Die IDF weist den Vorwurf, ihre Soldaten hätten absichtlich auf Tausende von Zivilisten geschossen, die bei der israelischen Offensive getötet wurden, "entschieden zurück".
Von Chris McGreal
In: The Guardian, 2. April 2024
Dr. Fozia Alvi machte an ihrem letzten Tag im ramponierten öffentlichen europäischen Krankenhaus im südlichen Gazastreifen ihre Runden auf der Intensivstation, als sie neben zwei jungen Neuankömmlingen mit Gesichtsverletzungen und Atemschläuchen in den Luftröhren stehen blieb.
"Ich fragte die Krankenschwester, was ihre Vorgeschichte war. Sie erzählte, dass die beiden vor ein paar Stunden eingeliefert worden waren. Sie hatten Schüsse von Heckenschützen im Kopf. Sie waren sieben oder acht Jahre alt", sagte sie.
Das Herz der kanadischen Ärztin sank. Dies waren nicht die ersten Kinder, die Dr. Alvi behandelte, von denen sie erfuhr, dass sie von israelischen Soldaten ins Visier genommen worden waren, und sie wusste, welchen Schaden ein einziges großkalibriges Geschoss in einem zarten jungen Körper anrichten kann.
"Sie waren nicht in der Lage zu sprechen, waren querschnittsgelähmt. Sie lagen buchstäblich wie Gemüse auf diesen Betten. Sie waren nicht die Einzigen. Ich habe sogar kleine Kinder gesehen, die von Scharfschützen direkt in den Kopf und in die Brust geschossen wurden. Das waren keine Kämpfer, das waren kleine Kinder", so Dr. Alvi.
Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums ist mehr als jedeR dritte der mehr als 32.000 Menschen, die bei Israels monatelangem Angriff auf den Gazastreifen getötet wurden, ein Kind. Zehntausende weitere Kinder haben schwere Verletzungen erlitten, darunter auch zahlreiche Amputationen.
Berichte von neun Ärzten: Opfer direkt von israelischen Truppen beschossen
Neun Ärzte berichteten dem Guardian über ihre Arbeit in den Krankenhäusern des Gazastreifens in diesem Jahr, alle bis auf einen von ihnen ausländische Freiwillige. Ihre gemeinsame Einschätzung war, dass die meisten der toten und verwundeten Kinder, die sie behandelten, von Granatsplittern getroffen oder während Israels umfangreichem Bombardement von Wohnvierteln verbrannt wurden, wodurch in einigen Fällen ganze Familien ausgelöscht wurden. Andere wurden durch einstürzende Gebäude getötet oder verletzt, viele werden noch unter den Trümmern vermisst.
Die Ärzte berichteten jedoch auch, dass sie einen ständigen Strom von Kindern, älteren Menschen und anderen, die eindeutig keine Kämpfer waren, mit einzelnen Schusswunden in Kopf oder Brust behandelten.
Einige der Ärzte sagten, dass die Art und die Lage der Wunden sowie die Berichte jener, die die Kinder ins Krankenhaus brachten, sie zu der Annahme veranlassten, dass die Opfer direkt von israelischen Truppen beschossen worden waren.
Andere Ärzte sagten, dass sie die Umstände der Schießereien nicht kennen, dass sie aber zutiefst beunruhigt sind über die Zahl der Kinder, die durch einzelne Schüsse schwer verwundet oder getötet wurden, manchmal durch großkalibrige Kugeln, die die kleinen Körper stark beschädigten.
Mitte Februar beschuldigte eine Gruppe von UN-Experten das israelische Militär, auf palästinensische Zivilisten, die offensichtlich keine Kämpfer sind, einschließlich Kinder, zu schießen, wenn diese Schutz suchen.
"Wir sind schockiert über Berichte, wonach palästinensische Frauen und Kinder an Orten, an denen sie Zuflucht suchten oder auf der Flucht waren, absichtlich ins Visier genommen und außergerichtlich getötet wurden. Einige von ihnen hielten Berichten zufolge weiße Tücher in der Hand, als sie von der israelischen Armee getötet wurden", so die Gruppe.
