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Neuer UN-Bericht: „Mehr als ein Mensch ertragen kann": Israels systematische Anwendung sexueller, reproduktiver und anderer Formen geschlechtsspezifischer Gewalt seit Oktober 2023


„Die Soldaten befahlen uns allen, Männern und Frauen, uns auszuziehen und weiterzugehen, sie befahlen uns, nur nach vorne zu schauen. Ich lief nackt zwischen den Panzern durch, ich trug nicht einmal mehr Unterwäsche. Ein israelischer Soldat spuckte mir ins Gesicht. Ich zwang mich, nicht zu reagieren, da ich wusste, dass sie mir sonst jeden Knochen im Körper brechen würden.“

 


„Ich lag auf dem Boden und war völlig nackt. Die Soldaten verlangten, dass ich die israelische Flagge küsse, aber ich weigerte mich, woraufhin sie mich heftig schlugen und auf meine Genitalien traten. Daraufhin musste ich mich übergeben. Ich hatte Schmerzen und meine Hoden waren von den Schlägen geschwollen und voller Blutergüsse. Ich verlor für kurze Zeit das Bewusstsein und wachte wieder auf, nur um festzustellen, dass sie mich immer noch schlugen.“

 


Ein männlicher Zeuge berichtete der Kommission von sexuellem Missbrauch und Belästigung von Frauen in der Salah al-Din-Straße während der Vertreibung, wo israelische Soldaten die Frauen aufforderten, sich auszuziehen. Der Zeuge sah, wie mehrere seiner weiblichen Verwandten gezwungen wurden, sich zu entkleiden, so dass sie nur noch in Unterwäsche und ohne Kopftuch, um ihre Haare zu bedecken, waren. Er sah auch, wie mehrere Frauen von den Soldaten sexuell belästigt wurden, darunter ein Mädchen im Teenageralter von etwa 17 Jahren. Die Soldaten verhöhnten und verspotteten die Männer, weil sie nicht in der Lage waren, die erzwungene Entkleidung der Frauen zu verhindern. Der Zeuge sah auch die Misshandlung und Festnahme einer schwangeren Frau, bevor sie von Soldaten weggebracht wurde.“

 


„Das Opfer gab an, dass Frauen, Männer, Mädchen und Jungen mit vorgehaltener Waffe an einem behelfsmäßig errichteten Kontrollpunkt gezwungen wurden, sich zu entkleiden, aus ihren Kleidern einen Ball zu formen und ihre Kleidung den israelischen Soldaten zuzuwerfen. Sie wurden aufgefordert, ihre Ausweispapiere in die Luft zu halten und unbekleidet weiterzugehen. Die israelischen Soldaten sagten, dass jede Person, die den Befehlen nicht Folge leistet, erschossen wird. Die Männer waren völlig nackt und die Frauen waren nur mit Unterwäsche bekleidet. Das Opfer wurde von einem Soldaten aufgefordert, zur Seite zu gehen und wurde gezwungen, während eines etwa 30 Minuten dauernden Verhörs durch drei Soldaten nackt zu bleiben. Während des Verhörs wurde er geohrfeigt, ins Gesicht geschlagen und erhielt Todesdrohungen.“

 

 

„In einem Fall berichtete eine Frau, dass sie von israelischen Soldaten vor nackten palästinensischen Männern stehend gefilmt wurde. Die Männer waren als Mittel der Demütigung nackt ausgezogen worden. Ein Soldat zeigte der Frau das von ihr aufgenommene Video und drohte, es im Internet zu verbreiten, um sie vor ihrer Familie zu beschämen und zu stigmatisieren. Der Frau wurde in ihren Bauch geschlagen und da sie gerade erst einen Kaiserschnitt gehabt hatte, erlitt sie schwere Verletzungen. In einem anderen Fall wurde eine Frau von mehreren männlichen Soldaten in ihrem Haus verhört, geschlagen und begrapscht. Ihr wurde auch mit Vergewaltigung gedroht, wobei ein Soldat drohte, zu überprüfen, ob sie noch Jungfrau sei. In einem anderen Fall wurde eine Frau gezwungen, sich vor männlichen Soldaten auszuziehen, die das Leben ihrer Kinder bedrohten, falls sie sich weigern sollte.“

