Nedal Hamdouna, ein palästinensischer Journalist, wurde während des 15-monatigen Krieges in Gaza sieben Mal vertrieben. Hier beschreibt er die Freude, die er empfand, als er nach Beit Lahia im Norden des Streifens zurückkehren konnte – und den Schmerz, als ihm bewusst wurde, wie viel erst wieder aufgebaut werden muss.
Von Nedal Hamdouna, The Independent, 29.01.2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Ich verbrachte elf Stunden auf der Straße nach Nord-Gaza, der langen Straße nach Hause. Es war eine Reise, von der ich seit einem Jahr und vier Monaten geträumt hatte.
Die Wanderung war lang und anstrengend: Die Straße war durch Panzer, Bulldozer und Bombardements zerstört. Unterwegs sah ich einen alten Mann sterben – seine Kinder drängten sich um ihn und versuchten, ihn künstlich zu beatmen, riefen in den Himmel um Hilfe. Eine schwangere Frau weinte, sie sagte, sie hätte unter den Anstrengungen des Weges vorzeitig die Wehen bekommen.
Nach sieben Kilometern ging den Menschen das Trinkwasser aus. Einige Eltern hatten ihre Kinder und andere Familienmitglieder in den Menschenmassen verloren. Es gab keine Kommunikationsmöglichkeiten, da es in der Gegend keinen Mobilfunkempfang gab und der Verkehr auf dieser Straße nicht erlaubt war. Nachdem der ältere Mann gestorben war, schien ein zweiter vor lauter Erschöpfung ins Koma zu fallen. Es waren keine Krankenwagen im Einsatz.
Trotzdem gingen die Menschen weiter – ein gewaltiger Strom von Menschen. Ganze Familien, alt und jung, glücklich und aufgeregt, trotz der Länge und Schwierigkeit des Weges.
Ich war zu Beginn des Krieges aus Beit Lahia, meiner Heimatstadt im äußersten Norden des belagerten Gazastreifens, vertrieben worden. Wir waren gezwungen, mehrmals vor schweren Bombardierungen zu fliehen: zuerst ins Zentrum, dann in den Süden und schließlich an die Küste. Seit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens, das unter anderem vorsieht, dass vertriebene PalästinenserInnen endlich in den Norden zurückkehren dürfen, zählte ich die Tage, Stunden und Sekunden, bis ich nach Hause zurückkehren konnte.
Ich war extrem ängstlich und angespannt, weil ich befürchtete, dass das Abkommen kurz vor unserer Rückkehr scheitern oder ausgesetzt werden würde. Alle meine Gedanken und Sorgen konzentrierten sich auf die schnell vergehende Zeit. Sieben Tage lang konnte ich kaum schlafen.
An jenem Morgen – Montag, 27. Januar – wachte ich um 5 Uhr morgens auf und hörte um mich herum Jubel und den Abbau von Zelten. Gerade war bekannt geworden, dass die israelische Armee endlich die Rückkehr der Vertriebenen in den nördlichen Gazastreifen zulassen würde, nachdem sie sich aus dem „Netzarim-Korridor“ zurückgezogen hatte, der seit Beginn des Krieges vom israelischen Militär besetzt worden war und den Gazastreifen praktisch in zwei Hälften teilte.
Zwei Tage zuvor hatten sich Zehntausende von Menschen versammelt und warteten darauf, in den Norden zu gelangen, wie es in den Bedingungen der vor Wochen in Kraft getretenen Waffenruhe vorgesehen war. Viele bauten sogar ihre Zelte ab und verbrannten sie, weil sie dachten, dass sie bald aufbrechen würden. Sie mussten einige Nächte in klirrender Kälte verbringen, weil Israel die Rückkehr um mehrere Tage verschoben hatte.
Aber am Montagmorgen trank ich eine Tasse Tee und aß ein Stück Brot. Ich trug meine Tasche auf den Schultern und verabschiedete mich von meiner Mutter, meiner Tochter und meiner Frau in der Hoffnung, dass sie in den nächsten Tagen nachkommen würden. Um neun Uhr fuhr ich mit meinem Schwager und meinem Neffen mit dem Auto von der südlichen Stadt Khan Younis nach Nuseirat, und von dort aus ging ich 20 km über die Trümmer des Lagers Nuseirat entlang der Küstenstraße zu meiner Stadt Beit Lahia.
