Tausende Palästinenser in der Stadt sind mit unerbittlichem Bombardement und Hungersnot konfrontiert, da die israelische Armee ihre Operationen zur Säuberung des nördlichen Gazastreifens verstärkt.
Von Ibrahim Mohammad, 972Mag, 28. November 2024
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
„Wo immer man hingeht, findet man Leichen auf dem Boden. Einige sind fast verwest, andere wurden von israelischen Panzerfahrzeugen überfahren. Wir sind von allen Seiten umzingelt, und die Menschen wissen nicht, wohin sie gehen sollen.“
So sieht es derzeit in Beit Lahiya aus, einer Stadt an der Nordspitze des Gazastreifens, die seit Anfang Oktober unter anhaltender israelischer Belagerung und Bombardierung steht, wie der 43-jährige Bewohner Ali Hamouda berichtet.
„Die Stadt wurde massiv zerstört, um die verbliebenen BewohnerInnen zum Verlassen zu zwingen“, so Hamouda weiter. „Es gibt weder Lebensmittel noch Wasser, und wir stehen vor einer echten Hungersnot. Das ist ein Genozid an den EinwohnerInnen und den Vertriebenen, die hier Schutz suchen.“
Die israelische Armee hat in den frühen Morgenstunden des 6. Oktober einen intensiven Luft- und Bodenangriff auf die nördlichsten Gebiete des Gazastreifens gestartet, um die Region von PalästinenserInnen zu säubern. Ein Großteil des Angriffs richtete sich zunächst gegen das Flüchtlingslager Jabalia, doch nachdem die BewohnerInnen gewaltsam vertrieben und der größte Teil des Lagers zerstört worden war, richtete das Militär seine Aufmerksamkeit zunehmend auf Beit Lahiya.
Bei den jüngsten Angriffen Israels auf die Stadt wurden mehrere hundert PalästinenserInnen getötet, darunter mindestens 50 bei einem Luftangriff auf ein mehrstöckiges Wohnhaus am 17. November und 93 bei einem weiteren Angriff auf ein Wohnhaus am 29. Oktober. Ungefähr ein Drittel der Opfer beider Angriffe waren Kinder.
Die Rettungskräfte des Zivilschutzes, die in der belagerten Zone im Norden des Gazastreifens kaum arbeiten können, haben Beit Lahiya zum „Katastrophengebiet“ erklärt. Die beiden Krankenhäuser der Stadt, Kamal Adwan und das indonesische Krankenhaus, wurden wiederholt angegriffen. Aufgrund der hohen Opferzahl haben die BewohnerInnen einen Teil des einstmals belebten Marktviertels in einen Friedhof umgewandelt.
Die UNO schätzt, dass noch zwischen 65.000 und 75.000 Menschen in den belagerten Städten Beit Lahiya, Beit Hanoun und Jabalia leben. Mahmoud Basal, ein Sprecher des Zivilschutzes, schätzte diese Zahl etwas höher ein: bei 80.000.
„Die Situation im nördlichen Gazastreifen, insbesondere in Beit Lahiya, ist äußerst katastrophal“, betont Basal und fügt hinzu, dass Israel große Raketen auf Wohnhäuser abschießt, „ohne Vorwarnung und während sich die BewohnerInnen noch darin befinden.“ Er und seine Mitarbeiter, so Basal, „arbeiten unter extrem schwierigen Bedingungen, da die Israelis auf unsere Teams zielen. Wir haben keine Ausrüstung. Wir suchen nach den Verschütteten und ziehen die Opfer mit primitiven Methoden aus den Trümmern.“
Viele der Gebäude in der Stadt, die von Luftangriffen, Granaten, Drohnenangriffen und Bulldozern nicht völlig zerstört wurden, haben erhebliche Schrapnellschäden erlitten, die sie praktisch unbewohnbar machen. Das Haus von Hamouda wurde durch einen israelischen Angriff vollständig zerstört, so dass er und seine Familie gezwungen waren, in einem nahe gelegenen Gebäude Schutz zu suchen, das, wie er sagt, „kurz vor dem Einsturz steht“.
Nachdem das israelische Militär die nördlichen Städte von Gaza vom übrigen Gazastreifen abgetrennt hat, verhindert es die Einfuhr von Lebensmitteln und medizinischen Gütern. „Meine Familie und ich trinken jetzt unreines Wasser und essen die letzten verbliebenen Dosen mit Hülsenfrüchten“, berichtet Hamouda gegenüber +972.
Doch trotz der katastrophalen Bedingungen und der ständigen israelischen Anweisungen, die die BewohnerInnen auffordern, nach Süden in Richtung Gaza-Stadt zu evakuieren, sind Hamouda und seine Familie entschlossen, nicht zu gehen. „Es gibt keinen sicheren Ort in Gaza“, sagte er. „Alle BewohnerInnen sind dem Risiko ausgesetzt, jeden Moment bombardiert und getötet zu werden.
