Seit gestern führt das israelische Militär eine groß angelegte Razzia im Flüchtlingslager Jenin im Westjordanland durch, bei der mindestens zehn Palästinenser getötet und mehr als 35 verletzt wurden. Die von den israelischen Streitkräften als „Eiserne Mauer“ bezeichnete Operation zielt zweifellos auf eine Eskalation der Gewalt im gesamten Westjordanland ab, um die rechten Gruppierungen zu besänftigen, die Netanjahus Koalition zu sprengen drohen – nämlich Betzalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir.
Von Cody O’Rourke, The Good Sheperd Collective, 22. Jänner 2025
(Vollständiger Originalbeitrag in englischer Sprache)
Schon vor der Ankündigung des so genannten Waffenstillstandsabkommens haben die israelischen Streitkräfte und Siedler die Gewalt und die Einschränkungen im besetzten Westjordanland deutlich verschärft: Zwischen dem 7. und 13. Januar töteten israelische Streitkräfte sechs Palästinenser, darunter drei Kinder, und verletzten 38 weitere. Bei Luftangriffen im Flüchtlingslager Jenin am 14. und 15. Januar wurden 12 Palästinenser, darunter ein Kind, getötet.
Die Eskalationen des israelischen Staates haben seit der Ankündigung eines Waffenstillstands nun noch weiter zugenommen. Israelische Siedler, die unter dem Schutz des Staates stehen, verübten im gesamten besetzten Westjordanland gewalttätige Angriffe, setzten palästinensische Häuser, Fahrzeuge und Grundstücke in Brand und verletzten mindestens 21 PalästinenserInnen. Ziel der koordinierten Angriffe waren die Dörfer Jinasfut, Funduq, Masafer Yatta, Sinjil, Ein Siniya und Turmus Aya. Die Siedler brannten Häuser, eine Gärtnerei und Fahrzeuge nieder, griffen PalästinenserInnen an und beschädigten ihr Eigentum. Die Angriffe sind Teil einer immer weiter eskalierenden Routine der Gewalt, die darauf abzielt, die palästinensischen BewohnerInnen aus ihren Gemeinden zu vertreiben.
Am 9. Januar setzten Siedler, die vermutlich aus der Siedlung Shilo stammen, ein landwirtschaftliches Gebäude im Dorf Khirbet Abu Falah nahe Ramallah in Brand. Am folgenden Tag, dem 10. Januar, zerstörten Siedler eines neuen Außenpostens in der Nähe des Dorfes Bardala im nördlichen Jordantal mehr als 100 palästinensische Olivenbäume und schikanierten Bauern, die den Schaden begutachten wollten. Sie riefen daraufhin die israelischen Streitkräfte, die vier Palästinenser festnahmen und die Olivenbauern mit der Begründung, es handele sich um eine Militärzone, aus dem Gebiet vertrieben. Am nächsten Tag, dem 11. Januar, griffen bewaffnete Siedler den Außenbezirk von Turmus'ayya in Ramallah an, beschädigten zwei Häuser und brachen in landwirtschaftliche Einrichtungen ein. Als die Siedler weiter in die Stadt vordrangen, kam es zu Zusammenstößen, bei denen vier Palästinenser, darunter ein Kind, durch Steinwürfe verletzt wurden. Berichten zufolge wurden keine Siedler verletzt. Im zentralen Westjordanland stürmten bewaffnete Siedler am selben Tag Barriyet Kisan in Bethlehem. Sie warfen Steine auf palästinensische Häuser und warfen einen Molotowcocktail auf ein Haus. Bei dem Angriff wurde ein Haus teilweise beschädigt und Futter für das Vieh zerstört, nachdem in einem anderen Gebäude ein Feuer ausgebrochen war.
Im Schulterschluss mit den Siedlern setzten israelische Soldaten Tränengas ein. Der Palästinensische Rote Halbmond behandelte die Verletzten, von denen auch viele durch Schläge Prellungen erlitten hatten.
Auch wenn die Gewalt in Jenin im Mittelpunkt des Interesses steht, darf nicht vergessen werden, dass der israelische Staat seit Anfang des Jahres bereits 27 Militäroperationen in Ostjerusalem und im Westjordanland durchgeführt hat, bei denen 71 Häuser und Gebäude zerstört und 107 Palästinenser während des Winters vertrieben und obdachlos gemacht wurden. Im Flüchtlingslager Jenin haben die laufenden Militäroperationen seit Dezember 2024 2.000 Familien vertrieben, während die verbliebenen 3.400 Bewohner mit einem Mangel an Lebensmitteln, Wasser und Strom zu kämpfen haben.
Cody O’Rourke ist Mitarbeiter der palästinensischen Organisatiom The Sheperds Collective. Sein sehr lesenswerter (englischsprachiger) Blog über sein Leben und seine Arbeit in Palästina/Israel kann unter https://medium.com/cody-orourke abgerufen werden.

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