Unter dem Vorwand des Gaza-Krieges drängt Nachala darauf, das zu korrigieren, was ihrer Ansicht nach die „historische Ungerechtigkeit“ des israelischen Rückzugs von 2005 darstellt. Wenn der Waffenstillstand ins Wanken gerät, ist die Gruppe zum Angriff bereit – und es gibt nur wenig, was ihr im Weg steht.
Von Yoshua Leifer, +972Mag in Kooperation mit The Nation, 11.02.2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Daniella Weiss, die 79-jährige Anführerin der rechtsextremen Siedlerorganisation Nachala, stieg aus ihrem weißen Mitsubishi-Geländewagen und betrat den Parkplatz des Bahnhofs von Sderot, nur drei Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Es war der 26. Dezember, die zweite Nacht von Chanukka, und Nachala hatte seit Wochen aggressiv für eine feierliche „Prozession nach Gaza“ und eine Kerzenanzünderzeremonie in einer geschlossenen Militärzone an der Grenze geworben. Die Veranstaltung sollte der nächste Schritt in Nachalas intensiver Kampagne zum Wiederaufbau der jüdischen Siedlungen in Gaza sein. Wenn sie schon nicht in den Gazastreifen eindringen konnten, so würden sie doch zumindest versuchen, so nahe wie möglich heranzukommen.
Eine Gruppe von Teenager-Mädchen in knöchellangen Röcken eilte herbei, um Selfies mit Weiss zu machen, gegen die im Juni von der kanadischen Regierung für die Ausübung extremistischer Gewalt gegen die palästinensische Bevölkerung im besetzten Westjordanland Sanktionen verhängt worden waren. In der Nähe standen Jeschiwa-Studenten aus Sderot und skandierten „Am Yisrael Chai“ – ein alter Slogan, der „Das Volk Israel lebt“ bedeutet und zu einem nationalistischen Mantra geworden ist. In der hinteren Ecke des Parkplatzes standen zwei Frachtcontainer (die SiedlerInnen nennen sie Wohnwagen) mit der Aufschrift „Gaza gehört für immer uns“ auf schweren Tiefladern, die auf den Befehl warteten, in das zerstörte Gebiet zu fahren. In der Ferne erhellten gelegentliche Explosionen im Gazastreifen den Horizont in einem unheimlichen Licht, und das Geräusch ließ die Fenster eines angrenzenden Einkaufszentrums klirren.
„Wir werden diese Kundgebung zum Gebiet des Black Arrow führen, zu einem Hügel, von dem aus man den Gazastreifen überblickt“, erklärte Weiss gegenüber +972 und beschrieb somit den Plan von Nachala für die Nacht. (Black Arrow [zu Deutsch: Schwarzer Pfeil, Anm.] ist eine Gedenkstätte für israelische Fallschirmjäger, die vom Jüdischen Nationalfonds verwaltet wird und weniger als einen Kilometer von der Zement- und Stacheldrahtbarriere entfernt ist, die den Gazastreifen von Israel trennt.) „Hoffentlich lässt uns die Polizei dorthin“, fügte sie grinsend hinzu. „Aber wir finden immer einen Weg.“
Weiss' fundamentalistische Überzeugung macht ihr Alter vergessen. Sie ist eine der letzten noch lebenden SiedlerführerInnen der Gründergeneration und ehemalige Generalsekretärin von Gush Emunim („Block der Gläubigen“), der messianischen religiös-nationalistischen Bewegung, die in den frühen 1970er Jahren entstand und den Siedlungsbau im besetzten Westjordanland vorantrieb. Als sie älter wurden, tauschten viele von Weiss' KollegInnen das militante Leben gegen bürgerlichen Komfort unter den Terrakotta-Dächern der Vorstadtsiedlungen oder ließen ihre Zeit des Terrorismus und der Zerstörung hinter sich, um in den Medien oder der Politik Karriere zu machen. Nicht so Weiss.
