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Palästinensischer Arzt wurde in israelischem Gefängnis zu Tode gefoltert – israelische Behörden hielten die Nachricht monatelang unter Verschluss

Wie die israelische Tageszeitung Haaretz gestern berichtete, hat der israelische Gefängnisdienst die Essensrationen für palästinensische Gefangene so stark gekürzt, dass sie zu verhungern drohen. Viele Gefangene haben Berichten zufolge bereits etliche Kilogramm an Körpermasse verloren. Haaretz berichtet außerdem, dass israelische Beamte aktiv Informationen über Israels Versäumnis, Gefangene angemessen zu ernähren, so wie es das Völkerrecht vorschreibt, verheimlicht haben. In einem Schreiben an den Obersten Gerichtshof Israels sprach sich der rechtsextreme israelische Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, weiterhin für die Kürzung der Rationen für Gefangene aus und bezeichnete diese Politik als "Abschreckungsmaßnahme".[1] 


Im Folgenden finden Sie die Übersetzung eines Berichts über Dr. Iyad al-Rantisi, einem 53-jährigen Gynäkologen. Er ist – nach Dr. Adnand Al Bursh – der zweite palästinensische Arzt aus Gaza, der seit dem 7. Oktober in israelischer Haft an den Folgen von Folter gestorben ist.


Palästinensischer Arzt wurde in israelischem Gefängnis zu Tode gefoltert – israelische Behörden hielten die Nachricht monatelang unter Verschluss


Familie und Freunde von Dr. Iyad al-Rantisi, einem 53jährigen Gynäkologen, waren schockiert, als sie erfuhren, dass er in israelischer Gefangenschaft gestorben ist. Jetzt suchen sie nach einer Erklärung.

Von Aseel Musa, Middle East Eye, 27. Juni 2024

(Originalbeitrag in englischer Sprache)

 

Dina al-Rantisi erinnert sich an die letzten Worte, die sie ihrem Vater sagte, bevor er von israelischen Soldaten mitgenommen wurde und weniger als eine Woche später im Gefängnis starb.


"Ich war neben ihm", sagte Dina, eine Palästinenserin mit Wohnsitz in Gaza, gegenüber Middle East Eye. "Ich konnte meine Hände nicht bewegen, ihn nicht umarmen und nichts tun. Die Besatzungstruppen hatten uns befohlen, zu gehen, ohne nach rechts oder links zu schauen", erinnerte sie sich.


Dr. Iyad al-Rantisi, Dinas Vater, verließ am 10. November mit seiner Familie den nördlichen Gazastreifen in Richtung Süden, über den von Israel als "sicher" bezeichneten Korridor, als er von den israelischen Streitkräften aufgehalten wurde. Er wurde aus der Menschenmenge herausgeholt und mitgenommen, während seine Familie aufgefordert wurde, weiterzugehen.

"Ich habe an diesem Tag sehr viel geweint", sagte Dina, 19. "Die letzten Worte, die ich zu ihm sagte, waren: 'Möge Gott dich beschützen, mein liebster Vater.'"


In den folgenden sieben Monaten blieb Dr. al-Rantisi, 53, verschwunden. Dina hatte keine Informationen über seinen Verbleib. Ihre Hoffnungen, ihn wiederzusehen, wurden Anfang dieses Monats zerstört, als bekannt wurde, dass er sechs Tage nach seiner Verhaftung in israelischer Haft "unter Folter" gestorben war. "Ich konnte nicht glauben, dass er gestorben ist", sagte Dina. "Selbst jetzt kann ich nicht begreifen, dass er nicht mehr in meinem Leben ist."


Zu Beginn des israelischen Krieges gegen den Gazastreifen weigerte sich Dr. al-Rantisi, Leiter der Entbindungsstation des Kamal-Adwan-Krankenhauses, Gaza-Stadt zu verlassen und zog es vor, bei seinen Patientinnen zu bleiben und seine humanitäre Mission zu erfüllen Doch nach einem Monat intensiver israelischer Bombardierung und Belagerung, bei der auch Krankenhäuser beschossen wurden, beschloss er, seine Familie in Sicherheit zu bringen. Noch im OP-Kittel machte er sich mit seiner Frau, den Kindern Ahmed (23), Dina (19) und Muhammad (15) sowie seiner älteren Schwester Ibtisam in Richtung Süden auf.


Er nahm den von der israelischen Armee ausgewiesenen Weg, da er davon ausging, dass er auf diese Weise sicheres Geleit erhalten würde. Aber weder das noch seine als Mediziner erkennbare Kleidung sollten einen Unterschied machen.


"Krankenpfleger, herkommen", sagte der Soldat, als er ihn entdeckte, so Dina. Dies war das letzte Mal, dass sie ihren Vater sah.

 

Liebe, Sehnsucht und Hoffnung

Über den Tod von Dr. al-Rantisi berichtete Haaretz erstmals am 18. Juni. Nach Angaben der israelischen Tageszeitung starb er sechs Tage nach seiner Verhaftung am 10. November in einer Vernehmungseinrichtung des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet. Die Nachricht von seinem Tod wurde jedoch von den israelischen Behörden über sechs Monate lang unter Verschluss gehalten, die Zeitungen durften nichts darüber veröffentlichen. Während dieser Zeit ging Dr. al-Rantisis Familie noch immer davon aus, dass er noch am Leben war, und hoffte, ihn bald wiederzusehen. "Meine Familie und ich haben immer auf eine Nachricht gewartet und Tag und Nacht für seine Freilassung gebetet", sagte Dina. "Warum hat Israel falsche Hoffnungen in unsere Herzen gepflanzt?"