The Guardian teilte Beschreibungen und Bilder der Schusswunden von acht Kindern mit Militärexperten und Gerichtsmedizinern. Sie sagten, es sei schwierig, die Umstände der Erschießungen allein anhand der Beschreibungen und Fotos schlüssig zu bestimmen, obwohl sie in einigen Fällen die vom israelischen Militär verwendete Munition identifizieren konnten.
Augenzeugenberichte und Videoaufnahmen scheinen die Behauptung zu bestätigen, dass israelische Soldaten außerhalb von Kämpfen mit der Hamas oder anderen bewaffneten Gruppen auf Zivilisten, darunter auch Kinder, geschossen haben. In einigen Fällen beschreiben die Zeugen, dass sie unter Beschuss gerieten, während sie weiße Fahnen schwenkten. Haaretz berichtete am Samstag, dass Israel routinemäßig auf Zivilisten in Gebieten schießt, die das Militär zu "Kampfzonen" erklärt hat.
Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) setzen Heckenschützen [„snipers“] - oder Scharfschützen [„sharpshooters“], wie das Militär sie nennt - bei Kampfeinsätzen ein, oft als Teil von Eliteeinheiten. Sie sind darauf trainiert, "besonders schwierige terroristische Bedrohungen anzuvisieren und auszuschalten", so die eigene Definition des Militärs.
Israelische und ausländische Menschenrechtsgruppen haben eine lange Geschichte der Praxis von Scharfschützen dokumentiert, die im Gazastreifen und im Westjordanland auf unbewaffnete Palästinenser, einschließlich Kinder, schießen.
Palästinenser in Gaza berichten auch von einer erschreckenden neuen Entwicklung im jüngsten Gaza-Krieg: bewaffnete Drohnen, die über Straßen schweben und Einzelpersonen ausschalten können. Einige dieser Drohnen, Quadcopter genannt, werden als ferngesteuerte Scharfschützen eingesetzt, die nach Angaben der palästinensischen Bevölkerung auf Zivilisten und Zivilistinnen geschossen haben.
Die IDF wies die Behauptung, ihre Scharfschützen würden absichtlich auf Zivilisten schießen, "entschieden zurück". Sie sagte, sie könne nicht auf einzelne Schüsse eingehen, "ohne die Vorfälle zu koordinieren". "Die IDF nehmen nur Terroristen und militärische Ziele ins Visier. Im Gegensatz zu den absichtlichen Angriffen der Hamas auf israelische Zivilisten, darunter Männer, Frauen und Kinder, halten sich die IDF an das Völkerrecht und treffen alle möglichen Vorkehrungen, um den Schaden für die Zivilbevölkerung zu begrenzen", hieß es.
Die Ärzte sagen etwas anderes.
Dr. Vanita Gupta, Intensivmedizinerin in einem Krankenhaus in New York City, arbeitete im Januar als Freiwillige im europäischen Krankenhaus von Gaza. Eines Morgens wurden kurz nacheinander drei schwer verletzte Kinder eingeliefert. Ihre Familien erzählten Gupta, dass die Kinder zusammen auf der Straße gewesen seien, als sie unter Beschuss gerieten, und dass es in der Gegend keine weiteren Schießereien gegeben habe. Sie sagte, es seien keine verletzten Erwachsenen zur gleichen Zeit und vom gleichen Ort ins Krankenhaus gebracht worden.
"Bei einem Kind konnte ich sehen, dass es einen Schuss in den Kopf bekommen hatte. Das fünf- oder sechsjährige Mädchen wurde gerade wiederbelebt und ist offensichtlich gestorben", sagte Gupta.
"Da war noch ein anderes kleines Mädchen im selben Alter. Ich sah eine Einschusswunde an ihrem Kopf. Ihr Vater war da, weinte und fragte mich: 'Können Sie sie retten? Sie ist mein einziges Kind.'"
