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Im Gedenken an einen Künstler, der den Kindern in Gaza Hoffnung gab

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  • vor 5 Tagen
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Dorgham Qreaiqea leitete Film-, Theater- und Malereiprojekte mit einem unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Kunst, den Krieg zu überwinden. Ein israelischer Luftangriff tötete ihn.


Von Loaay Wattad, +972Mag, 18. April 2025


(Originalbeitrag in englischer Sprache: https://www.972mag.com/dorgham-qreaiqea-artist-gaza/)

 

In jenem Land, in dem der Himmel Feuer regnet und die Zukunft von Rauch und Trümmern verdunkelt wird, hat Dorgham Qreaiqea Samen der Hoffnung gesät.

Der 1997 geborene palästinensische Künstler war in Gaza bekannt und wurde von den Menschen sehr geschätzt. Durch Theater, Kino, Malerei und Gesang zauberte er während des Völkermords ein Lächeln auf die Gesichter der vertriebenen PalästinenserInnen, insbesondere der Kinder. Aber Dorgham war nicht nur ein Maler, Filmemacher oder Theaterregisseur: Mit seiner bescheidenen Präsenz und seiner sanften Stimme gab er Kindern, denen der Krieg die Kindheit geraubt hatte, die Chance, wieder zu träumen, und die Hoffnung, dass diese Träume eines Tages Wirklichkeit werden würden.

Dorgham war ein wichtiger Teil des Banafsaj-Projekts am Tamer Institute for Community Education, einer gemeinnützigen Organisation, die 1989 gegründet wurde, um palästinensischen Kindern den Zugang zu Büchern, Theater und anderer kultureller Bildung zu erleichtern. Banafsaj (die Farbe Lila auf Arabisch) ist ein von Jugendlichen geleitetes Team für bildende Kunst, das junge Menschen zusammenbringt, um Kunst, Malerei, Fotografie, Design und Bildhauerei als Formen des kreativen Ausdrucks und des gegenseitigen Lernens zu erkunden.

Dorgham betrachtete Kunst und Unterhaltung nicht als Luxus in Kriegszeiten, sondern als dringende und grundlegende Notwendigkeiten, um die Seele zu bewahren. Selbst nachdem die israelische Armee sein Haus und sein Atelier zerstört hatte, schrieb er: „Die Hoffnung stirbt nur durch den Tod der Seele, und die Kunst ist meine Seele - sie wird nicht sterben.“

Am 18. März wurden Dorgham, seine Frau Aya und 26 Mitglieder seiner Familie bei einem brutalen israelischen Angriff auf sein Haus im Viertel Shuja'iyya in Gaza-Stadt getötet. Doch die Hoffnung und die Freude, die er verbreitete, sind nicht erloschen. Sie wirken noch immer in den palästinensischen Kindern nach, die sich in den Flüchtlingszelten im Gazastreifen drängten, wo Dorgham Kunstprojekte schuf und kulturelle Produktionen für sie inszenierte - Akte des Widerstands auf ihre eigene Art und Weise.

 

Kunst gegen die Besatzung


Letztes Jahr nahm ich Kontakt zu Dorgham auf, um mehr über seine Arbeit zu erfahren, die ich für meine Forschung über die Kultur und die Lebenserfahrungen von Kindern in Gaza benötige. Was mit einem Interview begann, entwickelte sich zu einer tiefen Freundschaft.

Dorgham hatte einen unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Kunst, gebrochene und verwundete Seelen zu heilen. „Die Leinwand ist größer als der Krieg“, pflegte er mir zu sagen, ein Satz, den er einmal von einem Teilnehmer einer seiner Ausstellungen gehört hatte. Für ihn war das keine poetische Metapher, sondern ein Mantra, ein Aktionsplan. Im Kino sah er ein Tor, das die Blockade überwand und in eine Welt führte, in der Kinder einfach Kinder sein konnten - wenn auch nur für eine Stunde.

Für eine Initiative, die er „Camp Cinema“ nannte, verwandelte Dorgham die Nylonwände der Zelte in Projektionsflächen, auf denen Animationsfilme unter freiem Himmel gezeigt wurden. Kinder versammelten sich barfuß im Sand, ihre Augen funkelten wie Sterne und warteten darauf, dass die Geschichten sie in eine Welt ohne Wände entführten. Sie brauchten weder Popcorn noch Ledersitze; alles, was sie brauchten, war Dorgham, sein Projektor und die Geschichten, die er mitbrachte.

Doch Dorgham begnügte sich nicht damit, die Geschichten anderer Leute weiterzugeben. Er schrieb und inszenierte Theaterstücke, die das Leben in den Zelten um ihn herum widerspiegeln - wie zum Beispiel „Tagebücher der Vertriebenen“. In einer Reihe von komödiantischen Sketchen und Monologen schildert das Stück die alltäglichen Kämpfe in den Vertriebenenlagern – von der Nahrungsmittelknappheit und Überfüllung bis hin zu den Absurditäten des Lebens in einem Zelt – alles aus der Sicht von Kindern, die versuchen, sich in einer zerstörten Welt zurechtzufinden. Für Dorgham waren diese Theaterszenen eine kollektive Therapie, ein Werkzeug für Hoffnung und Überleben.

