Hochrangige Ärzte und Chirurgen beschreiben die Folter, den Hunger, die Demütigung und die Verweigerung medizinischer Versorgung, die sie ertragen mussten, während sie ohne Anklage festgehalten wurden.
Von Hoda Osman, Annie Kelly, Farah Jallad und Aseel Mousa; The Guardian, 26. Februar 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache und dazugehörendem Fotomaterial)
Dr Mohammed Abu SelmiaBeruf: Leiter des al-Shifa-Krankenhauses
Verschleppt am 22.November 2023
Freigelassen am 1. Juli 2024
Alter: 51
„An vielen Tagen war ich im Verhörraum an einen Stuhl gefesselt, vielleicht 15 Stunden lang. Ich durfte weder schlafen noch essen oder trinken. Sie fesselten meine Arme sehr schmerzhaft an den Stuhl, und wenn sie mich schlugen, legten sie ihre Hände oder Beine auf meine Brust, um meinen Rücken zu beugen.
Nach etwa einem Monat wurde ich in das Lager Ofer in Ramallah verlegt. Der gesamte Verlegungsprozess war eines der schlimmsten Dinge, an die ich mich erinnern kann. Wenn man als jemand aus dem Gazastreifen zum ersten Mal in ein neues Gefängnis kommt, ist man einer besonderen Form der Folter und Demütigung ausgesetzt. An diesem Tag waren wir vier Ärzte –keiner von uns ist mehr jung, und es war sehr schwer zu ertragen.
Ehrlich gesagt, egal wie lange ich über das, was ich in der Haft erlebt habe, rede, es ist nur ein Bruchteil dessen, was wirklich passiert ist. Ich spreche davon, dass ich mit Knüppeln geschlagen, mit Gewehrkolben traktiert und von Hunden angegriffen wurde.
Nachts wurde ich wieder in meine Zelle gebracht, aber sie lassen einen nie schlafen; die Klimaanlage ist an und sie schalten das Licht nicht aus. Es gibt Kameras in der Zelle, die einen filmen. Es ist furchtbar. Die ganze Nacht hört man die Stimmen der Menschen um einen herum schreien. Ich habe Menschen gesehen, die dort im Sterben lagen. Jeder Tag ist eine Demütigung, jeder Tag ist eine Erniedrigung.“
Dr Issam Abu Ajwa
Beruf: Allgemeinchirurg am al-Ahli-Arab-Krankenhaus
Verschleppt am 17. Dezember 2023
Freigelassen am 1. Juli 2024
Alter: 63
„In der Haft musste man auf dem Boden schlafen, der mit kleinen, spitzen Steinen bedeckt war, die Hände und Beine gefesselt und die Augen verbunden. Sie übergossen mich mit kaltem Wasser, stellten Ventilatoren auf und brachten starke Klimaanlagen mit. Sie spielten 24 Stunden am Tag laute Musik.
Bei den Verhören war es dunkel und meine Hände und Füße waren gefesselt. Sie ließen mich zwei oder drei Stunden lang auf den Zehenspitzen stehen, warfen mich dann auf den Boden und bespritzten mich mit Wasser. Dann schlugen mich drei oder vier Wachen.
Nach monatelanger Haft verlegten sie mich in das Negev-Gefängnis in der Wüste. Es war Sommer und sehr heiß. Sie sperrten uns in Zelte. Wir mussten um Erlaubnis bitten, auf die Toilette gehen zu dürfen, aber die Kranken durften nicht gehen und wurden aufgefordert, sich zu beschmutzen.
Wir steckten uns mit Krätze an, weil wir uns sechs Monate lang nicht gewaschen oder unsere Kleidung gewechselt hatten. Der Körper fühlte sich an, als ob er brennen würde, aber sie wollten uns nicht behandeln.
