägungen sicherheitsbezogen sind, aber in Wahrheit sind ihre Motive messianisch. Sie wollen den Krieg um jeden Preis fortsetzen, um Siedlungen in Gaza zu errichten.“
Statement von Standing Together (14.01.2025)
„Die Rückkehr in die Vergessenheit. Rückkehr zur absoluten, üblichen Nichtbeachtung. Zurück zur gefühllosen Moral, die zertrümmerte Städte und zerstörte Bevölkerungen als bequemen Hintergrund betrachtet. Der Hunger scheint mit Waffenstillstandserklärungen zu enden. Die Trauer um die verlorenen Leben kann nun ein Ende haben.
Vergiftetes Wasser wird auch morgen noch fließen. Verhungernde Kinder werden noch immer vor hungrigen Hunden weglaufen. Aber all das wird bald keine Rolle mehr spielen. Die Zeit kann wieder stillstehen. Der Frieden ist da, der Frieden ist da.“
Ido Nahari, Sozialwissenschaftler und Schriftsteller (15.01.2025)
„In mir gibt es zwei unterschiedliche Emotionen:
Einerseits Erleichterung für all die Babys, die ohne Bombenlärm einschlafen können. Für diejenigen, die ihre Toten begraben oder mit der Trauer um die Verschwundenen beginnen können. Für die Rückkehr von Hilfsgütern, Impfstoffen, Brot, Decken. Für den Wiederaufbau von Krankenhäusern, Häusern und Schulen. Für die Rückkehr zu den elementarsten Dingen des Lebens, die jeder Mensch auf dieser Erde verdient. Dass diejenigen, die sich organisieren, aufklären und protestieren, dies auch weiterhin tun, ohne dass ein aktiver Völkermord stattfindet.
Andererseits eine tiefe Abscheu für jeden Einzelnen und jede Entität, die diesen Moment vor zwei, drei, fünfzehn, Monaten hätten einleiten können – und es nicht taten. Möge eure Mitschuld zur Rechenschaft gezogen werden, sowohl in eurer eigenen Psyche als auch in den Gerichtssälen der Welt. Vertraut darauf, dass wir nicht vergessen und nicht aufhören werden, euch zur Verantwortung zu ziehen.“
Hala Alyan, Klinische Psychologin und Autorin (15.01.2025)
„Die Zerstörung des Gazastreifens ist die Zerstörung der ganzen Welt.
Die Zerstörung des Gazastreifens ist eine Zerstörung unserer kollektiven Menschlichkeit.
Wir sind alle miteinander verbunden. Und wir werden weiterhin alles tun, was wir können, um diese Katastrophe zu beenden. Unser aller Leben hängt davon ab.“
Statement von Jewish Voice for Peace (14.01.2025)
„Es waren Momente, in denen sich Freude und Trauer mischten. Freude darüber, dass das endlose Blutvergießen aufhören wird; dass die Massaker aufhören werden; dass der Satz 'diese Familie wurde vollständig ausgelöscht' aufhören wird; dass der Satz 'er/sie ist der einzige Überlebende' aufhören wird; dass die Worte 'die Leichen der Getöteten liegen auf den Straßen und niemand ist in der Lage, sie wegzubringen' aufhören werden; dass all dieses Leid nur noch zu einer Erinnerung wird.“
Hossam Shabat, 23-jähriger Journalist aus Gaza-Stadt
„Mein persönliches Gefühl ist, dass ich Angst habe. Ich habe Angst, weil ich nicht bereit bin, die Tatsache zu akzeptieren, dass es im Norden nichts mehr gibt. Dass es meinen Mann und mein Zuhause nicht mehr gibt.“
Shrouq Aila, 30-jährige Journalistin aus Deir al-Balah
„Wie meine Gefühle waren, als ich die Ankündigung hörte? Ich sah das Glück der Menschen und ihre Freudentränen. Aber was mich selbst betrifft, als Journalist, als Mensch und als Palästinenser, der im Norden des Gazastreifens lebt, so habe ich widersprüchliche Gefühle, die von Freude bis Trauer reichen. Ich habe fast 250 Mitglieder meiner Familie verloren. Verwandte von Verwandten: meine Neffen, Nichten, Tanten, deren Söhne und Töchter, meine Onkel und deren Frauen und Kinder. Ich habe eine sehr große Zahl von Menschen verloren. Wir sind eine jener Familien, die in diesem genozidalen Krieg die meisten Toten zu beklagen haben.“
Bilal Salem, 37-jähriger Journalist aus Gaza City
„Zwei Stunden nachdem der Waffenstillstand Inkrafttreten sollte, tötete Israel 19 Menschen und verletzte 39. Israel beschloss, sich nicht an die Waffenstillstandsvereinbarung zu halten, weil die Hamas den Namen der drei Geiseln vor dem Waffenstillstand nicht bekannt gegeben hatte. Die Hamas nannte logistische Gründe als Begründung dafür. Kurzgesagt: innerhalb von zwei Stunden wurden 19 Menschen getötet und 39 verletzt, weil die Namen der Personen, die ohnehin bald freigelassen werden sollten, mit zweistündiger Verspätung mitgeteilt wurden.“
…
„Die Familie meiner Frau gräbt in den Trümmern, um die Leichen von fünfzehn Verwandten zu bergen, die seit Oktober letzten Jahres unter ihrem zerbombten Haus begraben sind. Unter ihnen sind auch die drei Cousinen meiner Frau, eine dieser Cousinen wurde mit ihren beiden Kindern begraben.“
…
„Ich spreche mit Familie und Freunden in Gaza. Viele sagen mir, dass sie sich wünschten, sie wären nicht nach Hause zurückgekehrt, um ihre Häuser und Wohnungen zu sehen. Jedes Haus ist entweder zerstört oder niedergebrannt.