Im Sommer 2024 füllte Dorgham aufblasbare Schwimmbecken mit Wasser für die Kinder von Khan Younis und Al-Qarara im südlichen Gaza-Streifen, während über ihnen Kriegsflugzeuge dröhnten. Sie planschten und schrien vor Freude, als gäbe es die Welt außerhalb dieser Gummibecken nicht. Im August entrollte er eine 30 Meter lange Leinwand, die Dutzende von Kindern mit ihren Bildern und Handabdrücken füllen konnten. Es gab keine Anweisungen oder Grenzen - nur eine offene Einladung zum Malen.

Dorghams Arbeit bot den Kindern des Gazastreifens auch Raum, über das zu sprechen, was sie verloren hatten. Ob in einer Zeichnung eines Hauses, das nicht mehr steht, oder in einem Stück über das Warten auf Wasser, seine Kunst spiegelte ihr Leben wider - und lud sie dazu ein, sich ein neues vorzustellen.

In den Wochen vor seinem Tod plante und veranstaltete Dorgham weiterhin Filmvorführungen für vertriebene Kinder in den Lagern. Das Team hatte keinen Strom, kein stabiles Internet und keine finanziellen Mittel. Dennoch hingen sie Banner an den Lagereingängen auf, hatten gasbetriebene Generatoren dabei und verteilten handgeschriebene Eintrittskarten an die Kinder. Diese Aufführungen waren für die Kinder in Gaza eine Bestätigung ihres Lebens: Ihr seid hier. Ihr seid wichtig. Ihr habt Freude verdient.

 

Eine weite Vorstellungskraft für eine enge Welt


Ich erinnere mich oft an ein Foto von Dorgham, das unter einem Zitat des großen palästinensischen Schriftstellers Hussein Barghouthi aus seinem autobiografischen Roman „Das blaue Licht“ steht: „Man muss eine weite Vorstellungskraft für eine enge Welt haben.“

Dieses Foto verwende ich in fast jedem Vortrag, den ich über die Macht der Kinderliteratur in Palästina und insbesondere in Gaza halte. Auf diesem Foto steht Dorgham mit zum Himmel gestreckten Armen und trägt in sich die Sorgen der Kinder von Gaza und all die Hoffnung, die er nie aufgegeben hat. Dorgham war kein Heiliger – es gibt keine Heiligen in unserer Zeit – aber er verkörperte eine Art Heiligkeit, die in seiner Präsenz in den Lagern, seinem Engagement für die Kinder von Gaza und seinem unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Träume wurzelt.

Von Dorgham lernte ich, die Stimmen der Verzweiflung, die so oft durch die Atmosphäre unserer Tage driften, zu verdrängen und mich stattdessen auf das Handeln zu konzentrieren - auf die Notwendigkeit, die Hoffnung der Kinder am Leben zu erhalten und selbst inmitten der Massenvernichtung Raum für eine Zukunft zu schaffen. Seine Art, Widerstand zu leisten, war nicht laut, aber sie war beständig und überlegt: Er entschied sich dafür, aufzubauen und zu schaffen, als alles andere zur Kapitulation drängte.

Dorgham handelte mit der Dringlichkeit und Großzügigkeit eines Menschen, der wusste, dass die Zeit knapp ist. Als er im Februar nach 15 Monaten der Vertreibung nach Gaza-Stadt zurückkehrte und sein Haus und sein Atelier in Trümmern vorfand, schrieb er: „Heute ist alles zerstört. Mein Atelier – einst mein Zufluchtsort für Kreativität und Freiheit – ist jetzt nur noch Schutt unter dem Gewicht der Kriegsmaschinen. Die israelische Armee, die seit langem ihre Macht missbraucht, hat alle meine Kunstwerke zerstört. Werke, die die Geschichte, die Heimat, die Schmerzen und Träume eines Volkes zum Ausdruck brachten.“

Doch obwohl Israel ihm das Leben nahm und seine Kunst zerstörte, ist Dorgham immer noch da: in den farbigen Handabdrücken auf dem Stoff eines Zelts; in der Erinnerung eines Kindes, das einst über eines seiner Stücke lachte; in einer Leinwand, die noch steht. Dorgham war überzeugt, dass weder die Kunst noch die Menschen sterben, solange der Geist weiterlebt. Und Dorghams Geist war der eines Künstlers: hartnäckig, strahlend und unzerstörbar.

„Wenn wir nicht weiterleben sollten“, schrieb Dorgham Anfang 2024, “dann bewahrt unsere Taten, Namen und Bilder. Schreibt in dicken Buchstaben auf unsere Gräber: 'Hier liegt einer, der das Leben liebte, es aber nicht mehr erleben konnte.'“

Dorgham Qreaiqea hat das Leben nicht nur geliebt. Er gab es großzügig an die Kinder von Gaza weiter.

Leb wohl, Dorgham.

 

Dr. Loaay Wattad ist Soziologe und Kulturkritiker und spezialisiert auf die politische Soziologie der Kinderliteratur. Derzeit ist er EUME- und Minerva-Postdoc-Stipendiat an der Freien Universität Berlin.



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