Wir durften nur einmal am Tag heißes Wasser aus der Leitung trinken. Wir hatten keine Schuhe und mussten zwei oder drei Stunden lang bei 37 Grad Celsius mit bloßen Füßen auf dem Asphalt stehen. Zu essen gab es nur Joghurt und ein bisschen Reis. Ich habe die Hälfte meines Körpergewichts verloren. Sie haben mich nie wegen irgendetwas angeklagt, und während der siebenmonatigen Gefangenschaft hatte ich keinen Zugang zu einem Anwalt.“
Dr Khaled Serr
Beruf: Chirurg am Nasser-Krankenhaus
Verschleppt am 25. März 2024
Freigelassen am 1. Oktober 2024
Alter: 33
„Am 25. März befanden wir uns im Nasser-Krankenhaus, das nach Angriffen der israelischen Armee stark zerstört worden war, als diese das Krankenhaus stürmte. Sie forderten uns über Lautsprecher, die auf Drohnen montiert waren, zur Evakuierung auf. Wir verließen das Krankenhaus, wo israelische Panzerfahrzeuge und Soldaten stationiert waren, die ihre Gewehre und Panzerkanonen auf uns richteten.
Wir wurden angewiesen, uns vollständig auszuziehen und wurden dann in einer Reihe zu einer Grube geführt, die vorher neben dem Krankenhaus vorbereitet worden war. Das gesamte medizinische Personal wurde in diese Grube gesteckt, [dann] wurden wir in ein Militärfahrzeug geworfen und über die Grenze vom Gazastreifen nach Israel gebracht.
Während des gesamten Transports wurden wir am ganzen Körper brutal und schwer geschlagen. Ich erlitt Knochenbrüche auf der rechten Seite, die mich während der ersten drei oder vier Monate der Haft stark beeinträchtigten. Ich wurde nie medizinisch versorgt.
Nach zwei oder drei Stunden erreichten wir das Gefängnis. Unsere Namen und Nummern wurden notiert, und wir wurden mit verbundenen Augen und mit Metallhandschellen an den Händen in das Gefangenenlager Sde Teiman geführt.
Ich wurde in einen offenen Raum gebracht, der von Metallgittern umgeben war, wie ein Lagerhaus. Wir bekamen eine Matte, die nicht mehr als einen halben Zentimeter dick war, und mussten dann von 5 Uhr morgens bis 22 Uhr abends in der gleichen Position sitzen. Es war absolut verboten, zu sprechen. Wir hatten die ganze Zeit die Augen verbunden und unsere Hände in Metallmanschetten.
Ich befand mich in einem Schockzustand, ich wollte nicht wahrhaben, dass ich in diesem Gefängnis bin und versuchte, alles zu vermeiden, was eine Bestrafung bedeuten könnte. Doch am dritten Tag stürmte eine israelische Spezialeinheit mit Hunden und Schlagstöcken das Gefängnis. Man befahl uns, uns auf den Boden zu legen. Wenn jemand den Kopf hob, wurde er schwer verprügelt. Ich wurde geschlagen, wo ich lag, und hörte die Schreie der Gefangenen, die ausgesondert worden waren. Viele erlitten bleibende körperliche Behinderungen.“
Dr Bassam Miqdad
Beruf: Leiter der orthopädischen Station am European Hospital
Verschleppt am 24. Jänner 2024
Freigelassen am 1. Juli 2024
Alter: 58
„In Gaza sind wir an den Krieg gewöhnt, aber dieses Mal war es anders. Im Krankenhaus [während des Krieges] begann man, seine Seele zu verlieren angesichts der schrecklichen Szenen, die wir jeden Tag sahen. Dinge, die schwer zu beschreiben oder in Worte zu fassen sind, weil sie so furchtbar waren. Tag für Tag wurden die Erschöpfung und die Arbeit größer. Ich war ständig am Rande des Zusammenbruchs.
Als ich mit meiner Familie versuchte, das belagerte Khan Younis zu verlassen, wurde ich an einem Kontrollpunkt aus der Warteschlange gezogen. Sie sagten mir, ich solle mich bis auf die Unterwäsche ausziehen, ich musste alles andere auf dem Boden liegen lassen – meinen Ausweis, sogar meine Socken, ich musste barfuß weitergehen.