Gupta sagte, dass ein drittes Kleinkind ebenfalls einen Kopfschuss erlitten hatte und zu einer CT-Untersuchung geschickt wurde.
"Der Neurochirurg sah es sich an und sagte: 'Es gibt keine Hoffnung.' Man konnte sehen, dass die Kugel den Kopf durchschlagen hatte. Ich weiß nicht, wie alt er war, aber jung", sagte sie.
Familienangehörige berichteten Gupta, dass sich die israelische Armee aus dem Gebiet etwa vier Kilometer vom Krankenhaus entfernt zurückgezogen habe.
"Sie sagten, die Leute kehrten in ihre Häuser zurück, weil die Armee weg war. Aber die Scharfschützen blieben. Die Familien sagten, sie hätten das Feuer auf die Kinder eröffnet", sagte sie.
Ärzte, die im Nasser-Krankenhaus im südlichen Gazastreifen arbeiten, berichten, dass in den ersten Wochen dieses Jahres mehr als zwei Dutzend Menschen, darunter auch Kinder, beim Betreten oder Verlassen des Krankenhauses durch offenbar gezieltes israelisches Feuer getötet wurden.
Unter den Opfern war auch die 14-jährige Ruwa Qdeih. Laut Ärzten wurde sie vor dem Krankenhaus in Khan Younis erschossen, als sie Wasser holen wollte. Sie sagten, dass zu diesem Zeitpunkt keine Kämpfe in der Gegend stattfanden und dass sie durch einen einzigen Schuss getötet wurde, woraufhin Männer, die ihre Leiche bergen wollten, ebenfalls beschossen wurden.
In Gaza-Stadt wurde der dreijährige Emad Abu al-Qura vor seinem Haus erschossen, als er mit seinem Cousin Hadeel, einem 20-jährigen Medizinstudenten, der ebenfalls getötet wurde, Obst kaufen wollte. Nach Angaben der Familie wurden sie von einem israelischen Scharfschützen beschossen.
Auf einem Video, das die beiden zusammen auf der Straße liegend zeigt, ist Emad noch am Leben, nachdem er zuerst getroffen wurde und versucht, seinen Kopf zu heben. Weitere Schüsse treffen den Boden in der Nähe, darunter einer, der ein Brett neben Emad trifft. Die Mutter des Jungen sagte, er sei dann erneut getroffen und diesmal getötet worden.
Hadeels Vater, Haroon, hat die Schüsse gesehen.
"Der Beschuss von Zivilisten ist ganz klar. Es handelt sich um ein absichtliches direktes Ziel, das darauf abzielt, Zivilisten ohne Grund zu töten, ohne dass es irgendwelche Ereignisse gibt, ohne dass es irgendeinen Widerstand gibt. Sie haben Hadeel und Emad absichtlich getötet", sagte er gegenüber Al Jazeera.
Zu den weiteren jungen Opfern gehört der 14-jährige Nahedh Barbakh, der zusammen mit seinem 20-jährigen Bruder Ramez von Scharfschützen getroffen wurde, als sie Ende Januar dem Befehl des israelischen Militärs folgten, ein Gebiet westlich von Khan Younis zu verlassen, wie die in Genf ansässige Organisation Euro-Med Human Rights Monitor berichtet.
Einem von Euro-Med Monitor befragten Zeugen zufolge trug Nahedh eine weiße Fahne, um seiner Familie den Weg zu weisen, doch nachdem er nur wenige Schritte vom Haus entfernt war, wurde er von einer Kugel ins Bein getroffen. Als der Teenager versuchte, nach Hause zurückzukehren, wurde er in den Rücken und in den Kopf geschossen, so der Zeuge.
Ramez wurde ins Herz geschossen, als er versuchte, seinen Bruder zu retten.
Die Familie beschloss, dass es zu gefährlich sei, die Leichen zu bergen, und floh schließlich aus der Gegend, die Brüder blieben auf der Straße zurück. Ein letztes Foto zeigt Ramez über Nahedhs Körper gestreckt, mit der weißen Fahne zwischen ihnen verheddert.
