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Israels Straffreiheit, eine Verlängerung des Völkermordes: Waffenstillstand im Gazastreifen wird immer wieder gebrochen

Am 11. Februar 2025, inmitten eines bereits brüchigen Waffenstillstands im Gazastreifen, veröffentlichte die Hamas eine Erklärung, in der sie die Verschiebung des Geiselaustauschs mit zahlreichen israelischen Verstößen gegen das Waffenstillstandsabkommen begründete. Etablierte Medien wie die New York Times berichteten schnell über die Entscheidung der Hamas, ließen aber den Grund für die Verschiebung absichtlich im Unklaren und gingen sogar so weit, den Hinweis zu verbergen. In ihrer Berichterstattung brauchte die New York Times neun Absätze, bis sie die Tatsache erwähnte, dass „drei israelische Beamte und zwei Vermittler, die unter der Bedingung der Anonymität sprachen, um überhaupt über die heikle Angelegenheit zu sprechen, aussagten, dass die Aussagen der Hamas zutreffend seien.“


The Hind Rajab Foundation, 21.02.2025

(Originalbeitrag in englischer Sprache)

 

Wie der Völkermord während des Waffenstillstands fortgesetzt wird

Gemäß Artikel II der UN-Konvention von 1948 ist es ein ausgewiesener Tatbestand des Völkermordes, wenn „einer Gruppe vorsätzlich Lebensbedingungen zugefügt werden, die auf ihre vollständige oder teilweise physische Vernichtung abzielen“. Israels kalkulierte Waffenstillstandsverletzungen erfüllen diesen Tatbestand und sind eine Fortsetzung des Völkermords im Gazastreifen.

Die Coordination of Government Activities in the Territories (COGAT), eine Abteilung des israelischen Verteidigungsministeriums, ist für die Beaufsichtigung der Hilfslieferungen in den Gazastreifen und die Erleichterung der Evakuierungen von BewohnerInnen aus dem Gazastreifen zuständig. COGAT ist auch für die Koordinierung mit internationalen humanitären Organisationen zuständig, um den humanitären Bedarf zu decken. Seit dem 7. Oktober 2023 wurde die ohnehin schon strenge Abriegelung des Gazastreifens verschärft und die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wie Lebensmitteln, Wasser, Strom und medizinischen Gütern unterbrochen. Nach dem Beginn des Waffenstillstands am 19. Januar 2025 wurden zwar mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen gebracht, aber es sind weniger als jene 600 Lastwagen pro Tag, die im Waffenstillstandsabkommen vereinbart worden waren. Dies hat dazu geführt, dass die Versorgung mit sauberem Wasser, Unterkünften und medizinischer Hilfe auch nach dem Waffenstillstand nicht gewährleistet ist.

COGAT hat auch Appelle humanitärer Organisationen, verletzte und kranke Menschen aus dem Gazastreifen ausreisen zu lassen, um sie behandeln zu lassen, auf geradezu sadistische Weise abgelehnt und verzögert. Die zweieinhalbjährige Habiba Al Askar wartete auf die Genehmigung Israels, den Gazastreifen verlassen zu dürfen, um dringend benötigte Hilfe zu erhalten. INARA [eine Hilfsorganisation, die sich um die medizinischen Bedürfnisse verwundeter Kinder in Kriegszonen kümmert, Anm.] hat seit Monaten an COGAT appelliert, Habibas Reise zu ermöglichen, da sie an einer seltenen genetischen Krankheit leidet, einem Vitamin-C-Mangel, der dazu führte, dass ihre Arme und Beine durch eine Infektion in ihrem Blutkreislauf von Wundbrand befallen wurden. Nach monatelangem Leiden erhielt Habiba schließlich die Erlaubnis, Gaza zu verlassen, um die notwendige Behandlung zu erhalten, doch in letzter Minute vor ihrer Verlegung verzögerten die israelischen Behörden die Ausreise erneut. Als Habiba schließlich die Erlaubnis erhielt, den Gazastreifen zu verlassen und sich zur Behandlung nach Jordanien zu begeben, war es zu spät, und sie musste sich einer dreifachen Amputation unterziehen: Beide Arme und eines ihrer Beine konnten aufgrund der israelischen Politik nicht vor dem sich bereits ausgebreiteten Wundbrand gerettet werden.

