In zwei Dokumenten wird das Ausmaß der Zerstörung des Gesundheitssystems und des medizinischen Personals im Gazastreifen beschrieben. Diese gefährdet das Weiterleben im Gazastreifen massiv.
Von Liat Kozma und Lee Mordechai, +972Mag in Kooperation mit Local Call, 1. November 2024
(Originalbeitrag in englischer oder hebräischer Sprache)
Wann immer die israelische Öffentlichkeit dazu aufgefordert wird, über das Schicksal des Gazastreifens zu diskutieren, konzentriert sich die Debatte auf die Frage, wer das Gebiet nach dem Krieg kontrollieren wird. In den letzten Wochen scheint auch diese Debatte durch den eskalierenden Krieg im Libanon und die iranische Drohkulisse in den Hintergrund gedrängt worden zu sein.
Das Schicksal des Gazastreifens beschränkt sich jedoch nicht auf Fragen der Souveränität oder der Kontrolle, sondern es betrifft die Existenz des Lebens selbst. Zwei kürzlich erschienene Veröffentlichungen, die sich mit dem Gesundheitssystem des Gazastreifens befassten, zeigen deutlich, wie sehr die derzeitige Katastrophe die Möglichkeit, das Leben in dem Gebiet zu erhalten, in Frage stellt.
Ende September veröffentlichte das palästinensische Gesundheitsministerium im Gazastreifen ein Dokument, das zum ersten Mal umfassend über die Schäden an den Krankenhäusern im Gazastreifen während des einjährigen Krieges berichtet. Die Besonderheit des Berichts liegt nicht in den neuen Informationen, sondern in der Zusammenfassung von über 100 Vorfällen, die in Echtzeit in den internationalen und arabischen Medien sowie in regelmäßigen Berichten internationaler humanitärer Organisationen gemeldet wurden, in einem Dokument. Auf diese Weise wird der allmähliche Zerfall des Gesundheitssystems im Gazastreifen aufgezeigt, dessen direkte und indirekte Folgen Israel und seine Armee zu verantworten haben.
Danach veröffentlichten am 2. Oktober 2024 99 amerikanische MedizinerInnen, die während des Krieges 254 Wochen lang als Freiwillige im Gazastreifen tätig waren, einen öffentlichen Brief an US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris, in dem sie ein klares Bild vom Gesundheitszustand der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zeichneten. Diese Fachleute - einige von ihnen mit umfangreicher Erfahrung in der medizinischen Hilfe in Kriegsgebieten und nach Naturkatastrophen - erklärten, dass die Situation in Gaza viel schlimmer sei als alles, was sie bisher erlebt hätten, auch in Afghanistan oder der Ukraine.
Einige Tage nach der Veröffentlichung des Briefes sprachen wir mit drei der UnterzeichnerInnen, um aus erster Hand detailliertere Informationen über den Zustand des Gesundheitssystems in Gaza zu erhalten. Ihre Erkenntnisse werden hier zusammen mit denen der oben genannten Dokumente wiedergegeben.
Linderung des Leidens vor dem Tod
Das Bild, das sich aus den beiden Dokumenten und unseren Gesprächen mit ÄrztInnen ergibt, zeigt den fatalen Schaden, der dem gesamten Gesundheitssystem und der Infrastruktur des Gazastreifens zugefügt wurde.
In den israelischen Medien finden sich nur wenige Hinweise auf diesen Zusammenbruch; die Abwesenheit dieser Berichte in der israelischen Öffentlichkeit erweckt innerhalb Israels den Eindruck, dass die frühen Warnungen vor Hungersnöten und Epidemien in Gaza nicht eingetreten sind. Darüber hinaus wird nur die Zahl der durch israelische Angriffe getöteten PalästinenserInnen genannt (43 061 zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts) – eine Zahl, die die Todesfälle durch Krankheiten, Hunger und den schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung nach einem Jahr Krieg nicht berücksichtigt.