Abgesehen von ihrer Zeit als Bürgermeisterin von Kedumim, einer Ultra-Hardliner-Siedlung in der Nähe der palästinensischen Stadt Nablus, blieb Weiss auf den Hügeln des besetzten Westjordanlands und rief junge jüdische Israelis dazu auf, das Land zu übernehmen. Im Jahr 2005 gründete sie zusammen mit einem anderen der extremsten Führer von Gush Emunim, Moshe Levinger aus der berüchtigten Siedlung Kiryat Arba in der Nähe von Hebron, Nachala mit dem Ziel, die Anti-Establishment-Flamme der SiedlerInnenbewegung am Brennen zu halten. In den vergangenen Jahren ist sie zu einer Art Guru für die radikalen jungen SiedlerInnen auf den Hügeln geworden, denen sie beim Bau illegaler Außenposten hilft und die sie in der Kunst des zivilen und nicht-zivilen Widerstands gegen alle Versuche der israelischen Behörden, sie zu kontrollieren, berät.
Fast unmittelbar nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober nahmen Weiss und der Rest der SiedlerInnenbewegung den Gazastreifen ins Visier. Vor dem Hintergrund der massiven israelischen Bombardierung und ethnischen Säuberung des Nordens des Gebiets verstärkten sie ihre Bemühungen, dort wieder jüdische Siedlungen zu errichten, und verkündeten ihre Absichten laut und unverblümt – und in dem Wissen, dass sie auf erhebliche Unterstützung innerhalb der Regierungskoalition zählen können.
Im vergangenen Dezember erklärte Finanzminister Bezalel Smotrich, der die Partei des religiösen Zionismus anführt und als Machthaber des Westjordanlandes fungiert, (nicht zum ersten Mal) im öffentlichen israelischen Rundfunk: „Wir müssen den Gazastreifen besetzen, dort eine militärische Präsenz aufrechterhalten und Siedlungen errichten.“ Viele in Smotrichs Lager wollten den Krieg verlängern, denn je länger Israel den Gazastreifen bombardiert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es den SiedlerInnen gelingt, einen Außenposten – den Grundstein einer Siedlung – in Gaza zu errichten.
Die Ankündigung eines Waffenstillstandsabkommens, das am 19. Januar in Kraft trat, hat den Schwung der Gaza-Umsiedlungsbewegung zwar verlangsamt, aber keineswegs zum Stillstand gebracht.
Der Waffenstillstand ist brüchig und gefährdet: Es gibt keine Garantie, dass er über die erste sechswöchige Phase hinaus Bestand hat, die nur einen teilweisen israelischen Rückzug aus dem Gebiet vorsieht. Und es gibt bereits Berichte, dass Premierminister Benjamin Netanjahu, um seine rechtsgerichtete Regierung zusammenzuhalten, der Forderung Smotrichs nachgegeben hat, dass Israel den Krieg nach dem Ende der ersten Phase wieder aufnimmt und schrittweise die volle israelische Kontrolle über den Gazastreifen übernimmt. Ob es dazu kommt, hängt weitgehend von der Bereitschaft der Trump-Administration ab, kontinuierlichen Druck auf Netanjahu auszuüben, um die weiteren Phasen des Waffenstillstandsabkommens zu erfüllen – was sehr wahrscheinlich das Überleben von Netanjahus Regierungskoalition gefährden würde.
Inmitten dieser Ungewissheit hat die SiedlerInnenbewegung ihre Vision der Wiederbesiedlung des Gazastreifens weiter vorangetrieben. In der Nacht vor Inkrafttreten des Waffenstillstands führte Nachala mehrere Dutzend AktivistInnen zur Gedenkstätte „Black Arrow“ zurück, um dort gegen das Abkommen zu protestieren. Die SiedlerInnen beten offen für das Scheitern des Abkommens, während eine Handvoll der militanteren unter ihnen weiterhin in Geh-Weite zur Trennmauer kampiert.
