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Eine Kriegsgebiet-Kinderärztin berichtet darüber, was nach dem Grauen der Notaufnahme in Gaza kam

Dr. Seema Jilani rechnet mit der Heuchelei westlicher liberaler Institutionen ab.


Von Seema Jilani, Lithub, 5. März 2025.


(Originalbeitrag in englischer Sprache)

 

Ich scrolle ziellos auf meinem Handy und stoße dabei auf ein Video von Shaban Al-Dalou, einem 19-jährigen Mann, der vor dem Al-Aqsa-Krankenhaus in Gaza in Flammen aufgeht. Ich erkenne sofort das Krankenhaus und die nahegelegenen Zelte, die mit vertriebenen Familien vollgestopft sind. Ich habe als Ärztin auf diesem Gelände gearbeitet, das zu einem behelfsmäßigen Dorf mit einer eigenen kleinen Gesellschaft wurde.

Vor der Klinik hatte sich ein Herrenfrisör niedergelassen, der neben PatientInnenen, die eine Wundversorgung brauchten, eine scharfe Rasur versprach. Der Kaffeemann lief mit brühendem Kardamom-Qahwa [arabisch für „Kaffee“, Anm.] durch die Gassen, und seine Kanne klirrte, als ich auf Zehenspitzen über die Abwässer lief, um zu meiner Schicht in der Notaufnahme zu gelangen. Das Video, in dem Al-Dalou bei lebendigem Leibe verbrennt, während er sich an seinen Infusionsschlauch klammert, hat mich zutiefst erschüttert und ich habe mich gefragt, wer wohl noch dem Feuer zum Opfer gefallen ist.

In meiner Zeit als Kinderärztin in Gaza sah ich, wie verhungernde Babys nach Luft schnappten und nach ihren Müttern griffen, die unter Trümmern begraben waren. Ich habe eine ganze Familie behandelt, die alle Verbrennungen dritten Grades erlitten hatten. Die Augen waren mit Blasen übersät. Die Genitalien der Kinder waren von der Bombardierung verbrannt und entstellt.

Bei dem Versuch, die unfassbaren Szenen menschlicher Tragödien in Gaza zu begreifen, habe ich mich an zwei Frauen gewandt, von denen ich wusste, dass sie nicht nur so taten, als würden sie mich verstehen. Ich wusste, dass sie mir nicht vorschlagen würden, meinen zornigen Tonfall zu mäßigen; auch würden sie meine Tränen nicht herunterspielen oder meine Stimme zum Schweigen bringen wollen, wie es so viele taten und noch immer tun. Es waren zwei prominente Frauen, deren Identität durch den westlichen Kolonialismus beeinflusst wurde. Ich habe mich auf Fatima Bhutto gestützt, eine Schriftstellerin und Romanautorin, die aus einer der faszinierendsten politischen Dynastien Südasiens stammt, der pakistanischen Familie Bhutto. Ich habe mich Najla Said anvertraut, der Schauspielerin, Dramatikerin und Tochter des palästinensisch-amerikanischen Intellektuellen Edward Said. In seinem Werk forderte er den Westen auf, sich von den exotischen Bildern Asiens und des Nahen Ostens zu verabschieden, die er als Trugbilder ansah, die nur zur Rechtfertigung westlicher Kolonialbestrebungen dienten. Mit seinem bahnbrechenden Buch Orientalism („Orientalismus“), das die Betrachtungsweise des Postkolonialismus auf den Kopf stellte, hatte Said einen transformativen Einfluss auf die Geisteswissenschaften.

Menschen wie ich, Fatima und Najla sind Töchter der Kolonialisierung. Wir waren gezwungen, uns damit auseinanderzusetzen, dass unsere Stimmen über Gaza zum Schweigen gebracht wurden, dass unser Lebensunterhalt, unsere Familien und sogar unsere eigene Sicherheit bedroht waren. Vorbildliche Minderheiten und Flüchtlingskinder wie wir sind die vergessenen Nachkommen toter Imperien. Wir werden exotisiert, tokenisiert, sexualisiert und als vollendete Kinder der Diaspora gepriesen.

Man findet uns vielleicht auf den Titelseiten von Universitätsbroschüren, ein braunes Gesicht, um die Vielfalt zu präsentieren, aber nur selten werden wir in Vorstandsetagen zugelassen. Ob wir nun in Kriegsgebieten eingesetzt oder an den Rand der Gesellschaft geschickt werden, wir haben unermüdlich daran gearbeitet, Institutionen für ihr Versagen zur Verantwortung zu ziehen. Das ist eine zermürbende und oft riskante Aufgabe, an die sich in elitären Kreisen nur wenige herantrauen. Wenn es jedoch darum geht, sich zum Thema Palästina zu äußern, werden unsere Stimmen routinemäßig unterdrückt. Unsere Menschlichkeit wird auf den Prüfstand gestellt, wenn wir uns dazu entschließen, unsere Stimme zu erheben.

Mit zittrigen Fingern schrieb ich den beiden eine SMS, nachdem ich Al-Dalou in Flammen gesehen hatte. Fatima telefonierte von ihrem Haus in London aus mit mir. Ich war immer noch in meinem Arztkittel, nach der Nachtschicht in dem Kinderkrankenhaus, in dem ich in Houston arbeite. In der Nacht hatte ich mich um einen leukämiekranken Teenager, ein Kind mit Sichelzellenanämie, das wegen einer schweren Schmerzkrise eingeliefert worden war, und eine Jugendliche, die versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, gekümmert. Fatima hatte gerade einen Stillmarathon mit ihrem gefräßigen kleinen Sohn hinter sich. Ich hängte mein Stethoskop auf, als ihr Baby im Hintergrund wimmerte. Das leise Gurren erinnerte mich an die wunderbaren ersten Tage mit meiner eigenen Tochter.