 

 

„Auch weibliche [palästinensische, Anm.] Häftlinge waren in den Einrichtungen des Militärs und des israelischen Strafvollzugsdienstes sexuellen Übergriffen und Belästigungen sowie Drohungen gegen ihr Leben ausgesetzt. Zu den sexuellen Übergriffen und Belästigungen gehörten Tritte gegen die Genitalien der Frauen, das Berühren ihrer Brüste, der Versuch, sie zu küssen, und die Androhung von Vergewaltigungen. Eine von der Kommission befragte weibliche Gefangene sagte, ein Soldat habe ihr gedroht, sie mit anderen Männern zu vergewaltigen, sie zu töten und ihre Kinder zu verbrennen. Der Soldat fragte sie: „Wie sollen wir dich vergewaltigen? Einer nach dem anderen oder alle zusammen?“ Dem Opfer wurde auch der Zugang zu ihrem Anwalt verweigert, nachdem sie ihn über die Vergewaltigungsdrohung informiert hatte. In einem der Kommission gemeldeten Fall wurde einer Frau während ihrer Inhaftierung im Gefängnis von Hasharon vor den Augen ihres Mannes mit sexuellen Übergriffen gedroht. Berichten zufolge öffnete ein Soldat den Reißverschluss seiner Hose und drohte, die Frau auf seinen Schoß zu setzen, während ein anderer Soldat ihre Brüste begutachtete. Die Frau, die zwei Monate vor ihrer Inhaftierung entbunden hatte, wurde von den Soldaten ins Gesicht gespuckt und so lange geschlagen, bis sie ohnmächtig wurde.“

 

 

„Weibliche Häftlinge berichteten von wiederholten, langen und invasiven Leibesvisitationen, sowohl vor als auch nach Verhören. Eine Frau wurde während ihrer viertägigen Haft alle drei Stunden in ihrer Zelle einer Leibesvisitation unterzogen, wobei die Wachen sie zwangen, sich vollständig zu entkleiden, obwohl sie menstruierte. Die Frauen wurden gezwungen, sich vor männlichen und weiblichen Soldaten vollständig zu entkleiden, einschließlich ihres Kopftuchs. Sie wurden geschlagen und schikaniert, als „hässlich“ bezeichnet und mit sexuellen Beleidigungen wie „Schlampe“ und „Hure“ beschimpft. Ein Opfer beschrieb der Kommission die Erniedrigung, der sie und ihre Mitgefangenen ausgesetzt waren: „Sie zwangen uns, uns auszuziehen, und lachten uns bei der Durchsuchung aus, weil einige von uns mit Menstruationsblut befleckte Kleidung trugen und einige rochen, weil wir nicht duschen durften. Sie lachten auch über eine Mitgefangene, die übergewichtig war. Wir fühlten uns so verletzt und gedemütigt.“ Amnesty International berichtete auch über eine gewaltsame Leibesvisitation bei einer weiblichen Gefangenen im Damon-Gefängnis, bei der die Wärter ein großes Messer benutzten, um ihr die Kleider vom Leib zu schneiden.“

 

 

„Am 16. Oktober 2023 ordnete der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, erhebliche zusätzliche Beschränkungen in den Einrichtungen des israelischen Strafvollzugsdienstes an. 88 weibliche Gefangene unterlagen in den Einrichtungen des Israel Prison Service denselben Beschränkungen wie männliche Gefangene und waren insbesondere von unzureichender und unangemessener Ernährung und Wasserversorgung sowie von unhygienischen Bedingungen betroffen. Die Kommission dokumentierte gynäkologische Schädigungen in der Haft, darunter auch, dass schwangere Frauen, die inhaftiert wurden, weder ausreichend noch angemessen ernährt wurden und ihnen die medizinische Versorgung verweigert wurde. Mehrere Frauen berichteten, dass sie die Toiletten nicht benutzen durften, obwohl sie darum gebeten hatten, oder dass sie über einen längeren Zeitraum mit Handschellen gefesselt waren und daher die Hilfe anderer Häftlinge benötigten, um die Toiletten zu benutzen. Weibliche Häftlinge hatten nur begrenzten Zugang zu Menstruationsbinden oder es wurde ihnen verweigert, diese zu benutzen.“