Ich habe nun von so vielen Freunden und Nachbarn erfahren, die getötet wurden. Viele Familien graben mit bloßen Händen in den Trümmern, um die Leichen ihrer Angehörigen zu bergen.“
Mosab Abu Toha, palästinensischer Schriftsteller (19.01.2025)
„Und dann lese ich diesen Satz: „Darüber hinaus werden gemäß der Vereinbarung etwa tausend Gazaner, die seit dem 7. Oktober 2023 in Gaza inhaftiert waren und nicht an dem Massaker beteiligt waren und in Israel nicht strafrechtlich verfolgt wurden, freigelassen.“
Und mir wird klar, dass Israel im Grunde genommen tausend Geiseln aus dem Gazastreifen ohne Gerichtsverfahren entführt hat, nur um sie als Verhandlungsmasse zu benutzen. Und das, nachdem wir wissen, welche körperlichen und sexuellen Folterungen in israelischen Gefängnissen stattfinden.“
Tomer Dotan-Dreyfus, israelischer Schriftsteller (19.01.2025)
„Israel hat soeben die Liste der 95 palästinensischen Gefangenen veröffentlicht, die in den kommenden Tagen freigelassen werden könnten:
- sechs von ihnen sind Kinder, keines davon verurteilt; vier werden ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten
- 79 Personen, die nicht wegen eines Verbrechens verurteilt worden sind, darunter 27, die ohne Anklage oder Prozess festgehalten werden.
Masseninhaftierung ist für Israel ein Instrument der Kontrolle.“
Diana Buttu, Schriftstellerin und Juristin (18.01.2025)
„Seit 400 Tagen fließt in Gaza jede Minute nur Blut. Weißt du, der Krieg tötet nicht nur Körper, er zerstört auch die Seele und jegliche Hoffnung. Er hinterlässt eine Art von Stille, die vor Schmerz schreit.
Wir werden um viele Dinge weinen, wenn am Sonntag der Waffenstillstand beginnt. Wir werden um die Menschen weinen, die wir verloren haben, Freunde, Familienmitglieder. Wir werden um all die Waisenkinder weinen. Wir werden um die Witwen in Gaza weinen. Wir werden um die Invaliden weinen, wir werden um die zerstörten Häuser und Wohnungen weinen. Wir werden um so viele Dinge weinen.“
Abu Abed, Medizinischer Koordinator für Ärzte ohne Grenzen in Gaza (19.01.2025)
Weitere Stimmen aus Gaza, gesammelt von +972Mag:
„Wir alle warten sehnsüchtig auf den Moment, in dem wir uns von diesem anhaltenden Alptraum der Bombardierung, des Tötens und des Hungers erholen können. Ich träume vom Moment, in dem ich meine Kinder und meine Enkelkinder wiedersehen werde. “
Salem Habib, 45, vertrieben nach Al-Mawasi
„Ich werde am ersten Tag des Waffenstillstands zurück in den Norden gehen. Ich werde in mein Viertel zurückkehren, ein Zelt aufstellen und sofort mit dem Unterrichten beginnen.“
Saeed Al-Akhras, Lehrer, vertrieben nach Al-Mawasi
„Die israelische Armee tötete unsere Liebsten, zerstörte unsere Häuser, unsere Schulen, unsere Straßen, unser Hab und Gut. Sie töteten all unsere schönen Erinnerungen. Mein Zuhause und meine Existenzgrundlage wurden zerstört – wofür?“
Momen Ashraf, 35
„Ich habe zwei Söhne verloren und ich bete Tag und Nacht dafür, dass der Waffenstillstand erfolgreich sein wird, ehe ich noch mehr meiner Liebsten verliere.“
Laila Al-Masri, 55, vertrieben nach Gaza Stadt
Als der amerikanische Präsident Joe Biden am Mittwoch vom Weißen Haus aus das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas verkündete, wiederholte er in seiner Ansprache ein wichtiges Detail: dass es sich bei dem jetzt angenommenen Abkommen um dasselbe handelt, das bereits im Mai 2024 auf dem Tisch lag.
Das jetzige dreistufige Waffenstillstandsabkommen ist nahezu identisch mit einer Vereinbarung, die Biden im Mai ankündigte und die von Ägypten und Katar, die die Verhandlungen mit der Hamas geführt hatten, ausgearbeitet worden war. Die Hamas hatte die Vereinbarung akzeptiert, die auch vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unterstützt worden war. Der israelische Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, schrieb am Dienstag (14.01.2025) offen in einem Beitrag auf X/Twitter, dass seine Partei das Zustandekommen eines Geisel- und Waffenstillstandabkommens bei zahlreichen Gelegenheiten immer wieder verhindert habe.
ExpertInnen sind sich einig, dass eine Einigung weitaus früher erzielt werden hätte sollen und können. Die achtmonatige Verzögerung hatte den Tod Abertausender PalästinenserInnen sowie israelischer Geiseln zur Folge.
„Wäre ein Waffenstillstand für den Gazastreifen auch nur zwei Wochen früher vereinbart worden, wären mehr als 120 palästinensische Kinder noch am Leben. 120 Kinder.“, so UNICEF-Sprecher James Elder.
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