Der Krieg in Gaza hat uns Müttern viel abverlangt. Ich habe mich dazu entschieden, meine siebenjährige Tochter zurückzulassen, um kriegsverletzte Kinder zu behandeln, die ihr ähnelten, nur dass ihre Gliedmaßen nur noch an einem Faden hingen und ihre Körper bis zur Unkenntlichkeit verkohlt waren. Einer meiner Patientinnen in Gaza trug sogar denselben Namen wie meine Tochter. Einmal sah ich zu, wie eine Fliege im Blut eines einjährigen Kindes ertrank, dem die Gliedmaßen weggeblasen worden waren. Fatima musste zwischen dem Füttern ihres Babys, dem Wechseln von Windeln und nächtlichem Aufwachen mit ansehen, wie sich die Gräueltaten an den PalästinenserInnen auf dem Mobiltelefon in ihrer Handfläche abspielten.

Während wir zusahen, wie der Gazastreifen buchstäblich verbrannte, ohne dass diejenigen, die daran mitschuldig sind, auch nur einen kollektiven Seufzer von sich gaben, wurde Fatima und mir immer wieder bewusst, dass wir außerhalb der Gesellschaft stehen und immer stehen werden. Morgen könnten es unsere Kinder sein, sagten wir zueinander.

„Es war unglaublich zu beobachten, wie westliche JournalistInnen über die israelischen Pager-Angriffe im Libanon – die nach jeder Definition des Wortes Terrorismus waren – mit Bewunderung sprachen“, sagt Fatima. Die Angriffe wurden weitgehend als spektakuläre Leistung verherrlichter Kriegsführung dargestellt. Die New York Times pries sie als Israels „Trojanisches Pferd“ und lobte Israels „taktischen Erfolg“ und „technische Fähigkeiten“. Die Associated Press nannte die Operationen „ausgeklügelte, tödliche Angriffe, die eine außergewöhnliche Anzahl von Menschen zum Ziel hatten“. Emily Harding, eine Veteranin der CIA und des Nationalen Sicherheitsrates der USA, bezeichnete den Angriff als eine „geheimdienstliche Glanzleistung“.

Fatima und ich erinnerten uns beide gleichzeitig an ein Detail. Einer der Pager hing an der Hüfte eines Vaters, der seinen zehn Tage alten Sohn Aiman zur Neugeborenenuntersuchung zu seinem Kinderarzt brachte. Als Aiman auf der Waage des Arztes etwa sieben Pfund wog, ertönte der Pager seines Vaters. Als er detonierte, flogen Schrapnellsplitter durch den Untersuchungsraum und schleuderten den Arzt in die Ecke. Metall durchbohrte den Unterleib des Vaters und zwei seiner abgetrennten Finger lagen verstreut auf dem Boden. Explosive Trümmer zerfetzten Aimans Gesicht und hinterließen Verletzungen, aber er überlebte. Bei den Anschlägen wurden mindestens 37 Menschen, darunter zwei kleine Kinder, getötet und Tausende weitere verletzt.

Ich erinnere mich an meinen ersten Arztbesuch mit meinem kleinen Mädchen. Ich hatte ihr ein zartes, lavendelfarbenes Blumenstirnband ins Haar gesteckt. Die Kinderärztin war so zärtlich, während sie ganz sanft ihr Herz abhörte und ihr die Haare aus der Stirn strich. Das ist die Erinnerung, die ich mir für alle neuen Eltern wünsche. Diese braunen Kinder in fernen Ländern gehören genauso zu uns wie alle anderen, und wir hatten törichterweise gehofft, andere würden ihre Unschuld ebenfalls erkennen.

Sowohl Fatima als auch ich haben Wurzeln in Pakistan. Ich wurde als Kind pakistanischer Eltern in New Orleans geboren und wuchs größtenteils in Übersee auf – in Saudi-Arabien, England, Indonesien, Nigeria und Venezuela –, da mein Vater als Öl- und Gasingenieur arbeitete. Schließlich ließ sich meine Familie in Texas nieder, der Heimat von Big Oil. Meine Kindheit war geprägt von der Folklore des westlichen Exzeptionalismus; Assimilation war die einzige Möglichkeit, mir Respekt zu verschaffen.

Mein Vater, der Cowboystiefel trug, erlaubte uns nicht, Urdu zu sprechen. Zum Glück unterrichtete uns meine Mutter im Geheimen. Mein Vater hängte eine amerikanische Flagge vor unserem Haus auf und nahm sie bei Regen sorgfältig ab, damit sie nicht schmutzig wurde. Ich konnte mehr Texte von Erykah Badu-Songs auswendig als Verse des Korans, und um meine Arbeitsmoral hätten mich die Pilger beneidet. Ich bin Amerikas Vorzeigekind unter den Einwanderern: ein Kind und Enkelkind von Flüchtlingen, die auf der Suche nach einem besseren Leben für uns Kontinente und Ozeane überquert hatten, was es mir ermöglichte, mich bis zur Ärztin hochzukämpfen.