Zeugen berichteten, die Schüsse seien vom Dach eines nahegelegenen Gebäudes gekommen, das von israelischen Soldaten übernommen worden war.
Eine neue Bedrohung: Quadcopter
Im Dezember erklärte die Palästinensische Rothalbmondgesellschaft, dass der 13-jährige Amir Odeh in ihrem Hauptquartier im Al-Amal-Krankenhaus in Khan Younis von einer israelischen Drohne getötet worden war. Die Familie teilte Euro-Med Monitor mit, dass er durch ein Fenster erschossen wurde, als er mit seinen Cousins im achten Stock des Gebäudes spielte, in dem sie Schutz vor den Kämpfen gesucht hatten. Die Tötung war besonders bemerkenswert, weil der einzige Schuss in die Brust von einem Drohnentyp stammte, der im Gazastreifen noch nie im Kampf eingesetzt wurde - einem Quadcopter, der mit einer Waffe, einer Kamera und einem Lautsprecher ausgestattet ist. Im Gegensatz zu anderen Drohnen sind Quadcopter in der Lage, über ihren Zielen zu schweben.
Dr. Thaer Ahmad, ein Arzt aus Chicago, der als Freiwilliger in der Notaufnahme des Nasser-Krankenhauses arbeitete, sagte, dass Quadcopter manchmal in Schwärmen auftauchten und den Palästinensern den Befehl gaben, ein Gebiet zu räumen.
"Wir haben unglaublich viele Geschichten von Menschen gehört, die sich von Verletzungen erholen, die von diesen Quadcoptern stammen, die Kugeln aus dem Himmel abfeuern", sagte er.
Ahmad sagte, dass einmal eine Drohne einem der Ärzte des Krankenhauses in den Kopf geschossen habe, dieser jedoch überlebt habe.
Dr. Ahmed Moghrabi beschrieb auf Instagram, dass in der dritten Februarwoche "Hunderte" von Quadrocoptern über dem Nasser-Krankenhaus landeten und die Menschen aufforderten, das Gelände zu verlassen, bevor sie einige von ihnen töteten. Bei einer anderen Gelegenheit filmte er, wie Quadcopter den Palästinensern Anweisungen gaben, das Gebiet zu verlassen.
Obwohl das israelische Militär bereits früher Quadrocopter zur Nachrichtenbeschaffung eingesetzt hat, scheint dies das erste Mal zu sein, dass Versionen der Drohne, die Waffen abfeuern können, gegen die Palästinenser eingesetzt wurden.
Prof. Ghassan Abu-Sittah, ein britisch-palästinensischer Chirurg, der kürzlich zum Rektor der Universität Glasgow gewählt wurde, sagte gegenüber Mondoweiss, einer linken israelisch-palästinensischen Nachrichtenseite, dass bei seiner Arbeit im Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt "viele Menschen von diesen Quadcoptern, diesen Drohnen mit Scharfschützengewehren, erschossen wurden".
Abu-Sittah, der in früheren Jahren bei Besuchen in Gaza von israelischen Scharfschützen verwundete Palästinenser operiert hat, beschrieb, dass die Quadcopter "einzelne Schüsse mit hoher Geschwindigkeit" abfeuerten.
"Wir haben über 20 Schusswunden in Brust und Hals erhalten, die von israelischen Quadcopter-Drohnen abgefeuert wurden. Dies ist eine niedrig fliegende Scharfschützen-Drohne", schrieb er auf X.
Zu den von Euro-Med Monitor dokumentierten Quadcopter-Tötungen gehören zwei Kinder, die am 21. Januar erschossen wurden, als Drohnen das Feuer auf die al-Aqsa-Universität in der Nähe von Khan Younis eröffneten, wo Tausende vertriebener Palästinenser Zuflucht gefunden hatten. Im darauf folgenden Monat erschoss eine Drohne Elyas Abu Jama, einen 17-Jährigen, der nach Angaben seiner Familie geistig und körperlich behindert war, vor seinem Zelt in einem Vertriebenenlager in Rafah. Laut Euro-Med Monitor tötete ein Quadcopter am selben Tag den 16-jährigen Mahmoud al-Assar und seine 21-jährige Schwester Asmaa.