Sie fragten mich nach meinem Namen und meinem Beruf, und als ich sagte, ich sei Arzt, legten sie mir Handschellen an und verbanden mir die Augen. Ich wusste nicht, was vor sich ging. Um mich herum hörte ich Menschen schreien. Dann begann ich, von einer Gruppe von Soldaten geschlagen zu werden.
Wir wurden alle in ein Transportfahrzeug gesteckt, wo wir mit Stöcken geschlagen wurden. Sie urinierten auf uns. Sie benutzten Schimpfwörter, die ich nicht wiederholen kann. In dem Transportfahrzeug liegt man auf einem Haufen, die anderen Menschen liegen auf einem drauf. Wir waren alle noch mit Augenbinden und Handschellen gefesselt. Mir wurde befohlen, herunterzuspringen, und ich fiel hin und brach mir den Knöchel, aber ich musste aufstehen und mit dieser Verletzung gehen, wobei mein Rücken um 90 Grad nach hinten geneigt war.“
Dr Mahmoud Abu Shahada
Beruf: Leiter der orthopädischen Chirurgie-Station am Nasser Krankenhaus
Verschleppt am 22. November 2023
Freigelassen am 1. Juli 2024
Alter: 42
„Das gesamte medizinische Personal war zwischen dem Verwaltungsgebäude und dem alten Nasser-Gebäude aufgereiht. Sie zwangen uns, unsere Kleidung auszuziehen. Dann wurden wir in das Entbindungsgebäude gebracht, wo unsere Personalien überprüft wurden. Wir wurden mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt, bekamen die Augen verbunden und wurden in das Erdgeschoss des Gebäudes gebracht. Wir wurden gedemütigt und erniedrigt und mussten schwere Schläge einstecken. Von der späten Freitagnacht bis in die frühen Morgenstunden des Samstags ließ man uns kalt und nackt und übergoss uns mit kaltem Wasser.
Am frühen Morgen des 17. wurden wir in große, offene Lastwagen verladen und in Haftanstalten [in Israel] gebracht. Während des Transports wurden wir mit Wasser übergossen und schwer geschlagen.
Später wurden wir in das Lager Ofer gebracht, das aus Räumen mit jeweils 15 bis 20 Gefangenen bestand. Dort wurden wir weiterhin geschlagen und gedemütigt. Gruppen von Soldaten betraten den Raum und trugen Masken. Sie nahmen uns Essen und Wasser weg und warfen es draußen weg.
Ich verbrachte fast drei Monate in Ofer. Das Essen, das sie uns gaben, waren kleine Brotstücke mit etwas Joghurt und einem Löffel Marmelade. Das war nicht genug, um uns am Leben zu erhalten.“
Dr Said Maarouf
Beruf: Kinderarzt am al-Ahli-Arab-Krankenhaus
Verschleppt am 18. Dezember 2023
Freigelassen am 2. Februar 2024
Alter: 57
„Als der Krieg begann, arbeitete ich weiter. Es gab viele Verletzte, und Krankheiten waren weit verbreitet, aber es gab nur sehr wenige von uns Ärzten. Ich war im Kamal Adwan Krankenhaus und blieb dort, bis wir von der israelischen Armee den Befehl erhielten, das Krankenhaus zu verlassen. Ich verließ es und ging zum al-Ahli Krankenhaus, wo ich verhaftet wurde.
Ich wurde in meinem Krankenhaus verhaftet, zusammen mit meinem Sohn, der Medizin studiert und im ersten Jahr der Universität ist. Von Anfang an wurden wir gefoltert. 45 Tage lang wurde ich im Gefangenenlager Sde Teiman schwer gefoltert und bekam nichts zu essen. Zu diesem Zeitpunkt war ich erschöpft und krank. Wir bekamen keine medizinische Behandlung. Ich habe 25 Kilo abgenommen. Ich konnte nicht mehr stehen, essen oder mich bewegen.“
Dr Saleh Eleiwa
Beruf: Arzt, im Ausbildungsprogramm für Notfallmedizin
Verschleppt am 18. November 2023
Freigelassen am 4. April 2024
Alter: 30
„Ich wurde am Kontrollpunkt Netzarim verhaftet und insgesamt 138 Tage lang festgehalten. Die ersten beiden Tage verbrachte ich im Lager Sde Teiman, danach wurde ich in das Lager Ofer verlegt, wo ich 130 Tage lang blieb.