Fatima verbrachte ihre Kindheit in Damaskus. Sie und ihre Familie lebten in Syrien, während ihr Vater während des militärischen und fundamentalistischen Regimes von General Zia-ul-Haq in Pakistan im Exil war. In ihrem Leben gab es keinen Traum von der amerikanischen Freiheit. Sie ist die Tochter des Politikers Murtaza Bhutto, Nichte der ehemaligen pakistanischen Premierministerin Benazir Bhutto und Enkelin des ehemaligen Premierministers und Präsidenten Pakistans Zulfiqar Ali Bhutto. „Der Vater meines Vaters war durch einen von der CIA unterstützten Putsch gestürzt worden. Die dunkle Seite des Westens war für mich immer präsent. In Pakistan wurden auf Geheiß eines von den USA und Großbritannien unterstützten Diktators Tausende von Menschen getötet, verhaftet und öffentlich ausgepeitscht. Wir hatten nie eine romantische Vorstellung davon, wofür der Westen steht.“

Fatimas Buch Songs of Blood and Sword, das 2010 erschien, ist ein fesselnder Roman, der eine der rätselhaftesten politischen Familien Südasiens nachzeichnet – ihre eigene. Sie wurde für ihre Hartnäckigkeit und ihren Mut gelobt, mit der sie den Mächtigen in Pakistan die Wahrheit sagte und einige der hochrangigsten Militärs und Regierungsbeamten Pakistans zur Rechenschaft zog. Sie spielte sogar darauf an, dass ihre Tante und ihr Onkel für die Ermordung ihres Vaters verantwortlich waren, der als die größte Bedrohung für die Herrschaft von Benazir Bhutto und Asif Ali Zardari galt.

„Ich habe viele Jahre lang über Macht und Korruption in Pakistan geschrieben. In meinem Buch wurde ein amtierender Premierminister des Mordes beschuldigt, und ich lebte zu dieser Zeit in Pakistan. Darüber zu sprechen, fühlt sich jedoch nicht so riskant an wie über Gaza zu sprechen“, sagt Fatima.

Der Maulkorb kann autoritär und unverhüllt sein oder sich in den Nischen der höflichen Gesellschaft verstecken. In jedem Fall ist die Wirkung auf Menschen in der Diaspora, deren Leben von der Brutalität des Imperialismus geprägt ist, bedrohlich. Nachdem ich in Gaza gearbeitet hatte, stellte ich in Interviews mit den Medien fest, dass ich erwartet hatte, dass die Mehrzahl der Verwundeten junge Männer sein würden. Die Realität in Gaza sah jedoch so aus, dass meine PatientInnen unverhältnismäßig viele Kinder waren, anders als in jedem anderen Konfliktgebiet, in dem ich je gearbeitet habe.

Ich wurde von meiner NGO-Leitung ausdrücklich angewiesen, diese Formulierung nicht zu verwenden; sie befürchteten, dass dies den Anschein erwecken könnte, dass meine Absicht, nach Gaza zu gehen, darin bestand, Hamas-Kämpfer zu behandeln. Für mich als Kinderärztin war das natürlich nicht nachvollziehbar. Als ich später von Jewish Voices for Peace gebeten wurde, an einem Webinar teilzunehmen, entschied meine NGO-Leitung, dass diese Organisation zu politisch sei, um mit ihr beim Thema Gaza zusammenzuarbeiten.

„Es wird sehr energisch vorgegangen und auch im Verborgenen agiert. Man erkennt, dass man, wenn man bestimmte Dinge sagt, bestimmte Jobs nicht bekommt“, so Fatima.

Die Echokammer der westlichen elitären Medien ist eine schaurige Festung der kolonialen Herablassung gegenüber Menschen mit brauner Hautfarbe. Die Tatsache, dass sie nur denjenigen eine Plattform bieten, die von Generation zu Generation reich und privilegiert sind, nagt an unserer kollektiven Moral. Der vielleicht eindrucksvollste Mechanismus ist die Selbstzensur, die den verinnerlichten Griff des Kolonialismus auf unsere Psyche widerspiegelt. Wenn ich von den Grausamkeiten spreche, die ich in Gaza miterlebt habe, muss ich meine Worte mit falschen Neutralitäten und der Ohnmacht der passiven Stimme relativieren; beides dient nur dazu, den Aggressor von seinen Verbrechen zu entlasten. In unserer Medienlandschaft werden palästinensische Kinder routinemäßig „tot aufgefunden“, während ukrainische Kinder von russischen Aggressoren brutal „getötet“ werden. Wenn das israelische Militär eine Erklärung abgibt und prominente amerikanische Zeitungen als deren Stenographen fungieren, wird die palästinensische Sichtweise in der Geschichtsschreibung getilgt.

Als Frauen mit brauner Hautfarbe werden wir in zwei Phänotypen eingeteilt: erotisiert und würdig, (kurz) gehört zu werden, oder intellektuell redlich, aber ignoriert. Dies ist ein Überbleibsel der traditionellen Medien, die westliche JournalistInnen in Kriegsgebiete schicken, damit sie uns als Karikaturen darstellen können, die dem westlichen Publikum gefallen: stumm und in Burkas oder angriffslustig und fetischisiert, unsere Menschlichkeit verteidigend.

Der Krieg im Gazastreifen hat viele unbequeme Wahrheiten ans Licht gebracht, die denjenigen von uns, die im Schatten der Kolonialmächte und der von ihnen angezettelten Kriege und Putsche aufgewachsen sind, nicht fremd sind. Das Mitgefühl für die palästinensischen Kinder ist von Wut und Hass verdrängt worden. Antisemitismus und Islamophobie sind beide auf dem Vormarsch, aber das Attribut „AntisemitIn“ wurde benutzt, um kritische Stimmen zu dämonisieren, den ersten Teil der Geschichte zu verfälschen und zu entscheiden, wessen Perspektive in den Hallen der Macht Respekt verdient. Stimmen wie meine wurden ignoriert.

Das Establishment hat sogar versucht, uns zum Schweigen zu bringen, indem es den Wahrheitsgehalt von AugenzeugInnenberichten, einschließlich des meinen, in Frage stellte. Nach meiner Rückkehr aus dem Gazastreifen sprach ich im Frühjahr 2024 öffentlich über das, was ich erlebt hatte – vor allem über die albtraumhaften Verletzungen, die Kinder durch israelische Bombardements erlitten. Meine Arbeit – über die in der New York Times, NPR, PBS News Hour und The New Yorker berichtet wurde – führte zu Mord- und Vergewaltigungsdrohungen, beruflicher Instabilität und einer tiefen Angst um meine Sicherheit, die bis heute anhält.