Thaer Ahmad verbrachte im Januar drei Wochen im Nasser-Krankenhaus als Freiwilliger der medizinischen Hilfsorganisation MedGlobal. Normalerweise arbeitet er in einem Traumazentrum in Chicagos South Side, wo er regelmäßig Schussverletzungen behandelt.
"In den drei Wochen, in denen ich im Nasser-Krankenhaus war, habe ich mehr Kindertraumata behandelt als in den 10 Jahren, in denen ich in den USA praktiziert habe", sagte er.
Der Arzt sagte, er habe fünf Kinder behandelt, von denen er glaubt, dass sie von Scharfschützen erschossen wurden, weil die Platzierung der Kugeln darauf hindeutet, dass sie nicht zufällig getroffen wurden, sondern gezielt.
"Die meisten wurden in den Brustkorb, den Brustbereich und einige in den Unterleib geschossen. Einem Jungen wurde ins Gesicht geschossen. Das Ergebnis war ein zertrümmerter Kiefer. Es gab zwei Kinder, denen in die Brust geschossen wurde, sie waren jung, unter 10 Jahre alt, und überlebten nicht. Zwei andere, von denen eines in den Bauch geschossen wurde, überlebten. Sie erholten sich noch im Krankenhaus, als ich ging", sagte er.
Ahmad wies darauf hin, dass die Kinder oft von "einer großkalibrigen Kugel" getroffen wurden, die verheerende Wunden verursachen kann.
Dr. Irfan Galaria, ein Chirurg aus Virginia, schlief im Januar als Freiwilliger zwischen seinen Schichten auf dem Boden des Operationssaals des europäischen Krankenhauses. Auch er sah Kinder, die durch hochkalibrige Kugeln schwer verwundet worden waren.
Galaria berichtete, dass ein 14-jähriger Junge im Krankenhaus ankam, der einen Schuss in den Rücken erhalten hatte. Als die Chirurgen operierten, fanden sie eine Kugel im Magen des Jungen.
"Er hatte großes Glück, denn sie verfehlte viele lebenswichtige Organe, aber sie saß einfach in seinem Bauch", sagte er.
Der Chirurg machte ein Foto des Geschosses, das ehemalige IDF-Soldaten im Gespräch mit dem Guardian als ein starkes Geschoss des Kalibers .50 identifizierten, das typischerweise aus einem auf einem gepanzerten Fahrzeug montierten Maschinengewehr abgefeuert wird, obwohl es auch in Scharfschützengewehren verwendet wurde. Sie sagten, dass fahrzeugmontierte Geschütze oft über fortschrittliche Zielsysteme verfügen, die es ihnen ermöglichen, gezielt zu schießen, dass aber eine große Anzahl von .50-Geschossen ohne präzise Zielvorgabe abgefeuert werden kann, was es schwierig macht, festzustellen, ob das Kind ins Visier genommen worden war.
Zu den anderen Kugeln, die bei jungen Palästinensern gefunden wurden, gehören 5,56-mm-Geschosse, die zur Standardausrüstung aller IDF-Infanteriegewehre gehören, aber auch von Scharfschützen in allen Infanterieeinheiten verwendet werden.
Gupta legte dem Guardian CT-Scans von Kindern mit Kopfwunden vor. Darunter befand sich auch das Bild eines achtjährigen Mädchens, das ein Pathologe als "Schusswunde in den Kopf auf der rechten Seite mit Einschuss im Gehirn (medialer rechter Temporallappen)" beschrieb.
Obwohl die Ärzte über die Zahl der Kinder schockiert waren, sagten sie, dass sie glauben, dass die Schüsse Teil eines umfassenderen Musters von Angriffen auf palästinensische Zivilisten, einschließlich älterer Menschen, waren.