Auszüge aus dem neuen Bericht des Büros des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen (OHCHR) über Israels systematische Anwendung sexueller, reproduktiver und anderer Formen geschlechtsspezifischer Gewalt seit Oktober 2023, 12.März 2025



 

UN-Pressestatement, Büros des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen (OHCHR), 12. März 2025 (Originalbeitrag in englischer Sprache)


Vollständiger Bericht in englischer Sprache:



 

GENF - Israel hat im großen Umfang sexuelle, reproduktive und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt gegen PalästinenserInnen eingesetzt, um deren Recht auf körperliche Selbstbestimmung zu unterdrücken, und durch die systematische Zerstörung von Einrichtungen der geburtshilflichen und reproduktiven Gesundheitsfürsorge Völkermord begangen. Dies geht aus einem neuen Bericht hervor, der heute von der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für die besetzten palästinensischen Gebiete, einschließlich Ost-Jerusalem, und Israel veröffentlicht wurde.

Der Bericht dokumentiert ein breites Spektrum von Menschenrechtsverletzungen gegen palästinensische Frauen, Männer, Mädchen und Jungen in den besetzten palästinensischen Gebieten seit dem 7. Oktober 2023, die ein wesentliches Element der Gewalt gegen PalästinenserInnen darstellen und Teil der völkerrechtswidrigen Besatzung und Unterdrückung der PalästinenserInnen als Bevölkerungsgruppe sind. 


„Die von der Kommission gesammelten Beweise zeigen eine erschreckende Zunahme von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt“, sagte Navi Pillay, Vorsitzende der Kommission. „Es gibt keine andere Schlussfolgerung als jene, dass Israel sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen PalästinenserInnen einsetzt, um sie zu terrorisieren und ein System der Unterdrückung aufrecht zu erhalten, das ihr Recht auf Selbstbestimmung unterdrückt.“    


Die Veröffentlichung des Berichts wurde von zweitägigen öffentlichen Anhörungen begleitet, die am 11. und 12. März in Genf stattfanden. Dabei hörte die Kommission Opfer und ZeugInnen sexueller und reproduktiver Gewalt, medizinisches Personal, das ihnen geholfen hat, sowie VertreterInnen der Zivilgesellschaft, AkademikerInnen, AnwältInnen und medizinische ExpertInnen.


Der Bericht stellt fest, dass sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt – die in Häufigkeit und Intensität zugenommen hat – überall in den besetzten palästinensischen Gebieten als Kriegsstrategie Israels zur Beherrschung und Vernichtung des palästinensischen Volkes eingesetzt wird.


Bestimmte Formen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt – wie erzwungene öffentliche Entkleidung und Nacktheit, sexuelle Belästigung einschließlich der Androhung von Vergewaltigung sowie sexuelle Übergriffe – sind Teil der Standardverfahren der israelischen Sicherheitskräfte gegenüber PalästinenserInnen.


Andere Formen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und Gewalt an den Genitalien, wurden entweder auf ausdrücklichen Befehl oder mit stillschweigender Ermutigung durch Israels oberste zivile und militärische Führung begangen, so der Bericht.


Ein Klima der Straflosigkeit herrscht auch in Bezug auf sexuelle und geschlechtsspezifische Verbrechen, die von israelischen Siedlern im Westjordanland begangen werden, um die palästinensische Gemeinschaft in Angst und Schrecken zu versetzen und sie zu vertreiben.