Im November letzten Jahres wurde ich von der Columbia Human Rights Initiative Asylum Clinic, einer Organisation von MedizinstudentInnen und Lehrkräften am Columbia University College of Physicians and Surgeons, die sich für einen menschenrechtsorientierten Ansatz in der Medizin einsetzt, eingeladen, neben Arwa Damon, der ehemaligen CNN-Auslandskorrespondentin, zu sprechen. Das Thema unserer Podiumsdiskussion war die Gesundheitsversorgung in Gaza, und das Publikum bestand aus MedizinstudentInnen aus ganz New York City. Die OrganisatorInnen informierten mich über das Risiko, dass die Vorlesung in letzter Minute abgesagt werden könnte. In der Woche zuvor war eine ähnliche Vorlesung ohne Angabe von Gründen abgesagt worden.

Als Referentinnen hatten wir um die Erlaubnis gebeten, dass unsere eigenen Gäste an der Veranstaltung teilnehmen durften; diese Anträge wurden abgelehnt. Die Gäste, die nicht an unserem Vortrag teilnehmen durften, hatten eines gemeinsam: Sie gehörten zu den Medien oder waren im Kommunikationsbereich tätig. Unser Vortrag erforderte auch zusätzliche Sicherheitskräfte. Allein der Gedanke, dass wir zusätzliche Polizeibeamte für die Sicherheit brauchten, weil wir über das „G“-Wort –Gaza – sprachen, ist sinnbildlich für den Maulkorb. Dass dies im berühmten Haus von Edward Said stattfand, wäre komisch, wenn es sich nicht so dystopisch angefühlt hätte.

Kürzlich saßen Najla Said und ich auf der Treppe eines Hauses an der Upper West Side, mit einem Kaffee in der Hand, und beobachteten Spaziergänger, Kindermädchen und Frauen, die auf dem Weg zum Spinning-Kurs an uns vorbeizogen. Najla trug eine Schirmmütze über ihrem tiefbraunen Haar, das ihr in Kaskaden über die Schultern fiel. Najla hat strahlende rotbraune Augen mit Wimpern, die ihr fast bis zu den Wangen reichen. Sie ist schick, auch wenn sie nur schwarze Leggings und einen Mantel trägt, und hat eindeutig die kühne Ausstrahlung ihres Vaters geerbt. Sie erzählte mir, wie das Büro ihres Vaters, das früher in der Hamilton Hall der Columbia University untergebracht war, einst in Brand gesteckt wurde und wie herzzerreißend das vergangene Jahr war, vom Verlust von FreundInnen und Möglichkeiten bis hin zur Sorge, ob ihre Familie im Libanon vor israelischem Bombardement sicher ist.

„Mein Vater hat mir das Wort 'Solidarität' beigebracht, während er meine Hand hielt, als ich vor der Hamilton Hall stand. Die Columbia hat sich immer für das Recht meines Vaters auf freie Meinungsäußerung eingesetzt. Es war eine wunderbare Institution“, sagt sie voller Wehmut. „Als ich ein Kind war, dachte ich, das Wort 'Campus' bedeute Spielplatz, denn dort gingen wir zum Spielen hin. Wenn mein Vater mich in den Kindergarten brachte, nahm er den langen Weg, damit er über den Campus gehen konnte. Ich habe diesen Campus geliebt. Jetzt ist er abgesperrt, und ohne StudentInnenausweis darf man ihn nicht betreten.“

Der Schmerz in ihrer Stimme hat mich erschüttert. „Wenn er noch am Leben wäre, würde er da draußen seine Faust schütteln, wie er es immer tat“, lacht sie. Najla ist sich bewusst, dass es nichts Persönliches ist, aber das ändert nichts daran, dass es sich anfühlt wie „ein absichtlicher Versuch, meinen Vater auszulöschen, der eine Bastion des Wissens, der Argumente und des Intellektualismus war, und jemand, der pro-palästinensisch war.“

Anfang 2010 betrat die damals fünfunddreißigjährige Najla Said die Bühne des Fourth Street Theater für ihre erste One-Woman-Show „Palestine“, eine kathartische Auseinandersetzung mit ihrer komplizierten Beziehung zu Palästina. Said hypnotisierte das Publikum mit ihren persönlichen Geschichten, in denen sie den palästinensischen Führer Jassir Arafat traf, heimlich jüdische Jungen in ihrem Viertel an der Upper West Side küsste und mit der Paranoia nach dem 11. September rang. Die Show lief acht Wochen lang vor ausverkauftem Haus und erhielt wichtige finanzielle Unterstützung von Daniel Barenboim, der sich gemeinsam mit seinem Freund und Mitarbeiter Edward Said für Gespräche zwischen Arabern und Israelis eingesetzt hatte.

Die Aufführung von Palestine war ein voller Erfolg, die Kritiker waren begeistert und das Publikum wollte mehr. Doch das war es dann auch schon. Das Stück wurde weder von weiteren Investoren aufgegriffen, noch wurde es in anderen Städten gezeigt. Mit der Zeit versiegten die Telefonanrufe. Für die meisten anderen Dramatiker hätte der Triumph des Stücks Saids Status als vielversprechender Star im New Yorker Theatersystem gefestigt. Stattdessen sind alle Hoffnungen auf eine Wiederaufnahme ihres Stücks in der Zukunft angesichts des derzeitigen beunruhigenden Klimas des Diskurses über Gaza zum Stillstand gekommen.