"Die große Mehrheit der Menschen, die wir gesehen haben, waren keine Kämpfer", sagte Ahmad. "Da war eine ältere Frau, die auf einem Eselskarren saß, als sie erschossen wurde. Die Kugel steckte in ihrer Wirbelsäule, und sie war von der Taille abwärts gelähmt, außerdem kollabierte ihre Lunge. Sie war zwischen 60 und 70 Jahre alt."
Scharfschützenwunden waren üblich
Dr. Osaid Alser half dabei, eine Gruppe von Ärzten außerhalb des Gazastreifens zu organisieren, um den einzigen im Nasser-Krankenhaus verbliebenen palästinensischen Allgemeinchirurgen, der nur über begrenzte Erfahrung verfügte, aus der Ferne zu beraten.
"Scharfschützenwunden waren häufig, ebenso wie Schüsse aus Quadcoptern", sagte Alser, der in Gaza-Stadt aufgewachsen ist und jetzt in Texas lebt.
Ärzte erklärten, dass die Schüsse von Scharfschützen auch für zahlreiche Amputationen und langfristige Behinderungen verantwortlich seien, was bei Kindern umso schlimmer sei, da eine Kugel bei kleinen Körpern oft mehr Schaden anrichte.
Alser argumentierte, dass es oft möglich sei, Scharfschützenschüsse zu unterscheiden.
"Wenn es sich um einen Scharfschützen handelt, handelt es sich in der Regel um ein größeres Geschoss, das deutlich mehr Schaden anrichtet und eine höhere Stoßwellenenergie hat als ein kleineres Gewehr oder eine Pistole. Wenn es sich um einen Scharfschützen handelt, kann es zu einer Amputation der Gliedmaßen kommen, weil die Gefäßstruktur beschädigt wird - Nerven, Knochen, Weichteile, alles", sagte er.
"Ein anderes Muster ist die Verletzung des Rückenmarks, wenn Menschen mitten in den Bauch oder in den Rücken geschossen werden. Eine Verletzung des Rückenmarks ist nicht unbedingt tödlich, es sei denn, es handelt sich um den Hals, aber sie kann zu Behinderungen führen.“
Alser sagte, dass einer seiner älteren Verwandten, ein Pionier der Zahnmedizin in Gaza, unter den offensichtlichen Opfern eines Scharfschützen war.
Dr. Mohammed Al Madhoun wurde vermisst, nachdem er sich im Dezember wegen einer chronischen Erkrankung in einem Wohltätigkeitskrankenhaus westlich von Gaza-Stadt behandeln ließ. Die Leiche des 73-Jährigen wurde eine Woche später in der Nähe des Krankenhauses zusammen mit der seines Großneffen gefunden. Sie waren beide erschossen worden.
"Das Verletzungsmuster und das Ausmaß der Beschädigung durch die Kugel waren beträchtlich, und dies wird hauptsächlich von einem Scharfschützen verursacht", sagte Alser, der die CT-Scans der Verletzungen untersuchte. "Er war offensichtlich alt. Man würde nicht erwarten, dass ein 73-Jähriger ein Ziel ist, oder?“
Der Arzt sagte, dass unter den Fällen, die er aus der Ferne untersucht hat, auch andere ältere Menschen waren, darunter eine Frau in ihren 70ern.
"Sie wurde von einem Scharfschützen angeschossen und hatte eine massive Kopfblutung. Das ist nicht zu überleben. Sie starb ein oder zwei Tage später", sagte er.
Die „moralischste“ Armee der Welt
Im Oktober bezeichnete Israels Premierminister Benjamin Netanjahu die IDF als "die moralischste Armee der Welt". Das israelische Militär behauptet, sich von einer Doktrin der "Reinheit der Waffen" leiten zu lassen, die es den Soldaten verbietet, "unbeteiligte Zivilisten" zu verletzen.