Wenn der Waffenstillstand zusammenbricht und die israelischen Bodentruppen in voller Stärke nach Gaza zurückkehren, werden die SiedlerInnen bereit sein, ihren Vorstoß zu erneuern und noch entschlossener neue Siedlungen dort zu errichten. In diesem Szenario wird es erschreckend wenig geben, was sie aufhalten könnte.
„Eine Zeit der Wunder“
In den 2000er Jahren – drei Jahrzehnte nach der israelischen Besetzung des Westjordanlands und des Gazastreifens – lebten in Gaza fast 9 000 israelische SiedlerInnen in 21 Siedlungen. Siebzehn davon befanden sich in dem von den Israelis als Gush Katif bezeichneten Gebiet an der Südküste des Gazastreifens, das den PalästinenserInnen in den Städten Khan Younis und Rafah praktisch den Zugang zum Mittelmeer versperrte. Viele der SiedlerInnen, die sich auf den Weg nach Gaza machten, gehörten zu den ideologisch extremeren Fraktionen der religiös-zionistischen Bewegung und waren überzeugte AnhängerInnen der messianischen Vision einer jüdischen Präsenz in jedem Winkel des biblischen Landes Israel.
Als Israel 2005 alle jüdischen SiedlerInnen aus Gaza absiedelte – was die Israelis als „Rückzug“ bezeichnen –, betonte Premierminister Ariel Scharon gegenüber der internationalen Gemeinschaft, er hoffe, dass dieser Schritt zeigen würde, dass es Israel ernst damit sei, die Art von territorialen Kompromissen einzugehen, die für ein mögliches Friedensabkommen mit den PalästinenserInnen notwendig seien.
In der israelischen Öffentlichkeit hingegen argumentierte Scharon, dass diese besonderen Siedlungen strategisch wenig sinnvoll seien; in Gaza gebe es keine antiken Stätten von ernsthafter religiöser Bedeutung, und die Verteidigung der Siedlungen erfordere zu viele Truppen. Privat verfolgten Scharon und seine Berater jedoch ein anderes Ziel: Sie wollten die mögliche Gründung eines palästinensischen Staates aufschieben, indem sie das Schicksal des Westjordanlandes und des Gazastreifens voneinander trennten. „Die Bedeutung des Rückzugsplans war das Einfrieren des Friedensprozesses“, erklärte Dov Weisglass, ein Berater Sharons, bekanntermaßen. „Der Rückzug war eigentlich eine Farce.“
Doch für die Mitglieder der religiös-nationalistischen Rechten Israels war jeder territoriale Rückzug inakzeptabel. Seit 2005 betrachten sie den Rückzug als eine „historische Ungerechtigkeit“, die wiedergutgemacht werden muss.
Mit dem Beginn der Bodeninvasion in Gaza Ende Oktober 2023 sahen Israels extrem religiöse ZionistInnen ihre Chance gekommen. Rechtsgerichtete Soldaten begannen, Videos von sich hochzuladen, in denen sie schworen, nach Gush Katif zurückzukehren und den Gazastreifen neu zu besiedeln. Inmitten der Trümmer pflanzten sie die orangefarbene Flagge auf, die zum Symbol der Anti-Rückzugsbewegung geworden war, entrollten Banner, auf denen die künftigen Standorte neuer Siedlungen verkündet wurden, und nagelten Mezuzahs an die Türrahmen zerstörter palästinensischer Häuser.
