Journalisten können nicht berichten und Rettungskräfte können die Opfer der israelischen Offensive, die jegliche Bewegung und Kommunikation behindert, nicht retten.
Von Bethan McKernan und Malak A Tantesh, The Guardian, 29. Oktober 2024
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Als die Internetverbindung in Jabalia im nördlichen Gazastreifen nach einem erneuten Stromausfall am vergangenen Donnerstag wiederhergestellt war, meldete sich der Al-Jazeera-Journalist Anas Al-Sharif auf seinen Social-Media-Konten, um die Welt darüber zu informieren, was in den Stunden, in denen das Gebiet offline war, geschehen war. Israelische Luftangriffe hatten mehrere Häuser in derselben Straße im Viertel al-Hawaja getroffen und schätzungsweise 150 Menschen getötet oder verwundet - aber niemand wisse es genau.
Die sich ständig verschlimmernde israelische Belagerung von Jabalia und mehreren anderen Teilen des nördlichen Gazastreifens – durch Panzer und Bodentruppen – hatte zur Folge, dass Zivilschutzteams und Sanitäter nicht kommen konnten, um die unter den Trümmern Eingeschlossenen zu retten. Auch ReporterInnen konnten nicht kommen, außer al-Sharif, der in der Nähe wohnt. „Kein Zivilschutz, keine Berichterstattung, nichts als Tod und Zerstörung“, sagte er in einem Video aus der stillen, dunklen Straße. „Keiner kommt, um sie zu retten.“
Mehrere Tage später gibt es immer noch keine offiziellen oder umfassenden Berichte über die Angriffe auf al-Hawaja, eine Situation, die sich im gesamten nördlichen Gazastreifen wiederholt, da Bewegung und Kommunikation nach vier Wochen einer erneuten israelischen Offensive auf das Gebiet immer schwieriger werden.
Israel hat während seinem einjährigen Krieg gegen die Hamas, die durch den Angriff der militanten palästinensischen Gruppe am 7. Oktober 2023 ausgelöst wurde, routinemäßig die Telefon- und Internetnetze im Gazastreifen blockiert. Die Netze sind auch regelmäßig offline, weil die Infrastruktur beschädigt ist oder es an Strom oder Treibstoff für Generatoren mangelt.
ZivilistInnen, humanitäre HelferInnen, ÄrztInnen und MedienmitarbeiterInnen vor Ort im nördlichen Gazastreifen berichten jedoch, dass sich das Problem verschlimmert und lebensrettenden Maßnahmen der Rettungskräfte und MedizinerInnen sowie die Möglichkeit der JournalistInnenen, darüber zu berichten, beeinträchtigt.
Die Kommunikation zwischen Krankenhäusern, Gesundheitspersonal und Hilfsorganisationen wird immer schlechter, und die Kämpfe am Boden haben die Fortbewegung zunehmend gefährlicher gemacht, so dass es schwierig ist, die Versorgung und Behandlung zu koordinieren und die Daten der Verletzten genau zu erfassen. Der Zivilschutz hat seine Tätigkeit am vergangenen Mittwoch eingestellt, nachdem sie von der israelischen Armee angegriffen und das letzte Löschfahrzeug durch Panzerbeschuss zerstört worden war.
Raja, eine 28-jährige Apothekerin, tat zusammen mit zwei Freunden ihr Bestes, um den Verwundeten nach den Luftangriffen in Beit Lahia am Samstag zu helfen, bei denen mindestens 40 Menschen getötet wurden. Es gab keine Möglichkeit, die nur noch notdürftig in Betrieb befindlichen drei Krankenhäuser zu erreichen, und Krankenwagen kamen nicht; eine unbekannte Zahl von Menschen ist wahrscheinlich unter den eingestürzten Gebäuden begraben.
„Wir halfen, indem wir die Verletzten trugen oder auf Eselskarren transportierten, und wir brachten sie zu unserem Haus. Wir hatten ein paar Utensilien, mit denen wir erste Hilfe leisten konnten, aber wir mussten mit ansehen, wie sie alle ihren letzten Atemzug taten. Ein kleiner Junge mit offenem Schädel lebte noch, ich weiß nicht, wie“, sagte sie. „Das ist es, was am meisten schmerzt, sich so machtlos zu fühlen. Wenn es Krankenwagen gegeben hätte, wären die meisten von ihnen jetzt noch am Leben.“
Israels neue Luft- und Bodenoffensive im nördlichen Gazastreifen hat nach Angaben von MedizinerInnen und des Gesundheitsministeriums mindestens 800 Menschen getötet. Die schätzungsweise 400.000 Menschen, die dort ausharren, sprechen von den bisher schlimmsten Bedingungen seit Beginn des Krieges. Israel hat Krankenhäuser und Notunterkünfte angegriffen, und Lebensmittel und Wasser werden knapp, da Hilfslieferungen blockiert werden und sich die Belagerung auf Jabalia, Beit Lahia und Beit Hanoun konzentriert, wodurch die Bewegungsfreiheit immer weiter eingeschränkt wird. Mehrere Menschen, mit denen der Guardian sprach, sagten, dass ihnen vor mehr als einer Woche das saubere Wasser ausgegangen sei und dass sie täglich kleine Mengen Abwasser trinken müssten, um zu überleben.
Das israelische Militär bestreitet, dass es systematisch versucht, PalästinenserInnen aus diesem Gebiet zur Flucht in den Süden des Streifens zu zwingen.
Der Stromausfall und die Bewegungseinschränkungen tragen ebenfalls dazu bei, dass über das Blutvergießen und das Leid, das durch die neue israelische Offensive im Norden des Streifens verursacht wird, nicht oder nur verzögert berichtet wird.
Zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten scheint Israel seine Kampagne gegen die umkämpften Journalisten des Streifens verstärkt zu haben: Fünf Reporter wurden am Wochenende bei israelischen Luftangriffen getötet, und letzte Woche behauptete Israel, dass sechs weitere, die noch im nördlichen Gazastreifen arbeiten - darunter al-Sharif - Mitglieder der Hamas oder des Palästinensischen Islamischen Dschihad seien, was sie zu potentiellen Zielen macht.
Einem neuen Bericht des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte zufolge hat Israel bisher mindestens 170 Journalisten getötet und 86 Medieneinrichtungen im Gazastreifen zerstört.
Fiona O'Brien, die britische Direktorin von Reporter ohne Grenzen, sagte dazu: „Wir sind zutiefst entsetzt über die anhaltenden unbegründeten Anschuldigungen, die Journalisten im Gazastreifen mit Terrorgruppen in Verbindung bringen ... Die Veröffentlichung von Dokumenten durch Israel, in denen dies behauptet wird, ist kein ausreichender Beweis oder eine Lizenz zum Töten und bringt sie in noch größere Gefahr. Israel hat systematisch versucht, die Medienberichterstattung über den Gazastreifen zu unterbinden und zu verhindern, dass die Geschichte an die Öffentlichkeit gelangt, vor allem durch die Tötung von Journalisten. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass mindestens 32 von ihnen wegen ihrer Arbeit ins Visier genommen wurden, bisher ohne jegliche Konsequenzen für Israel.“
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