Israelische und internationale Menschenrechtsgruppen sagen jedoch seit langem, dass das Versäumnis des Militärs, seine eigenen Standards durchzusetzen - und seine Bereitschaft, Verstöße zu vertuschen - zu einem Klima der Straffreiheit für Soldaten beigetragen hat, die auf Zivilisten zielen.
Die Gruppen sagen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt äußerst schwierig ist, das Ausmaß solcher Schießereien im Gazastreifen zu quantifizieren, nicht zuletzt, weil ihre eigenen Mitarbeiter oft vertrieben und angegriffen werden. Miranda Cleland von Defense for Children International Palestine sagte jedoch, dass es im Laufe der Jahre ein "klares Muster israelischer Streitkräfte gegeben habe, die palästinensische Kinder in Situationen, in denen die Kinder keine Gefahr für die Soldaten darstellten, mit tödlicher Gewalt angriffen".
"Im besetzten Westjordanland schießen israelische Soldaten routinemäßig Kindern in den Kopf, in die Brust oder in den Unterleib, alles Bereiche, in denen ein Kind schnell verblutet, wenn es nicht sofort getötet wird. Viele dieser Kinder werden von den israelischen Streitkräften aus großer Entfernung erschossen, manchmal aus mehr als 500 Fuß Entfernung, wozu nur ein ausgebildeter militärischer Scharfschütze in der Lage wäre", sagte sie.
Die israelische Gruppe "Breaking the Silence" hat Zeugenaussagen von IDF-Soldaten aus früheren Konflikten gesammelt, die sagten, sie hätten palästinensische Zivilisten nur deshalb erschossen, weil sie sich an einem Ort aufhielten, an dem sie nicht sein sollten, obwohl sie offensichtlich keine Kämpfer waren.
Scharfschützen der IDF brüsteten sich damit, unbewaffnete palästinensische Demonstranten, darunter auch junge Menschen, während der fast zwei Jahre andauernden Demonstrationen am Grenzzaun zum Gazastreifen im Frühjahr 2018 in die Knie geschossen zu haben.
Ein ehemaliger Scharfschütze der israelischen Armee, der nicht namentlich genannt werden wollte, erklärte gegenüber dem Guardian, dass die Vorschriften der IDF für den offenen Beschuss so weit gefasst seien, dass ein Soldat einen großen Spielraum habe, auf jeden zu schießen, sobald ein Gebiet zur Kampfzone erklärt werde.
"Das Problem sind die Vorschriften, die es Soldaten ermöglichen, einfach auf Palästinenser zu schießen. Meiner Erfahrung nach wollen die meisten Soldaten, die abdrücken, nur diejenigen töten, die getötet werden sollten, aber es gibt auch solche, die alle Araber als Feinde betrachten und jeden Grund finden, um zu schießen, oder gar keinen", sagte er und fügte hinzu, dass ein System der Straffreiheit solche Soldaten schützt.
"Selbst wenn sie sich nicht an die Vorschriften halten, werden sie vom System geschützt. Die Armee wird sie decken. Die anderen Soldaten in der Einheit werden nicht widersprechen oder sie werden einen weiteren toten Araber feiern. Es gibt keine Rechenschaftspflicht, so dass selbst die lockersten Vorschriften keine wirkliche Bedeutung haben."
Die israelische Menschenrechtsgruppe B'Tselem bezeichnete die IDF-Vorschriften für offenes Feuer als "nicht mehr als einen Anschein von Legalität", auch weil sie "immer wieder verletzt werden".
"Abgesehen von einer Handvoll Fällen, in die in der Regel rangniedrige Soldaten verwickelt waren, ist niemand wegen der Verletzung von Palästinensern vor Gericht gestellt worden", so die Gruppe.