 

Der grundlegendste Bruch

Gemäß dem Waffenstillstandsabkommen sollte Israel in der ersten Phase des Waffenstillstands schwere Maschinen zulassen, um die Trümmer der israelischen Zerstörung zu beseitigen, sowie 60.000 Wohnwagen und mobile Häuser für die nun obdachlosen BürgerInnen von Gaza. COGAT trägt die Verantwortung für die Umsetzung der Regierungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten, die Politik der israelischen Regierung hat den Gazastreifen in der Vergangenheit unbewohnbar gemacht und tut dies auch heute noch. Mit Stand 16. Februar sind die notwendigen schweren Maschinen und die mobilen Wohneinheiten noch nicht über den Rafah-Übergang nach Gaza hineingelassen worden [und sind es bis heute nicht, Anm.]. Außerdem erreichten nicht genügend Hilfslieferungen und Zelte den Gazastreifen, und es wurde vereinbart, dass eine größere Anzahl von PatientInnen den Gazastreifen verlassen darf, um lebenswichtige medizinische Behandlungen zu erhalten.

Die Tatsache, dass im Gazastreifen dringend provisorische Unterkünfte für intern vertriebene ZivilistInnen benötigt werden, wurde durch zahlreiche Erklärungen untermauert, darunter auch eine Erklärung von Ärzte ohne Grenzen (MSF). Am 13. Februar wurden von AFP Fotos gemacht, die zeigen, dass schwere Maschinen und mobile Wohneinheiten an der Grenze zu Rafah warten und nicht durchgelassen werden.

 

Folgen von Waffenstillstandsverletzungen

Die Folgen dieser Waffenstillstandsverletzungen fordern einen hohen Tribut. Zunächst ist der Gazastreifen mit nicht explodierten Geschossen übersät, die von den israelischen Streitkräften zurückgelassen wurden. Diese hinterlassen, ähnlich wie nach einem israelischen Bombenangriff, Dutzende von Opfern, selbst wenn die direkten Bombardierungen eingestellt wurden. Seit dem offiziellen Beginn des Waffenstillstands am 19. Januar wurden mehr als 40 Todesopfer durch nicht explodierte Sprengkörper verzeichnet.

Auch durch herabfallende Gebäudeteile sind Opfer zu beklagen, da den Menschen oft nichts anderes übrig bleibt, als in ihre beschädigten Häuser zurückzukehren und zu versuchen, dort zu überleben. Die Verzögerung bei der Zulassung von mobilen Wohneinheiten zwingt die BewohnerInnen des Gazastreifens dazu, in unsicheren Behelfsunterkünften zu leben, die nicht vor dem Einsturz beschädigter Wände und Decken geschützt und den rauen Winterbedingungen wie starkem Wind und Regen ausgesetzt sind. Dies ist die erste und wichtigste Folge der Waffenstillstandsverletzungen, die die physischen Bedingungen im Gazastreifen unmittelbar verschlechtern und somit einen Akt des Völkermords gemäß Artikel II der UN-Konvention von 1948 darstellen.

Die Gesundheitsdienste und -einrichtungen im Gazastreifen haben Mühe, ihre Funktionsfähigkeit wiederherzustellen. Nach dem Besuch des indonesischen Krankenhauses im Norden des Gazastreifens gab Ärzte ohne Grenzen eine alarmierende Erklärung über den Zustand des Krankenhauses ab. „Wir waren zutiefst schockiert, als wir feststellten, dass im indonesischen Krankenhaus alle medizinischen Geräte offensichtlich absichtlich zerstört wurden; sie wurden eins nach dem anderen zertrümmert, um sicherzustellen, dass keine medizinische Versorgung mehr stattfinden kann.“ Israelische Soldaten haben nachweislich medizinische Geräte in den Krankenhäusern des Gazastreifens zerstört, nachdem sie diese belagert hatten, was die ohnehin schon harten Bedingungen für die Bevölkerung des Gazastreifens noch weiter verschlimmert.

 

Weiter anhaltende Verstöße

Inmitten internationaler Aufrufe, schwere Maschinen und mobile Wohneinheiten in den Gazastreifen zuzulassen, hat Israel erneut beschlossen, seine Verpflichtungen aus der Waffenruhe zu missachten. Der Leiter des Medienbüros der Regierung von Gaza, Salama Maarouf, gab eine Erklärung in arabischer Sprache heraus, in der er bekräftigte, dass mit Stand 14. Februar keine Wohnwagen oder schweren Maschinen in den Gazastreifen gelangt sind und dass die notwendigen Bedingungen der Waffenruhe weiterhin ignoriert werden. Maarouf wies auch darauf hin, dass der Waffenstillstand weiterhin täglich von Israel verletzt wird. Diese erstaunliche Untätigkeit kommt zu einer Zeit, in der fast 1,5 Millionen Menschen im Gazastreifen durch Israels 15 Monate andauernde völkermörderischen Krieg obdachlos geworden sind.