Während ein Großteil Israels die Monate nach dem 7. Oktober in Trauer verbrachte, begab sich die Führung der SiedlerInnenbewegung in einen Zustand nahezu ekstatischer Vorfreude, der sich mit der Zeit nur noch vertieft hat. „Aus meiner Sicht“, so Orit Strook, ein Regierungsminister von der Partei des religiösen Zionismus, im Sommer, “war dies eine Zeit der Wunder.“
Die Nachala begann ihrerseits mit der Organisation von Veranstaltungen, um Unterstützung für die Wiederbesetzung und Umsiedlung des Gazastreifens zu gewinnen. Im November 2023, nur wenige Wochen nach dem 7. Oktober, hielt sie in der südlichen Stadt Aschdod einen Kongress ab, der diesem Ziel gewidmet war. Einige Monate später, im Januar 2024, organisierten Weiss und ihre extremistischen PartnerInnen die „Konferenz für den Sieg Israels“ in Jerusalem, an der mehrere Tausend Menschen teilnahmen, darunter 11 Kabinettsminister und 15 Mitglieder der Regierungskoalition, deren Redner die Bemühungen um den Wiederaufbau der Siedlungen im Gazastreifen begrüßten und die Vertreibung der dort lebenden PalästinenserInnen forderten.
Am israelischen Unabhängigkeitstag im Mai organisierte Nachala eine Kundgebung in Sderot, bei der der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, vor einer jubelnden Menge von Tausenden die Forderung der Bewegung nach einer „freiwilligen Migration“ der BewohnerInnen des Gazastreifens wiederholte – ein grober Euphemismus für ethnische Säuberung. Und im Oktober veranstaltete Nachala eine „feierliche“ Versammlung zum Sukkot-Fest in einer geschlossenen Militärzone in der Nähe der Grenze, wo rechtsextreme Aktivisten Stände aufbauten und Workshops zur Vorbereitung der Umsiedlung des Gazastreifens abhielten.
Als sich die Gruppe im Dezember zur Chanukka-Feier auf dem Parkplatz von Sderot versammelte, war die Menge zwar deutlich kleiner, aber die Stimmung war nicht weniger jubelnd. „Möchten Sie sich unserem Siedlerkreis anschließen?“, fragte eine Frau, die eine orangefarbene Kopfbedeckung trug; an einer goldenen Kette um ihren Hals hing ein Anhänger, der den wiederaufgebauten Dritten Tempel darstellte. Sie verkaufte T-Shirts, Handtücher, Autofahnen und Strampler für Kleinkinder mit der Aufschrift „Gaza ist Teil des Landes Israel“, um Geld für die Bemühungen ihres „Nucleus“ bzw. ihrer SiedlerInnengruppe zu sammeln. Von den sechs solcher „Nuclei“, die Nachala für die Besiedlung verschiedener Teile von Gaza organisiert hat und die jeweils aus etwa 100 Familien bestehen, war ihrer – der Nucleus für den nördlichen Gazastreifen – „der beste“, sagte sie, „weil er am realistischsten ist.“
Dies sei der Fall, weil die israelische Armee den größten Teil des nördlichen Gazastreifens bereits „geräumt“ habe, erklärte sie. Was die verbliebenen PalästinenserInnen anbelangt, so fügte sie hinzu, „sind sie offensichtlich nicht unschuldig“, so dass man mit ihnen entsprechend verfahren würde – mit anderen Worten, sie würden vertrieben oder getötet werden.