„Die beschönigenden Erklärungen und Handlungen der israelischen Führung und die mangelnde Effizienz der Militärjustiz bei der Verfolgung von Fällen und der Verurteilung von Tätern senden eine klare Botschaft an die Mitglieder der israelischen Sicherheitskräfte, dass sie weiterhin solche Taten begehen können, ohne Angst vor einer Rechenschaftspflicht zu haben“, sagte Pillay. „In diesem Zusammenhang ist die Rechenschaftspflicht durch den Internationalen Strafgerichtshof und die nationalen Gerichte nach innerstaatlichem Recht oder in Ausübung der universellen Gerichtsbarkeit von wesentlicher Bedeutung, wenn die Rechtsstaatlichkeit gewahrt und den Opfern Gerechtigkeit zuteil werden soll.“


Die Kommission stellte fest, dass die israelischen Streitkräfte systematisch Einrichtungen der reproduktiven und geburtshilflichen Gesundheitsversorgung im gesamten Gazastreifen zerstört haben. Gleichzeitig haben sie eine Blockade verhängt und humanitäre Hilfe verhindert, einschließlich der Bereitstellung notwendiger Medikamente und Ausrüstung, um sichere Schwangerschaften, Entbindungen und postpartale und neonatale Versorgung zu gewährleisten. Diese Handlungen verletzen die reproduktiven Rechte und die Autonomie von Frauen und Mädchen sowie ihr Recht auf Leben, Gesundheit, Familiengründung, Menschenwürde, körperliche und geistige Unversehrtheit, Freiheit von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung sowie auf Selbstbestimmung und den Grundsatz der Nichtdiskriminierung.


Frauen und Mädchen sind an Komplikationen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt gestorben, weil die israelischen Behörden ihnen den Zugang zu gynäkologischer/geburtshilflicher Gesundheitsfürsorge verweigert haben – Handlungen, die dem Verbrechen der Ausrottung gegen die Menschlichkeit gleichkommen.

Die Kommission stellte fest, dass die israelischen Behörden durch die systematische Zerstörung der geburtshilflichen und reproduktiven Gesundheitsfürsorge die Fortpflanzungsfähigkeit der PalästinenserInnen im Gazastreifen als Gruppe teilweise zerstört haben [so wurde beispielsweise, wie auch im Bericht erwähnt, das Al-Basma IVF Centre, die größte Fruchtbarkeitsklinik in Gaza, im Dezember 2023 bombardiert, wobei etwa 4.000 Embryonen zerstört wurden, Anm.], was zwei Kategorien von völkermörderischen Handlungen im Sinne des Römischen Statuts und der Völkermordkonvention darstellt, darunter die vorsätzliche Herbeiführung von Lebensbedingungen, die auf die physische Zerstörung der PalästinenserInnen abzielen, und die Verhängung von Maßnahmen zur Verhinderung von Geburten.   


„Die Angriffe auf Einrichtungen der reproduktiven Gesundheitsfürsorge, einschließlich direkter Angriffe auf Entbindungsstationen und die wichtigste Klinik für In-vitro-Fertilität im Gazastreifen, in Verbindung mit dem Einsatz von Hunger als Kriegsmethode, haben alle Aspekte der Fortpflanzung beeinträchtigt“, sagte Pillay. „Diese Verletzungen haben nicht nur schwere unmittelbare körperliche und seelische Schäden und Leiden bei Frauen und Mädchen verursacht, sondern auch irreversible langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und die Reproduktions- und Fruchtbarkeitschancen der PalästinenserInnen als Gruppe.“

Die Kommission stellte fest, dass die Zahl der weiblichen Todesopfer im Gazastreifen zunimmt, und zwar in einem noch nie dagewesenen Ausmaß als Folge der israelischen Strategie, gezielt Wohnhäuser anzugreifen und schwere Sprengkörper in dicht besiedeltem Gebieten einzusetzen.


Die Kommission dokumentierte auch Fälle, in denen Frauen und Mädchen aller Altersgruppen, einschließlich Entbindungspatientinnen, zur Zielscheibe wurden – Handlungen, die den Tatbestand des Verbrechens des Mordes gegen die Menschlichkeit und des Kriegsverbrechens der vorsätzlichen Tötung erfüllen.






 

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