Israelisches Militär zerstörte Gebiet am Rande des Gazastreifens, um eine „Todeszone“ zu schaffen, berichten Soldaten
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- 11. Apr.
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Zeugenaussagen von israelischen Soldaten beschreiben, wie Gebiete zerstört wurden, um eine „Todeszone enormen Ausmaßes“ zu schaffen.
Von Quique Kierszenbaum und Oliver Holmes, The Guardian, 7. April 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Das israelische Militär hat riesige Landstriche innerhalb der Grenzen des Gazastreifens zerstört und den Truppen befohlen, das Gebiet in eine „Tötungszone“ zu verwandeln, in der jeder Mensch, der es betritt, ein Ziel ist, so die Aussage von Soldaten, die den Plan ausgeführt haben.
Israelische Soldaten berichten, sie hätten den Befehl erhalten, Häuser, Fabriken und Ackerland im Umkreis von etwa einen Kilometer um den Gazastreifen zu zerstören, um eine „Sperrzone“ zu schaffen.
Die Zeugenaussagen sind einige der ersten Berichte israelischer Soldaten, die seit Oktober 2023 nach dem Angriff der Hamas auf Israel veröffentlicht wurden. Sie wurden von Breaking the Silence gesammelt, einer Gruppe, die 2004 von israelischen VeteranInnen gegründet wurde, um die Realität des militärischen Gewaltmonopols auf die PalästinenserInnen aufzudecken. Der Guardian befragte vier der Soldaten, die die Berichte bestätigten.
In dem am Montag veröffentlichten Bericht mit dem Titel „The Perimeter“ heißt es, dass der erklärte Zweck des Plans darin bestand, einen dichten Streifen Land zu schaffen, der israelischen Armee eine klare Sichtlinie bot, um Kämpfer zu identifizieren und zu töten. „In diesem Gebiet sollte es keine Nutzpflanzen, Strukturen oder Menschen geben. Nahezu jedes Objekt, jede Infrastruktureinrichtung und jedes Bauwerk innerhalb der Umgrenzung wurde zerstört“, hieß es.
Die Soldaten erhielten „den Befehl, absichtlich, methodisch und systematisch alles zu vernichten, was sich innerhalb des festgelegten Gebiets befand, einschließlich ganzer Wohnviertel, öffentlicher Gebäude, Bildungseinrichtungen, Moscheen und Friedhöfe, mit sehr wenigen Ausnahmen“, so der Bericht weiter.
Das Endergebnis war die Schaffung einer „Todeszone enormen Ausmaßes“, so der Bericht. „Orte, an denen Menschen gelebt, Landwirtschaft betrieben und Industrie angesiedelt hatten, wurden in ein riesiges Ödland verwandelt, ein Streifen Land, der in seiner Gesamtheit ausgelöscht wurde.“
Er erstreckt sich entlang der Grenze zu Israel, von der Mittelmeerküste im Norden bis zur südöstlichen Ecke des Streifens an der Grenze zu Ägypten.
Ein Unteroffizier des Pionierkorps berichtete: „Sobald ein Gebiet in der Umgebung so gut wie leer war, bekamen wir Einsätze, bei denen es im Wesentlichen darum ging, Häuser oder das, was von den Häusern übrig war, in die Luft zu jagen.“
Das war die Routine: „Wir stehen morgens auf, jeder Zug bekommt fünf, sechs oder sieben Orte, sieben Häuser, an denen er arbeiten soll. Wir wussten nicht viel über die Orte, die wir zerstörten, oder warum wir es taten. Ich denke, dass diese Dinge heute, aus meiner Sicht, nicht legitim sind. Was ich dort gesehen habe, ging, soweit ich das beurteilen kann, über das hinaus, was ich verantworten kann, was nötig war.“
Einige Soldaten sagten aus, dass die Befehlshaber die Zerstörungen als Rache für die Angriffe der Hamas vom 7. Oktober betrachteten, die den derzeitigen Krieg auslösten, als militante Palästinenser Hunderte von Menschen töteten und israelische und ausländische Bürger entführten.
Während Israel behauptet, der Krieg richte sich gegen die Hamas, wehrt sich Premierminister Benjamin Netanjahu vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegen den Vorwurf von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einschließlich des Aushungerns von Zivilisten und der „Ausrottung“.
Die israelische Armee reagierte nicht auf eine Anfrage nach Kommentaren zu dem Bericht und den Berichten der Kämpfer.
Einer der Soldaten, der gegenüber Breaking the Silence unter der Bedingung der Anonymität ausgesagt hat, berichtete, dass seine Einheit angewiesen wurde, jeden und jede, der sich innerhalb der Sperrzone befand, bei Sichtkontakt zu erschießen. In ihrer Einheit herrsche die Mentalität, dass es so etwas wie „ZivilistInnen“ nicht gebe und jeder, der in die Sperrzone komme, als „Terrorist“ betrachtet werde.