Eine Untersuchung der Daten und Zeugenaussagen zeigt jedoch das Ausmaß der Schäden für die palästinensische Bevölkerung im Allgemeinen und für die schwächsten Bevölkerungsgruppen – Säuglinge und Kleinkinder, schwangere Frauen, ältere Menschen und chronisch Kranke – im Besonderen.
In dem Schreiben der ÄrztInnen heißt es, dass das gesamte medizinische Personal, das in den Notaufnahmen, Intensivstationen oder chirurgischen Abteilungen des Gazastreifens tätig war, angab, regelmäßig kleine Kinder zu behandeln, denen in den Kopf oder in die Brust geschossen worden war. Dr. Mimi Syed, eine Notärztin aus Seattle, die im September aus dem Gazastreifen zurückkehrte, erzählte uns, dass während ihrer Arbeit auf der Intensivstation des Nasser-Krankenhauses in Khan Younis solche Verletzungen sehr häufig vorkamen und dass in einigen Fällen alles, was sie und das Personal tun konnten, darin bestand, das Leiden ihrer PatientInnen zu lindern und sie sterben zu lassen. Sie sagte:
„Die meisten meiner PatientInnen waren zwischen sechs Monaten und Anfang 20 Jahre alt. Die meisten von ihnen befanden sich am unteren Ende dieses Alters. Es gab einen Tag, an dem wir nur Patientinnen mit Schusswunden in den Kopf hatten, die, wie von ZeugInnen berichtet, von Quadcoptern abgefeuert worden waren. Und für die meisten von ihnen konnte man nichts mehr zu tun. Sie waren auf der Palliativstation, weil ihre Verletzungen so verheerend waren, dass wir sie einfach sterben lassen mussten. Es müssen an diesem Tag etwa acht PatientInnen in unserer Trauma-Abteilung gewesen sein.“
In der von Dr. Sidhwa durchgeführten Umfrage berichteten 44 Mediziner, dass sie während ihres Aufenthalts in Gaza mehrere solcher Fälle gesehen hatten.
Ein absichtliches Muster
In dem Schreiben der MedizinerInnen wird Israel die Schuld für die systematische und vorsätzliche Zerstörung des Gesundheitssystems im Gazastreifen gegeben. Wenn man alle Informationen über den Zustand der Krankenhäuser im Gazastreifen betrachtet, erkennt man in der Tat ein absichtliches Muster. Krankenhäuser und Kliniken wurden wiederholt aus der Luft bombardiert, litten unter einem Mangel an Strom und Dieselkraftstoff für Generatoren, wurden von Panzern eingekreist, mussten mit ansehen, wie ihr medizinisches Personal und ihre PatientInnen im Zuge der Evakuierung eines ganzen Gebiets vertrieben wurden, und in einigen Fällen wurden sie in Militärstützpunkte umgewandelt.
Ende Oktober 2024 waren 20 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen außer Betrieb, während 16 nur noch teilweise funktionsfähig sind. Von den 11 Feldkrankenhäusern ist die Hälfte nur teilweise funktionsfähig. Die Zahl der Krankenhausbetten im gesamten Gazastreifen ist um 75 Prozent gesunken (von rund 3 400 zu Beginn des Krieges auf etwa 1 200 Ende September), während der Bedarf aufgrund der hohen Anzahl von Verwundeten, des extremen Mangels an Medikamenten und medizinischer Ausrüstung und der nahezu flächendeckenden Verbreitung von Infektionskrankheiten gestiegen ist.
Die im Bericht des Gaza-Gesundheitsministeriums aufgeführten Daten und Datenreihen weisen auf eine Reihe von Bombenangriffen in den ersten beiden Kriegswochen hin, durch die mehrere Krankenhäuser, vor allem im nördlichen Gazastreifen, geschlossen wurden; außerdem wird die Besetzung von Krankenhauskomplexen im November erwähnt, gefolgt von der faktischen Schließung aller Krankenhäuser im nördlichen Gazastreifen und der meisten Krankenhäuser in Gaza-Stadt.