Bei einem weiteren Verstoß gegen die Waffenruhe hat die israelische Armee am 15. Februar einen Bulldozer, der im Zentrum des Gazastreifens Schutt wegräumen wollte, mit Drohnen beschossen und dabei zwei Zivilisten verletzt. Dieser Angriff auf die ohnehin begrenzte Anzahl von Baumaschinen im Gazastreifen ist ein bewusster Versuch, den Wiederaufbau des Gazastreifens zu behindern.

Am folgenden Tag brach die israelische Armee die Waffenruhe erneut durch einen Drohnenangriff und tötete diesmal drei Polizisten im südlichen Gazastreifen, als diese versuchten, die Einreise von Hilfsgütern gemäß dem Waffenstillstandsabkommen zu sichern.

Am 14. Februar hatte die offizielle Zahl der Todesopfer in Gaza 48.239 erreicht. Dr. Munir Al Bursh, Generaldirektor des Gesundheitsministeriums in Gaza, erklärte, dass diese Zahl weiter ansteigt, nicht nur, weil immer mehr Leichen geborgen werden, sondern auch, weil immer wieder Menschen bei direkten Angriffen der israelischen Streitkräfte ums Leben kommen, ihren Verletzungen erliegen oder durch nicht explodierte Sprengkörper sterben. Seit dem offiziellen Beginn des Waffenstillstands am 19. Januar wurden mindestens 92 Menschen im Gazastreifen bei direkten Angriffen getötet. Da die Zahl der Todesopfer weiter steigt und die gefährlichen Bedingungen von Israel absichtlich nicht verändert werden, hat die Zerstörung der Gesellschaft im Gazastreifen noch kein Ende gefunden, was bedeutet, dass auch der Völkermord nicht beendet ist.

 

Was Gaza benötigt

Mit der Verschärfung der Krise im Gazastreifen durch die wiederholten israelischen Übergriffe wird die Notlage im Gazastreifen immer katastrophaler. Zu den Bedürfnissen der Menschen in Gaza gehören verschiedene Unterkünfte wie Zelte, Mobilheime, Decken und Matratzen. Außerdem werden Generatoren, Solarzellen und Treibstoff benötigt, um nicht nur die Behelfsunterkünfte wieder mit Strom zu versorgen, sondern auch das Gesundheitssystem des Gazastreifens, einschließlich der Krankenhäuser und Kliniken, wieder in Gang zu bringen. Auch Medikamente und Lebensmittel werden benötigt, da die von der israelischen Armee zugelassenen Hilfsgüter nicht annähernd ausreichen und weniger als im Waffenstillstandsabkommen vereinbart ankommen. Schwere Maschinen sind absolut notwendig, nicht nur um den Schutt zu beseitigen und die Straßen zu räumen, sondern auch um die schätzungsweise mehr als 10 000 tote PalästinenserInnen zu bergen, die sich noch unter dem Schutt befinden. Schließlich müssen Rohstoffe in den Gazastreifen eingeführt werden, um das Stromnetz wiederherzustellen und die zerstörten Abwasser- und Wasserentsalzungsanlagen zu reparieren.

Indem Israel seine vertraglichen Verpflichtungen aus dem Waffenstillstandsabkommen nicht erfüllt, zeigt es der Welt einmal mehr, dass es keine verlässliche Konfliktpartei ist, mit der man reden und verhandeln kann, und zeigt zudem, wie wenig es sich um die Menschen in Gaza und ihre Lebensbedingungen kümmert. Die Verzögerung der Einreise von schweren Maschinen und mobilen Wohneinheiten hat Menschenleben gekostet, die gerettet werden hätten können. Diese absichtlichen Bedingungen sind der Beweis dafür, dass Israel die Zerstörung der physischen Aspekte des Lebens in Gaza fortsetzt, und die bewusste Aufrechterhaltung dieser entsetzlichen Bedingungen ist ein Akt des Völkermords.



Die Hind-Rajab-Stiftung widmet sich den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die der israelische Staat an den PalästinenserInnen begeht und geht juristisch dagegen vor. Die Stiftung wurde im Gedenken an Hind Rajab während des Völkermordes im Gazastreifen gegründet.

 

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