Zu den Folterungen und Misshandlungen, die ich erdulden musste, gehörten Zwangsentkleidung, Hunger, Einzelhaft und der Entzug grundlegender Hygienerechte wie Baden oder Kleiderwechsel. Wir wurden täglich geschlagen, hatten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und erhielten keine notwendigen Medikamente. Selbst Gefangene mit chronischen Krankheiten, die zum Arzt gebracht wurden, wurden oft von den Ärzten selbst geschlagen. Die Verhöre waren erbarmungslos und fanden rund um die Uhr statt.“
Dr Ahmad Mhanna
Beruf: Anästhesist und Spezialist für Intensivmedizin
Verschleppt am 16. November 2023
Freigelassen -*
Alter: 50
„Ich wurde in eine Militärkaserne gebracht, wo ich 21 Tage verbrachte. Während dieser Zeit brachten sie mich in die so genannte „Disco“ - einen Verhörraum mit ohrenbetäubender Musik und eisigen Temperaturen. Ich schlief auf Kieselsteinen und trug nur einen dünnen Trainingsanzug. Man sagte mir, ich würde noch am selben Tag entlassen werden, aber stattdessen wurde ich ins Naqab-Gefängnis gebracht.
Dort wurde die Demütigung noch schlimmer. Sie beschimpften meine Familie und meine Religion. Sie ließen den Hund aus einer Schüssel mit Wasser trinken und schütteten den Rest über mich. Ich fiel auf den Boden, weil meine Beine gefesselt waren. Sie lachten und traten mich in die Seite.
Einmal zwangen sie mich, sechs Stunden lang in der Kälte zu stehen, mit erhobenen Armen und gefesselt, bevor sie mich verhörten. Ich sagte ihnen jedes Mal das Gleiche: „Ich bin Arzt. Ich gehöre zu keiner anderen Gruppe.“
Eine medizinische Versorgung gab es nicht. Wenn ich nachts Fieber hatte, weigerten sie sich, mir ein Schmerzmittel zu geben. Hautkrankheiten waren an der Tagesordnung. Obst und Gemüse gab es fast gar nicht. Wir bekamen ein Viertel einer Gurke oder Karotte, nie mehr. Jeder Tag war ein Kampf gegen die Erniedrigung.“
*Zeugnis aus einem Brief an Mhannas Familie, der seinem Anwalt diktiert wurde. Dr. Mhanna wurde bis heute nicht freigelassen.
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In einer Erklärung erklärten die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF): „Während der Kämpfe im Gaza-Streifen wurden Verdächtige terroristischer Aktivitäten festgenommen. Die betreffenden Verdächtigen wurden zur weiteren Inhaftierung und Befragung nach Israel gebracht. Diejenigen, die nicht in terroristische Aktivitäten verwickelt sind, werden so schnell wie möglich wieder in den Gazastreifen entlassen.“ Die israelische Armee teilte mit, dass sie jedem Gefangenen angemessene Kleidung, eine Matratze, regelmäßiges Essen und Trinken zur Verfügung gestellt hat und dass sie Zugang zu medizinischer Versorgung hatten. Auch das Anlegen von Handschellen erfolge in Übereinstimmung mit den Richtlinien der israelischen Armee. Sie erklärte, dass Vorfälle bekannt seien, bei denen Häftlinge in der Haft gestorben seien, und dass zu jedem dieser Todesfälle Untersuchungen durchgeführt worden seien. „Die israelische Armee handelt im Einklang mit israelischem und internationalem Recht, um die Rechte der Gefangenen in den Haft- und Vernehmungseinrichtungen zu schützen“, hieß es.

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