Jeder Schritt, den ich in Richtung Norden machte, war wie ein Pulsschlag der Freude in meinem Herzen und meiner Seele. Jeder Schritt, den ich tat, brachte mich meiner Heimat und meinem Land näher.
Ich habe ein wunderschönes Bild von dieser Welt vor dem 7. Oktober in meinem Kopf – ein Bild von Beit Lahia. Es liegt im äußersten Norden des Gazastreifens und hat einen langen Sandstrand und malerische Plätze. Es ist der Ort, an dem die fruchtbarsten Böden liegen, weil das Grundwasser aus den Bergen von Hebron kommt und dort am frischesten und reichhaltigsten ist. Hier gibt es Orangen-, Zitronen- und Guavenplantagen und vor allem die berühmten Erdbeerfelder. In den frühen 1970er Jahren waren die Erdbeeren aus Beit Lahia in ganz Europa bekannt für ihre Qualität und ihren süßen Geschmack. Die Einheimischen nennen sie das „rote Gold“.
Und so wuchs ich auf, umgeben von Platanen und Erdbeersträuchern, den Stimmen der Karrenverkäufer, dem Geräusch der landwirtschaftlichen Hydromaschinen und umgeben von Freunden und Familienangehörigen, die sich auf der Straße trafen – Erinnerungen, die vor einem Jahr oder mehr verschwunden sind, Erinnerungen, zu denen, wie ich hoffte, mit jedem Schritt gen Norden zurückzukehren.
Aber je weiter ich nach Norden ging, desto mehr Zerstörung sah ich, desto mehr Leben und Menschen verschwanden. Ich passierte Gaza-Stadt und erreichte das nördliche Gouvernorat, Jabalia und Beit Lahia. Ich hatte Angst, dass sich die Geschichte wiederholen würde, wie 1948, als die PalästinenserInnen gezwungen waren, von ihrem Land zu fliehen und nie wieder zurückzukehren konnten. Ich war misstrauisch, ob wir tatsächlich nach Hause gehen können, bis der Moment kam, in dem wir meine Stadt betreten konnten. Es war sieben Uhr, als ich in Beit Lahia ankam.
Ich hatte bereits von der Zerstörung gehört und Fotos im Internet gesehen, aber es ist etwas anderes, wenn man es mit eigenen Augen sieht. Es sah aus, als wäre es von einer Atombombe getroffen worden. Alle Gebäude links und rechts von mir waren dem Erdboden gleichgemacht. Das Gesicht der Stadt hatte sich verändert, sie war zu einer Geisterstadt geworden. Beit Lahia, meine Heimatstadt, war dem Erdboden gleichgemacht. Die wenigen Häuser, die noch standen, waren unbewohnbar – zerstört und verbrannt.
Ich kam um acht Uhr in meinem Viertel an. Man hatte mir vorher gesagt, dass mein Haus teilweise zerstört war. Als ich meine Straße betrat und mein Blick auf mein Haus fiel, vergaß ich die Müdigkeit in meinem Körper, sobald ich es betrat. Ich fand mein Haus mit zerstörten Wänden und ohne Möbel vor. Ich habe vor, später im Schutt zu suchen, um zumindest einige unserer Erinnerungen zu finden – Bilder, Papiere und persönliche Gegenstände.
Ich saß heute Morgen an der Tür meines Hauses, dachte nach und traf die Menschen, die in Beit Lahia zurückgeblieben waren, die mich fragten, wie es allen geht. Alles, wovon ich geträumt hatte, hat sich in Luft aufgelöst. All meine Hoffnungen und Träume prallten auf Zerstörung und eine schmerzhafte Realität, auf Trümmerhaufen, deren Beseitigung Jahre dauern wird.
Ich weiß nicht, ob die Obstgärten von Beit Lahia jemals wieder blühen werden.

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