Najla erzählte mir, wie ihr Vater gewissenhaft die Entscheidung traf, sich nicht zu politisieren, bis er hoch angesehen war, und damit die Grundsätze jenes Märchens erfüllte, auf das wir ebenfalls beide hineingefallen waren. Um als jemand aus einem kolonisierten Land einen Wandel herbeizuführen, muss man zunächst das Labyrinth durchqueren, das der Kolonialherr für einen angelegt hat.

„Als ich in Princeton studiert habe, hat mir mein Vater gesagt: 'Du musst dir deinen Weg in diese Welten bahnen, die Leute kennen und von dort aus auf Veränderungen hinarbeiten.'“ Für Najla änderten sich die Spielregeln in dem Moment, in dem sie mit größerem Erfolg rechnete oder die Kühnheit besaß, sich gegen den Krieg in Gaza zu stellen.

Ein großer Teil der modernen westlichen Kultur – akademisch, intellektuell, wissenschaftlich und künstlerisch – ist aus der Arbeit von Flüchtlingen und DissidentInnen entstanden, die vor unterdrückenden Regimen geflohen sind und sich hier niedergelassen haben. Ob Kreative, die den Geist einer Gesellschaft über Wasser halten, ÄrztInnen, die während der Pandemie Beifall ernteten, oder SchriftstellerInnen, die den literarischen Kanon mit ihrer fruchtbarsten Prosa füllen – unser Erfolg hängt immer noch so oft davon ab, wie lautstark wir unsere Kritik an den Machthabern äußern.

Ich hatte meine Ambitionen während meiner gesamten Laufbahn mit Geschick gesteuert, mich mit meinem amerikanischen Akzent und meinen geglätteten Haaren salonfähig gemacht und mich die Leiter hinaufgekämpft in die dünne Luft elitärer Räume, in denen die klassische Hochschulzulassung die Norm war. Nach dem 11. September 2001, auf dem Höhepunkt der islamfeindlichen Hysterie, bewarb ich mich für ein Medizinstudium. Von Chicago über Boston bis New York wurde ich in Vorstellungsgesprächen gefragt, ob mein Vater mir beigebracht habe, wie man Bomben baut, und ob ich eine Burka tragen werde, wenn ich Ärztin werde. Jahrzehntelang war ich einfach nur dankbar, dass mir ein Platz am Tisch zugestanden wurde.

Unsere vom Krieg traumatisierten Eltern haben Ozeane überquert, um uns hierher zu bringen, in das Land der Freiheit. Jetzt versucht jede von uns auf ihre Weise herauszufinden, wer wir wirklich sind: Wir kehren in die Kriegsgebiete zurück, aus denen unsere Eltern geflohen sind, wir kehren zurück, um Solidarität zu üben, wir versuchen, einen Rest dessen zu spüren, was sich wie Heimat anfühlen könnte, weder hier noch dort, wir schreiben Bücher über das Erbe der vom Westen unterstützten Putsche, die zum Exil und schließlich zum Tod des Vaters führten, und wir vertreten palästinensische und arabische Frauen im Theater.

Wir waren auf der Suche nach dem, was uns versprochen wurde. Die blanke Heuchelei rund um Gaza hat dieses Versprechen zunichte gemacht.

In den unvergesslichen Bildern von Al-Dalou, der sich an einen Infusionsschlauch klammert und beim verzweifelten Versuch, den Flammen zu entkommen, erstickt, erkenne ich etwas von mir selbst wieder. Vielleicht dachte er, dass er geschützt wäre, dass er sich auf die Nähe zu einem heiligen, sakrosankten Gebäude, einem Krankenhaus, verlassen könnte. Unsere Nähe zu elitären, prestigeträchtigen Institutionen rettete uns ebenso wenig wie seine Nähe zu einem Krankenhaus.

Ich habe in Konfliktgebieten von Afghanistan bis zur Ukraine und sogar auf Flüchtlingsrettungsbooten vor der libyschen Küste gearbeitet, aber nichts hätte mich auf eine Notaufnahme in Gaza vorbereiten können. Als ich Rafah verließ, kribbelten meine Nasenhaare noch immer vom Geruch des versengten Fleisches eines jungen Mädchens. Ihr Gesicht war geschmolzen und verkohlt, und ihr Hals war schwarz verkrustet, als sie nach ihrer Mutter schrie. Wir hatten es noch nicht übers Herz gebracht, ihr zu sagen, dass sie bei einem israelischen Luftangriff getötet worden war.

Ich hatte den Körper eines palästinensischen UNRWA-Mitarbeiters umarmt und ihm einige tröstende Worte ins Ohr geflüstert, als er in meiner Umarmung seine letzten, qualvollen Atemzüge tat. Die fast ständigen Geräusche der Luftangriffe in der Nähe unseres Gästehauses waren ohrenbetäubend. Ich verbrachte die Nächte zitternd und beobachtete, wie Tornados von Rauch in den Himmel stiegen. Aber nach zwei Wochen Arbeit in einem belagerten Krankenhaus im Gazastreifen, als die israelischen Streitkräfte immer näherkamen, war ich immer noch am Leben.

Das unaufhörliche Brummen der israelischen Drohnen begann zu verstummen, als wir aus dem Gazastreifen heraus und durch die Wüste Sinai in Sicherheit fuhren. Das schrille Summen der Drohnen – eine ständige Erinnerung daran, dass unser Leben immer in Gefahr war – wich der heiseren Stimme der beliebten ägyptischen Sängerin Umm Kulthum aus den Lautsprechern unseres Vans. In enger Zusammenarbeit mit palästinensischen ÄrztInnen und in enger Abstimmung mit den Vereinten Nationen, der Weltgesundheitsorganisation und den israelischen Behörden half ich bei der Planung des Einsatzes unseres medizinischen Teams im Gazastreifen im Rahmen eines Pilotprojekts des International Rescue Committee (IRC), bei dem es um Leben und Tod ging, um herauszufinden, ob wir ÄrztInnen sicher in eines der gefährlichsten Kriegsgebiete der Welt schicken konnten.

