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Ein neuer Bericht von B’Tselem zeigt: Israelische Soldaten misshandeln systematisch PalästinenserInnen in Hebron

Mit einem Gürtel geschlagen, in die Leistengegend geprügelt, mit Vergewaltigung bedroht: PalästinenserInnen berichten von willkürlichen Übergriffen in der Stadt im Westjordanland in diesem Jahr.


Von Oren Ziv, 972Mag in Kooperation mit Local Call, 9. Dezember 2024

(Originalbeitrag in englischer Sprache)

 

Willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen und Demütigungen durch israelische SoldatInnen ohne Grund: So sah der Alltag von PalästinenserInnen in der besetzten Westjordanland-Stadt Hebron in den letzten Monaten aus, wie aus Berichten hervorgeht, die von der Menschenrechtsorganisation B'Tselem gesammelt und letzte Woche in einem neuen Bericht veröffentlicht wurden.


Während sich der bewaffnete Widerstand der Palästinenser im Westjordanland vor allem auf die nördlichen Städte Jenin, Tulkarem und Nablus konzentriert, scheinen die israelischen Soldaten beschlossen zu haben, dass nach dem 7. Oktober alle PalästinenserInnen Hamas-Anhänger sind – und niemand unschuldig ist.


„Es zeigt sich, dass palästinensische EinwohnerInnen von Hebron jederzeit Opfer brutaler Gewalt werden können, die ihnen offen zugefügt wird, während sie ihrem Alltag nachgehen“, heißt es in dem Bericht. „Die Opfer werden willkürlich ausgewählt, ohne dass es einen Zusammenhang mit ihren Handlungen gibt.“


Keiner der 25 PalästinenserInnen, die gegenüber B'Tselem aussagten, hatte sich an gewalttätigen Aktivitäten beteiligt oder sich auch nur an gewaltfreien Protesten der letzten Zeit angeschlossen. Nur zwei von ihnen wurden tatsächlich verhaftet und in Militäreinrichtungen gebracht, und beide wurden später ohne Anklageerhebung freigelassen. Die übrigen 23 wurden nach Beendigung der Misshandlungen freigelassen.


In mehreren Fällen durchsuchten Soldaten die Mobiltelefone der PalästinenserInnen nach „Beweisen“ für eine Unterstützung der Hamas: „Ein 'verdächtiges' Bild oder Anzeichen für das Verfolgen von Updates über Gaza ... reichten aus, um die Mitnahme zu einem der über Hebron verstreuten Militärposten und stundenlange körperliche und seelische Misshandlungen mit vorgehaltener Waffe, in Handschellen und mit verbundenen Augen zu rechtfertigen“, heißt es im Bericht.


Mit über 200.000 EinwohnerInnen ist Hebron die bevölkerungsreichste palästinensische Stadt im Westjordanland und die einzige, in der sich [permanent, Anm.] israelische SiedlerInnen befinden: Etwa 900 SiedlerInnen leben unter dem Schutz von rund 1.000 israelischen SoldatInnen.


Die zunehmenden Schikanen und Misshandlungen von PalästinenserInnen in Hebron finden nicht in einem Vakuum statt. Seit dem 7. Oktober hat die israelische Armee mehr als 730 PalästinenserInnen im Westjordanland getötet, was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass die israelische Armee zum ersten Mal seit dem Ende der Zweiten Intifada vor fast 20 Jahren wieder umfangreiche Luftangriffe in dem Gebiet durchführt. Gleichzeitig haben israelische SiedlerInnen mit Unterstützung des Militärs über 50 ländliche palästinensische Gemeinden ethnisch gesäubert.