Das Leben ohne ihren Vater ist ebenso anstrengend wie das Leben in der Vertreibung, wo einfache Dinge wie das Beschaffen von Wasser ein täglicher Kampf sind.

Aber am meisten vermisse sie seine Liebe.


"Ich drehte zahlreiche Videos mit meinem Handy und dokumentierte alles, was uns widerfuhr, in meinem Tagebuch, einschließlich all des Leids, das wir erlebten. Ich schrieb über meine Liebe zu ihm und hoffte, dass ich all dies mit ihm teilen werden könne, wenn er frei wäre.“ Für Dina war Iyad mehr als nur ein Vater; er war auch ein Freund, ein Mentor und ihr enger Vertrauter. "Mein Vater war ein außergewöhnlicher Mensch", sagt Dina, die Pharmazie studiert. "Er hat sich seit meiner Kindheit intensiv um mich gekümmert, er nannte mich 'Doktor Dina'. Er hat mich immer ermutigt, in meinem Studium hervorragende Leistungen zu erbringen und ein Hochschulstudium zu absolvieren."


Der Tod von Dr. al-Rantisi sei ein Schock für die Familie gewesen, so Dina. Aber jetzt wollen sie nur noch ein letztes Mal seinen Leichnam sehen.  "Ich möchte mich von ihm verabschieden. Ich möchte ihn sehen. Ich vermisse ihn so sehr. Ich bitte die internationale Gemeinschaft und die internationalen Organisationen, die Gefangenen nicht zu vergessen, insbesondere die Ärzte. Wie kann ein Arzt von einer humanitären Mission in eine Inhaftierung gelangen und dann ermordet werden?".

 

Zu Tode gefolterte Ärzte

Dr. Iyad al-Rantisi ist der zweite palästinensische Arzt aus dem Gazastreifen, der seit dem 7. Oktober in israelischer Haft an den Folgen von Folter gestorben ist.  Im April wurde der prominente palästinensische Chirurg und Professor für orthopädische Medizin, Dr. Adnan al-Bursh, in israelischer Haft durch Folter getötet, wie die Palästinensische Gefangenengesellschaft mitteilte.


Bei den anhaltenden Angriffen auf Gaza hat die israelische Armee mindestens 500 medizinische Mitarbeiter getötet und mehr als 310 festgenommen. Die verheerenden Angriffe, die nun schon den neunten Monat andauern, haben das Gesundheitssystem des Gazastreifens zerstört, Krankenhäuser und Kliniken wurden bombardiert und gestürmt, Ärzte und medizinisches Pflegepersonal ins Visier genommen. Schätzungsweise 4.000 bis 5.000 Palästinenser wurden bisher in Gaza inhaftiert, darunter Frauen, Kinder, ältere Menschen, SanitäterInnen, JournalistInnenen, Ärzte und MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen.


Den israelischen Behörden wird seither weit verbreitete und systematische Folter und Misshandlung von palästinensischen Häftlingen vorgeworfen. Dies hat zum Tod von rund 60 Palästinensern in israelischem Gewahrsam geführt, von denen mindestens 40 aus dem Gazastreifen stammen, wie Middle East Eye auf der Grundlage von Medienberichten feststellte.

Etwa 1.500 wurden bisher wieder freigelassen, viele von ihnen haben jene Misshandlungen beschrieben, denen sie ausgesetzt waren. Dazu gehören sexueller Missbrauch, Stromschläge, Schläge, Nahrungs- und Schlafentzug, Demütigung und erniedrigende Positionen, Urinieren auf die Gefangenen. Ebenso mussten enge Handschellen lange Zeit getragen werden, was zu schweren Verletzungen führte, die in einigen Fällen Amputationen zur Folge hatten.


Überlebende berichteten, dass inhaftierte Ärzte noch grausamer behandelt wurden als andere Häftlinge. 


Dr. Hossam Abu Safiya, der Direktor des Kamal Adwan Krankenhauses, sagt, er war "unendlich traurig", als er vom Tod seines Kollegen, Dr. al-Rantisi, erfuhr. "Ich möchte die Einzelheiten von Iyads Tod erfahren", sagte Dr. Abu Safiya gegenüber MEE. Dr. al-Rantisi sei vor seiner Verhaftung ein gesunder Mann gewesen und habe an keiner Krankheit gelitten, so Dr. Safiya. Er fügt hinzu, dass er erfahren habe, dass der 53-Jährige "schweren Schlägen und Folter ausgesetzt war", was zu inneren Blutungen im Magen führte, die von den israelischen Behörden unbehandelt blieben und schließlich zu seinem Tod führten. Der Verlust von Dr. al-Rantisi bedeute den Verlust eines weiteren talentierten und engagierten Arztes in Gaza, so Abu Safiya, und schwäche das Gesundheitssystem weiter. "Dr. al-Rantisi war bekannt für seine Höflichkeit, seine Moral, seine Gutherzigkeit und sein großes Engagement für seine Arbeit. "Er riskierte sein Leben im Dienst der Patientinnen und hat seine humanitäre Pflicht nie aufgegeben."


Die israelischen Behörden haben keine Erklärung zu den Umständen der Tode von Dr. al-Rantisi und Dr. al-Bursh abgegeben.  

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