Unser IRC-Gästehaus war angeblich „konfliktfrei“, d.h. die Kriegsparteien hatten sich darauf geeinigt, dass seine spezifischen geografischen Koordinaten von militärischen Luftangriffen verschont blieben. Kurz nachdem ich den Gazastreifen verlassen hatte, wurde das Gästehaus vom israelischen Militär mit einer US-Waffe bombardiert, was durch eine UNMAS-Untersuchung [UNMAS bedeutet United Nations Mine Action Service, Minenräumdienst der Vereinten Nationen, Anm.] bestätigt wurde. In dem Haus wohnten Kinder sowie unser Team, darunter internationale ÄrztInnen, Sicherheitspersonal, ein Teamleiter und andere, die bei dem Bombenangriff verletzt wurden. Die israelische Regierung hat seitdem nicht weniger als sechs verschiedene Erklärungen dafür abgegeben, warum die Koordinierungsstelle angegriffen wurde.

Im International Rescue Committee selbst gaben mir einige KollegInnen die Schuld an der Bombardierung und unterstellten mir, dass dies geschehen war, weil ich in den Medien über die Schrecken im Gazastreifen berichtet hatte, was die Aufmerksamkeit auf unsere Arbeit lenkte. Diese Anschuldigungen verfolgen mich. Ich habe die Abfolge der Ereignisse in meinem Kopf immer wieder durchgespielt, um herauszufinden, ob ich in irgendeiner Weise verantwortlich war. Von Schuldgefühlen geplagt, habe ich die Zeitachse meines Engagements in den Medien nachgezeichnet, um zu sehen, ob aus der Korrelation eine Kausalität abgeleitet werden kann. Aber die einzig vernünftige Schlussfolgerung ist, dass die verantwortliche Partei das israelische Militär ist, jene Partei also, die das IRC-Gästehaus bombardiert haben. Jede andere Erklärung, die mit meinen Äußerungen zu Gaza zusammenhängt, dient nur dazu, mich einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, die bedingungslose Unschuld der Täter zu behaupten und das israelische Militär von einem Kriegsverbrechen freizusprechen.

Ich verließ den Gazastreifen um einige Pfunde leichter, mit einem zerstörten Seelenleben und einem Koffer voller rotgefärbter Kittel. Nachdem ich mir in Kairo den Dreck aus den Haaren gewaschen hatte, setzte ich mich an meinen Computer, um meine Vorgesetzten auf den neuesten Stand zu bringen und unsere Pläne für die Nachbesprechung mit David Miliband, dem ehemaligen britischen Außenminister und jetzigen Präsidenten und Geschäftsführer des International Rescue Committee, zu besprechen.

Als leitende Beraterin und Organisatorin der Gesundheitsmission im Gazastreifen erwartete ich, dass die Hauptaufgabe der Nachbesprechung mir zufallen würde. Die Aussicht, Miliband unseren erfolgreichen Einsatz zu erläutern, war ermutigend. Die IRC-Leiter zogen bereits in Erwägung, mich zur Unterrichtung des Nationalen Sicherheitsrats zu schicken und die Möglichkeit eines Treffens mit der damaligen Vizepräsidentin Kamala Harris zu erörtern. Aber meine Vorgesetzten hatten andere Vorstellungen. Bei der Unterrichtung von Miliband, so sagten sie mir, sollte auch einer der britischen Ärzte anwesend sein, die mit mir im Krankenhaus in Gaza gearbeitet hatten.

„Miliband muss das mit einem Oxford-Akzent hören“, sagte mir einer meiner Chefs in einer Online-Sitzung mit zwei meiner Vorgesetzten.

Ich war fassungslos. Ich habe zwanzig Jahre lang mit Unterbrechungen im Nahen Osten gearbeitet, unter anderem im Westjordanland, im Gazastreifen, in Ägypten, im Libanon und in Syrien. Als ich 2010 in Afghanistan für die Rechte der Frauen eintrat, hatte meine Stimme Gewicht. Im Jahr 2013 wurde ich dafür gelobt, dass ich den drakonischen pakistanischen muslimischen Extremismus ins Rampenlicht rückte und mich mutig gegen die regressive Art des Islam der Taliban stellte.

Als ich in der New York Times über zwei junge Mädchen schrieb, die an der Seite der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai erschossen wurden, oder über Überlebende des Völkermords von Srebrenica in Bosnien, oder über die Behandlung von PatientInnen auf Flüchtlingsrettungsbooten vor der Küste Libyens, wurde ich für meine prinzipienfeste Haltung gelobt. Wenn ich von den Gräueln spreche, die das Assad-Regime über das syrische Volk, oder von den Gräueln, die Russland über das ukrainische Volk gebracht hat, gilt das als gerechte Empörung. Als meine eigene Tochter bei der Explosion in Beirut im Jahr 2020 verletzt wurde und ich von der Regierung in Beirut Rechenschaft verlangte, war meine Empörung in der allgemeinen Moral verankert.

Wenn ich jedoch versuche, über die grundlegenden Zumutungen zu sprechen, die ein Kaiserschnitt ohne Schmerzmittel in einem bombardierten Krankenhaus in Gaza mit sich bringt, oder wenn ich das Innere des Gehirns eines palästinensischen Kleinkindes auf seiner Kopfhaut zerquetscht sehe, sein Haar verfilzt mit geronnenem Blut, stoße ich auf eine ganz andere Resonanz. Man traut mir zu, ein amerikanisches Kind mit einem Hirntumor zu behandeln, aber man traut mir nicht zu, darüber zu berichten, was ich mit meinen eigenen Augen in einer Notaufnahme in Gaza gesehen habe. Obwohl ich die bahnbrechende Gaza-Mission für das IRC konzipiert und geleitet hatte, wurde mir von meiner Chefin, einer progressiven weißen Frau, ausdrücklich bei mehreren Vorträgen untersagt, über Gaza zu sprechen.