Die von den B'Tselem-MitarbeiterInnen untersuchten Vorfälle ereigneten sich zwischen Mai und August dieses Jahres im Zentrum Hebrons. Fast alle der Opfer waren junge Männer. Die große Zahl der Zeugenaussagen, die Anwesenheit mehrerer SoldatInnen bei den meisten Vorfällen und die Tatsache, dass sie sich manchmal innerhalb von Militäreinrichtungen ereigneten, lassen darauf schließen, dass willkürliche Festnahmen und Misshandlungen möglicherweise die inoffizielle Politik der Armee in der Stadt sind.

 

Der Soldat fragte mich, ob ich die Hamas mag, und schlug mir dann in die Hoden


Am 12. Juni war Hisham Abu Is'ifan, ein 54-jähriger Vater von sechs Kindern und Bewohner des Hebroner Stadtteils Wadi Al-Hassin, auf dem Weg zu seiner Arbeit als Angestellter im Bildungsministerium, als er von Soldaten angehalten und angegriffen wurde.


„Ein Soldat kam zu mir und schubste mich, dann befahl er mir, meinen Ausweis und mein Telefon auszuhändigen“, sagte Abu Is'ifan gegenüber B'Tselem aus. „Bevor ich ihm das Telefon geben konnte, packte er mich im Nacken und stieß mich zu Boden. Mein Rücken tat sehr weh und ich schrie ... Als ich vor Schmerzen weiter schrie, setzte sich der Soldat auf mich und drückte mir beide Knie fest auf die Brust, bis ich das Gefühl hatte, vor Schmerzen nicht mehr atmen zu können.“


Yasser Abu Markhiyeh, ein 52-jähriger Vater von vier Kindern aus dem Viertel Tel Rumeida, wurde am 14. Juli an einem Kontrollpunkt in Hebron wegen dem misshandelt, was Soldaten auf seinem Handy gefunden hatten. „Als ich zu ihm kam, befahl mir [der Soldat], meinen Ausweis auszuhändigen“, erzählte er. „Das tat ich, und er befahl mir, mein Handy zu entsperren und es ebenfalls auszuhändigen. Ich hörte, wie er über das Funkgerät mit jemandem sprach und meinen Namen nannte.“


„Etwa fünf Minuten später kamen vier Soldaten am Kontrollpunkt an“, fuhr Abu Markhiyeh fort. „Einer von ihnen sprach mich auf Arabisch an und beschuldigte mich, Al Jazeera zu kontaktieren und die israelische Armee zu verleumden. Ich sagte ihm, dass ich tatsächlich drei Wochen zuvor mit Al Jazeera über die Soldaten gesprochen hatte, die mich am 22. Juni angegriffen hatten ... Dann fesselte er meine Hände mit Kabelbindern hinter meinem Rücken und zog sie sehr fest an. Zwei Soldaten stürzten sich auf mich und begannen, mich mehrere Minuten lang zu schlagen, unter anderem auf die Hoden.“


Der 18-jährige Mahmoud 'Alaa Ghanem, der in der Stadt Dura im Bezirk Hebron lebt, wurde am 8. Juli in Hebron von Soldaten angegriffen. Wie bei Abu Markhiyeh wurde auch bei ihm das Telefon von Soldaten kontrolliert. Als sie Ghanems Instagram öffneten, fanden sie ein Meme eines israelischen Soldaten, der am 7. Oktober kleine Kinder rettete, mit dem Wort „Photoshop“, das sich über die offensichtliche Unfähigkeit der Armee angesichts des Hamas-Angriffs an diesem Tag lustig machte.