Die Bewohnerin von Ashkelon, einer Stadt 19 Kilometer nördlich des Gazastreifens, war sich so sicher, dass die Umsiedlungsbemühungen erfolgreich sein würden, dass sie es abgelehnt hatte, ihren Mietvertrag für das kommende Jahr zu verlängern. „Bis zum nächsten Sommer werden wir in unserem neuen Haus [in Gaza] sein“, sagte sie. „Es ist Gottes Plan, dass wir zurückkehren.“
Hilfe von oben
Obwohl die SiedlerInnen gerne Gott dafür danken, dass er ihre mögliche Rückkehr nach Gaza beschleunigt hat, hatten sie auch bedeutende Hilfe von irdischen Quellen. Vor dem Waffenstillstandsabkommen errichteten die israelischen Streitkräfte eine ausgedehnte Besatzungsarchitektur im Gazastreifen. Entlang des von der israelischen Armee so genannten Netzarim-Korridors – einer vier Meilen langen asphaltierten Straße, die den Streifen in zwei Hälften teilt – errichteten sie mehr als ein Dutzend militärische Außenposten und Stützpunkte, die mit klimatisierten Wohneinheiten, Duschen, Küchen und Synagogen ausgestattet sind (ein orthodoxer Rabbiner berichtete zudem, dass zahlreiche Thorarollen in den Gazastreifen gebracht worden seien). Weitere Kontrollpunkte und militärische Inspektionsanlagen wurden im gesamten Gazastreifen errichtet. Obwohl diese Infrastruktur mit dem Abzug der israelischen Streitkräfte aus Netzarim scheinbar beseitigt wurde, könnte sie genauso schnell wieder aufgebaut werden, wie sie abgebaut wurde.
Mitte Dezember veröffentlichte die israelische Nachrichtenseite Ynet einen Artikel über einen „kleinen Rückzugsort am Strand“, den die Armee im nördlichen Gazastreifen gebaut hatte und der mit einer Entsalzungsanlage, Physiotherapiestudios, einer mobilen Zahnarztpraxis und einem Spielzimmer ausgestattet ist. „Der Rückzugsort ist eine beeindruckende Oase zivilen Komforts„ inmitten der Trümmer der vom Krieg zerrissenen Region“, heißt es in dem Artikel. „Zu den weiteren Annehmlichkeiten gehören eine Kaffeebar mit einer großen Espressomaschine, Popcorn- und Zuckerwattestationen sowie eine Lounge mit belgischen Waffeln und frischen Brezeln“, heißt es weiter. „So bereitet sich die IDF auf einen längeren Aufenthalt in Gaza vor“, hieß es in der Überschrift des Artikels.
Für die palästinensische Bevölkerung, die im Norden des Gazastreifens verblieben, bedeutete dies jedoch nur noch mehr Leid. Nördlich von Netzarim zerstörten die israelischen Streitkräfte systematisch ganze Stadtteile, zerstörten lebenswichtige Infrastrukturen, darunter auch Krankenhäuser, und setzten Hunger als Kriegswaffe ein. Luftaufnahmen der einst dicht besiedelten Städte Beit Lahiya, Beit Hanoun und Jabalia zeigen eine völlig zerstörte Landschaft mit grauen Trümmerbergen, die fast bis zum Horizont reichen.
Für Weiss war diese Verwüstung eine willkommene Etappe in einem göttlichen Plan. In einem Interview mit Kan, Israels öffentlichem Rundfunk, verriet sie Mitte November, dass sie während einer Expedition entlang der Trennmauer zur Erkundung künftiger Siedlungsgebiete Kontakt zu aktiven Armeeoffizieren mit rechtsextremen Sympathien aufgenommen hatte, die ihnen einen Militärjeep zur Verfügung stellten, mit dem sie in den Gazastreifen fuhren, wo sie das Gelände der ehemaligen Gaza-Siedlung Netzarim in Augenschein nahmen. „Wir, die SiedlerInnen, haben alle möglichen Methoden“, so Weiss zu Kan.