Ich habe gesehen, wie Männer und Frauen in ihrem eigenen Blut ertrunken sind
Shukri Al-Bodi, ein 51-Jähriger Mann aus dem Viertel Al-Shaima'a in Beit Lahiya, beschreibt die Situation in der Stadt als „Nakba im 21. Jahrhundert“.
„Die Orientierungspunkte der Stadt sind verschwunden – sie ist ein einziger Trümmerhaufen geworden“, sagt er gegenüber +972. „Meine Familie und ich ziehen von Ort zu Ort und fliehen vor dem intensiven Beschuss.“
Nach Angaben von Al-Bodi haben die unablässigen Angriffe der israelischen Armee auf Beit Lahiya dazu geführt, dass viele BewohnerInnen überhaupt keine Unterkunft mehr haben. „Wir leiden unter einer starken Überbelegung“, erklärt er. „Die Menschen haben sich auf den Gehwegen und Straßen ausgebreitet und haben keine Möglichkeit, bei dem kalten Wetter zu überleben.“
„Die Besatzung zerstört ganze Wohngebiete, und die Menschen sitzen in ihren Häusern fest, ohne etwas zu essen zu haben, in Angst, dass jeden Moment Granaten auf sie fallen könnten“, so Al-Bodi weiter. „Überwachungsdrohnen fliegen routinemäßig in niedriger Höhe über uns hinweg, und Quadcopter-Drohnen eröffnen das Feuer auf Gruppen von ZivilistInnen, um sie zum Verlassen der Stadt zu zwingen.“
Nermine Labed, 31, floh am 17. November mit ihren vier Kindern zu Fuß aus Beit Lahiya und erreichte nach einem dreistündigen Marsch das Viertel Sheikh Radwan in Gaza-Stadt. „Wir machten uns auf den Weg, während Granaten über unsere Köpfe flogen, weil es [in Beit Lahiya] nichts zu essen oder zu trinken gibt und die Situation von Tag zu Tag gefährlicher wird“, sagt sie gegenüber +972.
„Als ich die Stadt verließ, sah ich viele Leichen auf dem Boden liegen, und Hunde fraßen an einigen von ihnen“, berichtet sie. „Ich sah auch verwundete Männer und Frauen, die noch lebten, aber in ihrem eigenen Blut ertranken, ohne dass ihnen jemand helfen konnte. Das ist kein Leben; wir sterben langsam. Wie lange wird dieses Töten und diese Zerstörung noch andauern?“
Khaled Al-Omari, 27, kam am 14. Oktober in Beit Lahiya an, nachdem er aus dem Flüchtlingslager Jabalia geflohen war. Er berichtet gegenüber +972, dass die Belagerung der Stadt durch die israelische Armee, zu der auch „Scharfschützen an allen Eingängen“ gehören, die Bewegungsfreiheit der BewohnerInnen stark einschränkt und sie äußerst verletzlich macht. „Wir haben Angst und fragen uns ständig, wann wir an der Reihe sind – es scheint, als wolle Israel uns alle auslöschen“, sagt er.
„Die schwierigsten Momente, die ich erlebt habe, waren die Schreie der Menschen, die unter den Trümmern ihrer zerstörten Häuser, die von der Besatzung angegriffen wurden, noch lebten“, so Al-Omari weiter. „Sie riefen um Hilfe, aber niemand konnte etwas für sie tun, weil es keine Zivilschutzteams mehr gibt.“
Dennoch, so Al-Omari, hätten er und viele andere Flüchtlinge, die im Beit Lahia Project Komplex Zuflucht gefunden hätten, beschlossen, „bis zum letzten Atemzug auszuharren, trotz des Mangels an Nahrung und Wasser und der wiederholten israelischen Warnungen an die BewohnerInnen, das Gebiet zu evakuieren“.
In einer Erklärung an +972 sagte ein Sprecher der israelischen Armee, dass ihre Operationen im nördlichen Gazastreifen im Einklang mit dem Völkerrecht stünden und dass alle Behauptungen über wahllose Angriffe „völlig unbegründet“ seien. Die israelische Armee behauptete ferner, dass sie „den Zugang zu humanitärer Hilfe“ in den nördlichen Gazastreifen erleichtere und „sicherere Evakuierungen“ ermögliche, indem sie „vorübergehende Waffenstillstände“ einrichte. Der Sprecher beschuldigte die Hamas, Krankenhäuser für militärische Zwecke zu missbrauchen, was „die IDF dazu zwang, innerhalb der Krankenhäuser gegen die Militanten vorzugehen“. Er behauptete auch, dass seit Anfang Oktober „über 666 Hilfstransporte mit Lebensmitteln, Wasser und mehr in den nördlichen Gazastreifen gelangt sind“.
Ibrahim Mohammad ist ein unabhängiger palästinensischer Journalist aus Gaza-Stadt, der über humanitäre und soziale Themen berichtet. Er hat einen BA-Abschluss in Journalismus und Medien der Al-Aqsa-Universität.
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