In einem der berüchtigtsten Fälle von Soldaten, die in den besetzten Gebieten auf kleine Kinder schossen, feuerte ein Hauptmann der Armee 2004 das gesamte Magazin seines automatischen Gewehrs auf ein 13-jähriges palästinensisches Mädchen, Iman al-Hams, ab, nachdem sie in eine Sicherheitszone eingedrungen war, obwohl sie keine unmittelbare Bedrohung darstellte und seine eigenen Soldaten ihm sagten, sie sei "ein kleines Mädchen", das "zu Tode erschrocken" sei. Der Hauptmann wurde von einem Militärgericht vom Vorwurf des Fehlverhaltens freigesprochen.
Das israelische Militär hat auch eine lange Geschichte der Vertuschung der Tötung von Kindern.
Nachdem der 11-jährige Khalil al-Mughrabi 2001 beim Fußballspielen in Rafah erschossen wurde, forderte die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem in einem Schreiben an die IDF eine Untersuchung.
Monate später erklärte das Büro des Generalstaatsanwalts gegenüber B'Tselem, Khalil sei von Soldaten erschossen worden, die "zurückhaltend und kontrolliert" gehandelt hätten, um einen Aufruhr in der Gegend aufzulösen. Die IDF machten jedoch den Fehler, eine Kopie ihrer geheimen internen Untersuchung beizufügen, in der es hieß, dass der Aufruhr viel früher am Tag stattgefunden hatte und dass die Soldaten, die das Feuer auf das Kind eröffneten, sich einer "ernsthaften Abweichung von den verbindlichen Verhaltensnormen" schuldig gemacht hatten.
Die leitende Militärstaatsanwältin, Oberst Einat Ron, nannte dann alternative falsche Szenarien, die B'Tselem angeboten werden sollten, um das Verbrechen zu vertuschen.
Kürzlich wurde die IDF beschuldigt, zu lügen, um die Erschießung der palästinensisch-amerikanischen Journalistin Shireen Abu Akleh zu vertuschen, die mit ziemlicher Sicherheit von einem israelischen Scharfschützen begangen wurde. Das Militär gab zunächst den Palästinensern die Schuld und behauptete dann fälschlicherweise, Abu Akleh sei bei einem Feuergefecht ins Kreuzfeuer geraten. Ihr Arbeitgeber, Al Jazeera, legte Videobeweise vor, die belegen, dass es kein Feuergefecht gab und dass mindestens ein israelischer Soldat auf die Journalistin zielte.
Die kanadische Ärztin Alvi verließ den Gazastreifen in der dritten Februarwoche, als die israelischen Streitkräfte mit einem Bodenangriff auf Rafah drohten. Alvi gründete die in den USA ansässige Wohltätigkeitsorganisation Humanity Auxilium, die mit Rohingya-Flüchtlingen in Bangladesch, vertriebenen Syrern und Überlebenden des Erdbebens in der Türkei gearbeitet hat.
"Dies ist kein normaler Krieg. Der Krieg in der Ukraine hat in zwei Jahren 500 Kinder getötet, der Krieg im Gazastreifen hat in weniger als fünf Monaten mehr als 10.000 Kinderleben gefordert. Wir haben schon früher Kriege erlebt, aber dieser ist ein dunkler Fleck für unsere Menschheit."
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An dieser Stelle sei an den Bericht des auch in diesem Artikel erwähnten amerikanischen Arztes Irfan Galaria in der Los Angeles Times vom 16. Februar 2024 erinnert:
„Einmal wurde eine Handvoll Kinder, alle im Alter von 5 bis 8 Jahren, von ihren Eltern in die Notaufnahme getragen. Alle hatten einzelne Schüsse von Heckenschützen in den Kopf bekommen. Die Familien waren auf dem Rückweg zu ihren Häusern in Khan Yunis, etwa 2,5 Meilen vom Krankenhaus entfernt, nachdem sich die israelischen Panzer zurückgezogen hatten. Doch die Scharfschützen blieben offenbar zurück. Keines dieser Kinder überlebte.“
Sowie an die 57jährige Palästinenserin Hala Khreis, die ihren vierjährigen Enkel an der Hand hielt, als sie im Jänner von einem israelischen Scharfschützen hingerichtet wurde.
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