„Er fragte mich danach, und ich sagte, es sei nur ein Bild“, so Ghanem gegenüber B'Tselem. „Er antwortete: 'Wir zeigen dir Photoshop.'“


Nach ein paar Minuten wurde Ghanem auf den Boden eines Jeeps verfrachtet und weggefahren. „Einer der Soldaten packte mich an den Haaren und schlug mein Gesicht gegen die Hintertür, dreimal hintereinander“, berichtet er. „Ich spürte, dass mein Mund und meine Nase bluteten. Der Soldat fragte mich: 'Magst du die Hamas?' Ich sagte nein, und dann packte er mich am Arm, drehte ihn um meinen Hals und würgte mich ... Zwei Soldaten begannen, mich zu ohrfeigen und fragten mich erneut: 'Magst du die Hamas?' Wieder sagte ich nein, und dann schlug mir einer von ihnen hart in die Hoden. Ich schrie vor Schmerz, und dann schlug er mich noch härter an der gleichen Stelle. Ich flehte ihn im Namen Gottes an, er möge aufhören, mich zu schlagen.“

 

Sie peitschten uns mit einem Gürtel über den ganzen Körper


Einige der Zeugenaussagen beschreiben körperliche Misshandlungen, die über Schläge hinausgehen. „Einer der Soldaten kam zu mir und drückte seine Zigarette an meinem rechten Bein aus“, erzählt Muhammad A-Natsheh, ein 22-Jähriger junger Mann aus Tel Rumeida, der am 14. Juli festgenommen wurde, gegenüber B'Tselem. „Er drückte sie langsam aus, damit es mehr wehtut. Einer von ihnen fragte: 'Tut es weh?' Als ich das bejahte, schlug er mir auf den Hinterkopf, stellte sich auf meine Beine und drückte sie fest nach unten.“


A-Natsheh fuhr fort: „Einer von ihnen holte einen Bürostuhl und stellte ihn auf meine Beine. Er setzte sich von Zeit zu Zeit darauf, was sehr weh tat. Sie beschimpften mich die ganze Zeit, und einer von ihnen spuckte mich auch an. Das ging ungefähr eine Stunde so, und dann sagte einer der Soldaten zu mir auf Arabisch: „Wir werden dich vergewaltigen“. Einer von ihnen packte mich am Kopf, und ein anderer Soldat versuchte, meinen Mund zu öffnen und mir einen Gummigegenstand hineinzustecken. Ich versuchte mit aller Kraft, meinen Mund nicht zu öffnen. Ich hörte ihn auf Hebräisch sagen: 'Filmt ihn, filmt ihn'.


Dann kam ein Soldat, der Arabisch sprach“, fährt er fort. „Er kam herüber und befahl mir, aufzustehen, aber ich konnte nicht. Er packte mich am Hals, hob mich hoch und zwang mich, mit dem Gesicht zur Wand zu stehen. Dann begann er, meinen Kopf mit seinen Händen heftig nach links und rechts zu stoßen, und sagte: 'Wenn ich dich noch einmal an diesem Ort sehe, werde ich dich vergewaltigen und töten. Das Gleiche werde ich mit jedem anderen tun, den ich hier sehe.'“


Das Phänomen, dass Soldaten Misshandlungen auf ihren Handys aufzeichnen, um sie anderen mitzuteilen, wurde in mehreren Aussagen erwähnt. „Die Soldaten brachten Eis mit und steckten es in meine Unterwäsche“, berichtet Qutaybah Abu Ramileh, ein 25-Jähriger Palästinenser aus der Nachbarschaft von Al-Salayma, der am 8. Juli zusammen mit seinem 22-jährigen Bruder Yazan festgenommen wurde, gegenüber B'Tselem. „Yazan sagte mir hinterher, dass sie dasselbe mit ihm gemacht haben. Sie schütteten auch ein alkoholisches Getränk in unsere Kleidung. Ich habe gehört, wie ein Soldat mit einem Mädchen telefoniert hat. Ich glaube, es war ein Videoanruf. Sie lachten und machten sich über uns lustig.“