Die nächste Etappe werde einfach sein, fuhr sie fort. Irgendwann in den kommenden Monaten würden sie versuchen, viele weitere Nachala-Aktivisten in die Armeestützpunkte in Gaza zu bringen; dann würden sie sich mit einer Methode, die die Siedlerbewegung schon vor Jahrzehnten perfektioniert hat, einfach weigern zu gehen. „Was jetzt geschieht, ist ein Wunder; wir führen einen heiligen Krieg“, sagte Weiss. „Heute in einem Jahr ist das israelische Volk wieder in Gaza.“
Netanjahu hat die Aussicht auf den Wiederaufbau jüdischer Siedlungen in Gaza wiederholt als „unrealistisch“ bezeichnet. Aber innerhalb des Likud, Netanjahus eigener Partei, ganz zu schweigen von seiner Regierungskoalition, gibt es erhebliche Unterstützung für diese Idee. Laut Kans Bericht über die Siedlungsbewegung im Gazastreifen gehören schätzungsweise 15 000 der rund 60 000 primären Wähler des Likud zu den Hardlinern unter den Siedlungsbefürwortern. Auf die Frage von Kan, ob es innerhalb der Partei eine Mehrheit gebe, die die Wiederbesiedlung des Gazastreifens unterstütze, antwortete Avihai Boaron, ein Likud-Mitglied der Knesset: „Ja, absolut.“
Die Wahl von Donald Trump zu einer zweiten Amtszeit hat die ohnehin schon maximalen Ambitionen der SiedlerInnenbewegung noch verstärkt. Auf der Nachala-Veranstaltung in Sderot herrschte das Gefühl vor, dass die SiedlerInnen und die extreme Rechte im Allgemeinen mit Trump im Amt noch mehr Freiheiten haben würden.
Ein Mann namens Yaakov steht vor einem Banner, das den Bau von „Neu Gaza“ versprach – einer rein jüdischen Stadt auf den Ruinen der heutigen Gaza-Stadt – und erklärt enthusiastisch, wie eine Zukunft, die einst undenkbar gewesen war, seiner Meinung nach möglich geworden war. „Wir werden den gesamten Gazastreifen platt machen und darauf eine Stadt bauen“, sagt er. „Wenn Sie mich [vor sechs Monaten] danach gefragt hätten, hätte ich Sie für verrückt gehalten.“
Innerhalb nur weniger Stunden nach seinem Amtsantritt hob Trump die Sanktionen auf, die die Regierung Biden gegen prominente SiedlerführerInnen und -organisationen verhängt hatte, darunter Amana, der Immobilien- und Lobbying-Arm der Bewegung, der seit 1989 von Ze'ev „Zambish“ Hever, einem ehemaligen Mitglied des terroristischen Jüdischen Untergrunds, geleitet wird. Der Botschafter der Trump-Regierung in Israel, der baptistische Minister Mike Huckabee, ist ein Befürworter der Annexion des gesamten Westjordanlandes oder zumindest eines Teils davon durch Israel. Trumps neuer Verteidigungsminister, Pete Hegseth, hat in Interviews nicht nur die Annexion befürwortet, sondern sogar vorgeschlagen, dass ein jüdischer Tempel auf dem Tempelberg/Haram Al-Sharif in Jerusalem wieder aufgebaut werden könnte.
Dann kam der überraschende Plan des Präsidenten, den gesamten Gazastreifen von PalästinenserInnen ethnisch zu säubern und das Gebiet zu übernehmen. Israels extreme Rechte – und in der Tat ein Großteil der Mitte – hat den Vorschlag mit unverhohlener Begeisterung aufgenommen. „Vorausgesetzt, dass Trumps Ankündigung, die BewohnerInnen des Gazastreifens an die Nationen der Welt zu übergeben, in die Tat umgesetzt wird“, sagte Weiss in einer Erklärung vom 5. Februar, „müssen wir uns beeilen, in jedem Teil des Gazastreifens Siedlungen zu errichten.“

Das lange Spiel spielen
Trotz der Macht, die die SiedlerInnenbewegung in der israelischen Politik – und über das Schicksal der PalästinenserInnen – erlangt hat, hat die Mehrheit des Landes den Wiederaufbau von Siedlungen im Gazastreifen nie unterstützt (jüngsten Umfragen zufolge ist mehr als die Hälfte dagegen). Aber der Erfolg der israelischen Bewegung von rechten SiedlerInnen hat sich nie aus einer tatsächlichen Massenunterstützung ergeben. Im Gegenteil, sie ist ein Lehrbuchfall einer avantgardistischen Bewegung.