Dann, in einer Gruppensitzung, in der unsere humanitäre Aktion in Gaza besprochen wurde, kündigte einer meiner Kollegen an, dass das IRC seine „ersten Programmmitarbeiter“ in den Gazastreifen schicken würde.

„Ich weiß, dass du in den Gazastreifen gegangen bist, Seema“, sagte mein Kollege in der Gruppensitzung, “aber du zählst nicht, weil du als Ärztin gegangen bist.“

Du zählst nicht.

Unmittelbar nach Beendigung des Gesprächs brach ich in Tränen aus. Ich dachte, ich hätte gezählt, als ich kurz nach dem Verlassen des Gazastreifens zu einem inoffiziellen Briefing der Mitgliedsstaaten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingeladen wurde. Als ich meine Erklärung für das UN-Briefing vorbereitete, erinnerte mich meine Chefin daran, dass ich die Möglichkeit habe, die Erklärung einfach online zu lesen, anstatt persönlich zu den Vereinten Nationen zu reisen. Dies, so sagte sie, sei „für meine eigene geistige Gesundheit“. Ich habe fast zwanzig Jahre lang sterbende Kinder in meinen Armen gehalten. Nichts ist schädlicher für meine geistige Gesundheit als Distanz oder Schweigen zu Gewalt gegen Kinder. Ich erinnerte mich daran, was die PalästinenserInnen in Gaza ausdrücklich von mir verlangten: „Wenn du gehst, vergiss uns nicht. Erzähl unsere Geschichten jedem, der zuhören will.“

In einem zu großen Anzug saß ich in Manhattan in einem Raum voller UN-, Ärzte ohne Grenzen- und WHO-VertreterInnen sowie Dutzenden von DiplomatInnen und deren MitarbeiterInnen. Ich war die einzige farbige Frau in diesem Raum. Ich verlas meine Erklärung bei diesem Briefing des UN-Sicherheitsrats, in der ich ausführlich über meine Zeit in Gaza mit pädiatrischen PatientInnen berichtete und mich darüber wunderte, wie die Einsatzregeln für den Krieg geändert wurden, um Israel entgegenzukommen. Ich sagte ihnen, dass ich von allen Kriegsgebieten, in denen ich gearbeitet habe, noch nie ein solches Ausmaß an Verwüstung gesehen habe und dass der Anteil der kriegsverletzten Kinder höher war als in jedem anderen Krieg, in dem ich gearbeitet habe.

Eines Tages waren vier der fünf PatientInnen, die wir wiederbelebten, jünger als fünfzehn Jahre. Ich erzählte ihnen von den palästinensischen ÄrztInnen, die mehrfach vertrieben wurden und gezwungen waren, Unterkunft, Nahrung und Wasser für ihre Familien zu beschaffen, und die trotzdem zur Arbeit erschienen. Wie sie, mit dem Stethoskop in der Hand, ihre eigenen Familienmitglieder für tot erklärten, sich einen Moment Zeit nahmen, um zu weinen, und dann zur Behandlung der PatientInnen zurückkehrten.

Ich erzählte darüber, wie ich spürte, als sich die israelischen Streitkräfte dem Krankenhaus näherten – die zischenden Geräusche der Luftangriffe wurden lauter und kamen näher. Eines Tages zischte eine Kugel durch die Intensivstation. Am nächsten Tag wurde die Straße zum Krankenhaus als zu unsicher eingestuft, so dass wir sie nicht mehr benutzen konnten. Daraufhin warf das israelische Militär Flugblätter ab, in denen die Umgebung des Krankenhauses als „rote Zone“ bezeichnet wurde. Da es in der Vergangenheit immer wieder zu Angriffen auf medizinisches Personal und Einrichtungen in Gaza gekommen war, konnte unser Team nicht zurückkehren. Die PatientInnen wurden panisch evakuiert.

Ich sagte ihnen, dass diese Angriffe auf Krankenhäuser jeden Funken Zivilisation in uns allen erschüttern sollten. Ich weiß nicht, ob meine PatientInnen entkommen konnten. Was ist mit dem Waisenkind, dem ein Bein fehlte? Wie konnten die Geschwister mit Verbrennungen im Gesicht und zugeschwollenen Augen gut genug sehen, um zu fliehen? Was ist mit meinen Babys in den Inkubatoren der Neugeborenen-Intensivstation passiert?

Im Krieg, sagte ich, sprechen wir vom Fall von Städten. Der Fall von Mosul. Der Fall von Saigon. Ich fragte, wann es normal geworden ist, vom Fall von Krankenhäusern zu sprechen. Der Fall von Al-Shifa. Der Fall des Al-Aqsa-Krankenhauses. Als voyeuristische Zaungäste des Leids sehen wir dem Erdrutsch zu und akzeptieren irgendwann, dass dies die neuen Einsatzregeln sind, während wir vorgeben, eine regelbasierte Gesellschaft zu sein. Diese groteske Missachtung des Lebens hat eine Generation von amputierten Waisenkindern hervorgebracht. Abschließend versuchte ich sicherzustellen, dass ihnen klar ist, dass das Schicksal dieser Kinder jetzt in ihren Händen liegt.

Danach rief ich meinen Vater an, einen Bootsflüchtling aus der Zeit der Teilung Indiens, und erzählte ihm, dass ich seine Hoffnungen erfüllt und seinen amerikanischen Traum von einem Platz am Tisch wahr gemacht hatte. Was ich ihm nicht sagte, war, dass ich in diesen Raum ging, um ihre Bestätigung zu erhalten, und als ich ihn verließ, brauchte ich sie nicht mehr.