Die Regeln, wer bei Sichtkontakt getötet werden darf, scheinen den Berichten zufolge von Einheit zu Einheit unterschiedlich zu sein.
Ein Unteroffizier der Panzertruppe berichtete, dass er im Jahr 2024 den Befehl erhielt, „jeden männlichen Erwachsenen, der die Sperrzone betrat, zu erschießen“. „Bei Frauen und Kindern lautete der Befehl: Schießen, um sie zu vertreiben, und wenn sie sich dem Zaun nähern, hält man sie auf. Man tötet keine Frauen, Kinder oder ältere Menschen. ‚Schießen, um zu vertreiben‘ bedeutet Panzerfeuer“, sagte er.
Ein Hauptmann einer Panzereinheit, der zu Beginn des Krieges, im November 2023, im Gazastreifen operierte, bezeichnete das Grenzgebiet als „Todeszone“: „Die Grenzlinie ist eine Tötungszone. Jeder, der eine bestimmte, von uns definierte Linie überschreitet, gilt als Bedrohung und wird zum Tode verurteilt.“
Ein anderer Hauptmann sagte, es habe „zu keinem Zeitpunkt klare Einsatzregeln“ gegeben und beschrieb einen „generell massiven Einsatz von Feuerkraft, insbesondere mit Panzern“. Er fügte hinzu: „Es wurde viel geschossen, um zu schießen, irgendwo zwischen dem Wunsch nach einem psychologischen Effekt und ohne jeden Grund.“
„Wir haben diesen Krieg aus Kränkung, aus Schmerz, aus Wut und aus dem Gefühl heraus begonnen, dass wir Erfolg haben müssen. Diese Unterscheidung [zwischen ZivilistInnen und terroristischer Infrastruktur] spielte keine Rolle. Niemand kümmerte sich darum. Wir haben uns für eine Linie entschieden … hinter der jeder Mensch verdächtig ist.“
Woher die palästinensische Bevölkerung wissen sollte, dass sie eine unsichtbare Grenze überschreiten, wurde ihnen nicht erklärt, so die Soldaten. „Woher sie das wissen sollen? Das ist eine wirklich gute Frage. Es sind schon genug Menschen beim Überschreiten dieser Linie gestorben oder verletzt worden, also gehen sie nicht in deren Nähe.“
Vor dem letzten Krieg hatte Israel eine Sperrzone innerhalb des Gazastreifens eingerichtet, die sich auf 300 Meter erstreckte. Die neue Sperrzone sollte laut den Zeugenaussagen 800 bis 1.500 Meter betragen. Satellitenbilder haben bereits gezeigt, dass die israelische Armee Hunderte von Gebäuden zerstört hat, die sich in einem Umkreis von ein bis 1,2 Kilometern um den Zaun befanden. Letzte Woche erklärte der israelische Verteidigungsminister, das Militär werde in einer neuen Offensive „große Gebiete“ im Gazastreifen einnehmen.
Die Sperrzone macht etwas mehr als 15 % des Gazastreifens aus, der für die palästinensischen BewohnerInnen völlig unzugänglich ist. Dem Bericht zufolge entfallen 35 % der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche des Gazastreifens darauf. Trotz des Schießbefehls kehrten die PalästinenserInnen nach Angaben eines im nördlichen Gazastreifen stationierten Offiziers „immer wieder in das Gebiet zurück, nachdem wir auf sie geschossen hatten“.
Der Offizier sagte, die PalästinenserInnen wollten offenbar essbare Pflanzen pflücken, die in dem Gebiet wachsen. „Es gab dort Hubeiza [Malven], weil niemand in die Nähe ging. Die Leute sind hungrig, also kommen sie mit Sackerln, um Hubeiza zu pflücken, denke ich“.
Manche entkamen mit ihrem Essen und ihrem Leben, so der Offizier. „Die Sache ist jedoch die, dass die israelische Armee an diesem Punkt wirklich die Wünsche der Öffentlichkeit erfüllt, die da lauten: Es gibt keine Unschuldigen in Gaza.“
In einem Interview mit dem Guardian sagte derselbe Offizier, der Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 habe bei vielen Israelis das Bedürfnis geweckt, eine Waffe in die Hand zu nehmen.
„Viele von uns gingen dorthin, ich ging dorthin, weil sie uns getötet haben und jetzt werden wir sie töten. Und ich habe herausgefunden, dass wir sie nicht nur töten – wir töten sie, wir töten ihre Frauen, ihre Kinder, ihre Katzen, ihre Hunde. Wir zerstören ihre Häuser und pissen auf ihre Gräber.“
Zum Weiterlesen:
Bericht (in englischer Sprache) von Breaking the Silence:
The Perimeter – Soldiers’ testimonies from the Gaza Buffer Zone 2023-2024

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