„Einer der Soldaten trat uns gegen den Kopf und ins Gesicht und beschimpfte uns und unsere Mütter“, fuhr er fort. „Dann hörte ich plötzlich das Geräusch eines Ledergürtels, der von oben kam, und einer von ihnen fing an, uns mit dem Gürtel auf den Kopf und auf den ganzen Körper zu schlagen ... Die Soldaten traten auf unsere [nackten] Füße. Die Schläge mit dem Gürtel dauerten etwa drei Minuten, dann brachten die Soldaten einen Eimer und setzten ihn auf meinen Kopf. Später verstand ich, dass sie auch Yazan einen Eimer auf den Kopf setzten. Sie fingen an, mit einem Ball oder etwas Ähnlichem zu spielen, und warfen ihn auf den Eimer auf meinem Kopf. Es tat jedes Mal weh, wenn der Ball den Eimer traf. Es war schwer zu atmen und ich hatte das Gefühl zu ersticken.“


Wie in den Videos der letzten Monate aus dem Gazastreifen zu sehen ist, wird die Misshandlung von Palästinensern in Hebron durch Soldaten oft mit der Aufforderung an die Festgenommenen verbunden, die Hamas zu verurteilen. Mu'tasem Da'an, ein 46-jähriger Journalist und Vater von acht Kindern aus dem Stadtteil Wadi A-Nasara, wurde am 28. Juli festgenommen und aufgefordert, sein Telefon zu entsperren.


„Sie sahen es durch und fanden Inhalte, die mit dem Krieg in Gaza zu tun hatten“, erzählte er. „Die Soldaten verbanden mir die Augen und führten mich etwa 250 Meter zu Fuß zum Militärlager in der Nähe des südlichen Tors der Siedlung Kiryat Arba ... Sie sangen Lieder über Rache an der Hamas auf Hebräisch, priesen Israel und riefen zur Tötung von Frauen und Kindern auf. Sie zwangen uns, die Worte zu wiederholen und die Palästinenser zu verfluchen. Ich verstehe sehr gut Hebräisch.“


Obwohl die meisten Opfer Männer waren, gab es auch Frauen unter denjenigen, die bei B'Tselem aussagten. Abir Id'es-Jaber, eine 33-jährige Mutter von vier Kindern aus der Nachbarschaft von Al-Manshar, wurde am 21. August zusammen mit ihrem Mann angegriffen, als sie in ihrem Auto saßen.


„Die Soldaten befahlen uns zu verschwinden“, sagte sie. „Mein Mann wendete das Auto, und die Soldaten standen immer noch um uns herum. Einer von ihnen sah mich an und zwinkerte mir zu. Er schenkte mir ein spöttisches Lächeln und dann sah ich, wie er den Stift einer Blendgranate zog und sie zwischen meine Beine warf. Ich stieß die Granate weg und sie fiel unter den Sitz. Ich rief: „Granate! Granate!' und duckte mich auf die andere Seite. [Mein Mann] drehte sich zu mir um, als ich schrie, und die Granate explodierte unter seinem Gesicht. Er wurde bewusstlos. Gott sei Dank hielt das Auto von selbst an.“


Auf die Bitte von +972 um einen Kommentar erklärte ein Sprecher der israelischen Armee, dass ihnen alle beschriebenen Vorfälle mit Ausnahme des Vorfalls mit Abu Markhiyeh nicht bekannt seien. „Die IDF behandelt Gefangene in Übereinstimmung mit internationalem Recht und handelt, um außergewöhnliche Vorfälle, die von den Befehlen abweichen, zu untersuchen und zu behandeln“, hieß es in der Erklärung. „In Fällen, in denen ein Verdacht auf eine Straftat besteht, der die Einleitung einer Untersuchung rechtfertigt, wird eine militärische strafrechtliche Untersuchung eingeleitet, und nach deren Abschluss werden die Ergebnisse an den Militärgeneralanwalt zur Prüfung weitergeleitet.“

 

Oren Ziv ist Fotojournalist, Reporter für Local Call und Gründungsmitglied des Fotokollektivs Activestills.

 

Zum Weiterlesen:

B'Tselem: Unleashed – Abuse of Palestinians by Israeli soldiers in the Center of Hebron

December 2024




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