Die SiedlerInnen bauten eine Lobby auf, die lernte, innerhalb des Likud Einfluss zu nehmen, während sie gleichzeitig ihre eigenen politischen VertreterInnen zu parlamentarischen MachthaberInnen machte. Im Westjordanland – dem Vorbild für das, was die SiedlerInnen im Gazastreifen zu erreichen hoffen – wurde die Besatzung sowohl durch scheinbar einseitige SiedlerInnenaktionen als auch durch bewusste staatliche Planung verfestigt.
Im Februar letzten Jahres gelang es einer Gruppe von Jugendlichen aus den Bergen – die dafür bekannt sind, palästinensische Hirten und Städte im Westjordanland anzugreifen –, durch einen militärischen Kontrollpunkt in den Gazastreifen zu gelangen, bevor sie von der Armee aufgespürt wurden, während andere versuchten, einen Außenposten in der militarisierten Pufferzone zu errichten. Dieser Versuch scheiterte zwar, doch selbst mit der geltenden Waffenruhe besteht weiterhin die Gefahr, dass eine Gruppe von SiedlerInnen, sei es aus den Reihen von Nachala oder von woanders, einen neuen Versuch unternimmt.
Und obwohl der Rückzug der meisten israelischen Streitkräfte aus dem Herzen des Gazastreifens die Chancen für einen unmittelbaren Erfolg der SiedlerInnen verringert hat, haben Weiss und ihre Mitstreiter nicht unrecht, wenn sie glauben, dass die Zeit auf ihrer Seite ist. Wie die SiedlerInnen schon oft deutlich gemacht haben – und wie Weiss selbst betonte, als sie auf der Versammlung in Sderot zu der Menge sprach – spielen sie auf Zeit.
„Heute gibt es 330 Siedlungen in Judäa und Samaria“, sagte sie, wobei sie den von den SiedlerInnen bevorzugten biblischen Begriff für das Westjordanland verwendete, „und fast eine Million Jüdinnen und Juden jenseits der Grünen Linie. Das ist nicht an einem einzigen Tag entstanden, und es wurde auch nicht ohne Kampf erreicht.“
„Wir wollen in den Gazastreifen zurückkehren, in das Erbe des Stammes Juda“, fuhr sie unter Beifall fort. „Wir wollen, dass der westliche Negev bis zum Mittelmeer reicht. Und wir werden dieses Ziel durch den Verdienst aller hier Anwesenden und aller, die für die Rückkehr des jüdischen Volkes in sein ganzes Land beten, erreichen.“
Nachdem Weiss ihre Rede beendet hatte und mehrere andere rechtsextreme Aktivisten kurze Ansprachen gehalten hatten, kletterten die militanten SiedlerInnen in ihre großen weißen Vans, schnallten ihre vielen Kinder in die Autositze und fuhren in Richtung des Black Arrow Memorials. Ein einzelner altgedienter Nachala-Aktivist namens Hayim verweilte auf dem Parkplatz und sammelte die vielen Schilder ein, die an Maschendrahtzäune geschnallt und um Bäume gewickelt worden waren. Er deutete auf die Wohnwagen, die an ihrem Platz stehen blieben, als die Kundgebung sich entfernte.
Die Wohnwagen, erklärte er, sollten in dieser Nacht nicht in den Gazastreifen gebracht werden, sondern das Engagement der Bewegung für eine schrittweise Wiederbesiedlung des Gazastreifens verdeutlichen. „Am Ende des Tages folgt die Regierung dem Volk“, so Hayim. „Das Ziel hier ist es, einen Ansturm zu erzeugen, den die Regierung nicht ignorieren kann.“
Joshua Leifer ist Mitglied des Redaktionsausschusses von Dissent. Er ist Autor von „Tablets Shattered: Das Ende eines amerikanischen Jahrhunderts und die Zukunft des jüdischen Lebens“.
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