Ich hatte Angst vor dem Treffen mit Miliband, aber er hat mich überrascht. Ich und drei britische Ärzte, darunter zwei mit Oxford-Akzent, informierten ihn in einer Online-Sitzung. Schick gekleidet, mit einer Bibliothek von Büchern im Rücken, war Miliband neugierig und voll des Lobes für unser Team. Die Annahme, dass er einen Oxford-Akzent brauchte, um mich ernst zu nehmen, war eindeutig falsch. Er hörte ernsthaft zu und machte sich pflichtbewusst Notizen.

Danach fragte ich mich, ob er, das IRC oder eine der anderen Institutionen, mit denen ich gesprochen hatte, irgendetwas mit meinen Empfehlungen anfangen würde. Aber das wäre ihre Last, die sie zu tragen hätten und ihre Heuchelei, von der sie sich reinwaschen müssten, nicht meine. Ich war nicht die Heuchlerin.

Inzwischen habe ich das IRC verlassen. Während ich weiterhin in Kriegsgebieten arbeite, habe ich auch meine klinische medizinische Arbeit in Texas wieder aufgenommen, einer anderen Art von Frontlinie, wo verschiedene Freiheiten angegriffen werden, sei es durch drakonische Abtreibungsgesetze oder durch die Gesundheitsversorgung von EinwanderInnen ohne Papiere, die in Gefahr sind. Ich treffe für diese Kinder Entscheidungen über Leben und Tod. Ich darf Bluttransfusionen für krebskranke Kinder anordnen, einen Code Blue ausrufen, um sie auf die Intensivstation zu bringen, oder sie sogar für tot erklären. Aber ich darf mich immer noch nicht zu Gaza äußern und erreichen, dass sich dadurch etwas ändert.

Fatima brachte die Dinge mit chirurgischer Präzision auf den Punkt, als sie mir sagte: „Die sanfte Macht des Westens war sehr verlockend. Das Gefühl, dass es ein Ort der Freiheit ist, dass es Raum für Stimmen wie unsere gibt, dass sich jemand um die Vielfalt kümmert – diese Ideen waren verführerisch. Gaza hat den Mythos dieser Institutionen, die ich bis dahin respektierte, zerstört. Ich glaube nicht, dass es jemals wieder möglich sein wird, sie in diesem Licht zu sehen.“

„Ich bin nicht frustriert, denn es befreit uns von der Vorstellung, dass dies die einzigen Orte sind, die zählen“, so Fatima weiter. „Unser Weltbild hat sich gerade enorm erweitert, wenn wir das jetztige loslassen können. Es werden bereits neue Dinge gebaut. Die Menschen investieren ihre Zeit, ihren Kummer und ihren Herzschmerz, um Räume zu verändern.“

Gaza hat den dünnen Schleier des politischen Diskurses gelüftet. Meine Erkenntnis kam spät, aber dies ist nur eine Wiederholung der zerbrochenen Illusionen so vieler Menschen aus dem globalen Süden, die ihr Vertrauen in westliche Werte gesetzt haben. Ich fühle mich erleichtert und kann das Gespenst der dankbaren, vorbildlichen Minderheit begraben, das niemals wieder auferstehen wird.

Es ist zwar immer noch wichtig, in den Räumen, in denen die Mächtigen Entscheidungen treffen, das Wort zu ergreifen, aber ich weiß, dass die Rolle von Menschen wie Fatima, Najla und mir viel umfassender und die Last viel größer ist; es ist nicht mehr das Ziel, Zugang zu einem Raum zu erhalten, und es ist unter unserer Würde, darum zu betteln, als gleichberechtigt angesehen zu werden. Jedes Flüchtlingskind weiß, dass wir schlauer, kämpferischer und zäher sein müssen als die anderen; wir haben nicht den Luxus, Fehler zu machen. Ich habe das Glück, von der Vorstellung befreit zu sein, dass ein Erfolg auf dem westlichen Erfolgsbarometer jemals garantieren könnte, dass ich auch wirklichen Einfluss habe.

Jetzt kann ich mich darauf konzentrieren, die Systeme der Unterwerfung abzubauen, die Systeme, von denen wir glaubten, sie würden uns befreien. Jetzt können wir aufhören, die Demütigungen der Auslöschung zu schlucken, nur um auf dem Altar der Ehrbarkeitspolitik zu beten. Die rettende Gnade eines Volkes, dem der Imperialismus in die DNA eingeschweißt ist, besteht darin, dass wir über ein Arsenal an angestammter Wut verfügen, auf das wir zurückgreifen und mit dem wir etwas Neues aufbauen können.

Obwohl Fatima und ich uns über den Stachel dieses Verrats beklagen, ist sie ermutigt. „Der Westen hat seine Autorität über uns verloren“, sagte sie mir. Während wir sprachen, rief die nächste Generation unserer Diaspora – ihr kleiner Sohn und meine kleine Tochter – jeden von uns zu sich. Kurz bevor wir uns auf den Weg machten, um unsere Aufmerksamkeit wieder auf sie zu richten, sagte sie mir: „Der Westen hat keine moralische Autorität, keine politische Autorität, keine geistige Autorität. Es gibt nichts mehr, was wir anstreben könnten. Es ist sehr befreiend.“


Seema Jilani ist Fachärztin für Kinderheilkunde und hat in Afghanistan, im Gazastreifen, im Westjordanland, im Libanon, im Irak, in Syrien, in Ägypten, in Bosnien und auf Flüchtlingsrettungsbooten vor der Küste Libyens gearbeitet. Ihre Radio-Dokumentation “Israel and Palestine: The Human Cost of the Occupation“ wurde für den Peabody Award nominiert.




 

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