Das Al-Ahli Arab Hospital geriet Mitte Oktober 2023 in die Schlagzeilen, nachdem eine Explosion Hunderte von Männern, Frauen und Kindern getötet hatte, die dort Zuflucht gefunden hatten. Obwohl die Frage der Verantwortung für die Explosion nach wie vor nicht vollständig geklärt ist, schufen der Vorfall und die anschließenden Debatten einen Präzedenzfall, indem sie Angriffe auf Krankenhäuser in einer noch nie dagewesenen Weise normalisierten.
Allein im November 2023 wurden zwölf der 36 Krankenhäuser in Gaza vorübergehend oder dauerhaft außer Betrieb gesetzt. Das Al-Shifa-Krankenhaus wurde zweimal von der Armee überfallen, im November 2023 und im März 2024. Während sich die israelischen Medien auf einen Hamas-Tunnel und eine Reihe von Kämpfern auf dem Gelände von Al-Shifa konzentrierten, berichteten die internationalen Medien über die massive Zerstörung des Krankenhauses und die schwere Beeinträchtigung seiner Funktionsfähigkeit, die bei der zweiten Erstürmung zu seiner vollständigen Zerstörung führte. Die zweite Erstürmung führte auch zur Entdeckung von Massengräbern, von denen einige von den BewohnerInnen des Gazastreifens während einer früheren Belagerung des Krankenhauses und einige während der Belagerung des Geländes durch das Militär ausgehoben worden waren.
Eine weitere Welle von Angriffen auf Krankenhäuser im südlichen Gazastreifen folgte auf die Einnahme der Stadt Rafah im Mai 2024. In einigen Fällen wurden Personal und PatientInnen gezwungen, das Krankenhausgelände zu verlassen, während andere unter Beschuss genommen oder bombardiert wurden. Einige Krankenhäuser wurden vollständig zerstört oder zu militärischen Außenposten umfunktioniert.
Anfang Oktober 2024 ordnete das Militär die Evakuierung von drei Krankenhäusern im Norden des Gazastreifens an, um die gesamte Zivilbevölkerung aus dem Norden zu vertreiben (der so genannte „Plan der Generäle“). Dies rief mindestens 38 humanitäre Organisationen auf den Plan, die auf den Schaden für das medizinische System hinwiesen, sowie das UN-Menschenrechtsbüro, das die Situation als „katastrophal“ bezeichnete. Auch drei israelische Kommentatoren [Idan Landau, Tomer Persico und Eran Etzion, Anm.] äußerten sich besorgt über das, was gemeinhin als ethnische Säuberung gilt.
Entweder stirbt das Baby, weil es kein Beatmungsgerät hat, oder an einer Infektion
Eine Reihe von monatlichen Veröffentlichungen des palästinensischen Gesundheitsministeriums sowie regelmäßige Berichte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) zeigen die langfristigen Folgen der Zerstörung der medizinischen Versorgung im Gazastreifen.
Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden während des Krieges 1 047 palästinensische MedizinerInnen getötet und 310 verhaftet – eine Tatsache, die eine noch größere Belastung für die medizinischen Teams vor Ort darstellt. In dem Schreiben der MedizinerInnen heißt es, dass ihre palästinensischen KollegInnen vor Ort wussten, dass sie durch ihre Arbeit als GesundheitsmitarbeiterInnen zur Zielscheibe geworden waren, und dass viele von ihnen verhaftet, misshandelt und in israelische Haftanstalten gebracht wurden, bevor sie vom Militär nach Gaza zurückgebracht wurden. Viele erzählten ihren amerikanischen KollegInnen, dass sie einfach auf den Tod warteten.
Viele medizinische MitarbeiterInnen haben seit Monaten kein Gehalt mehr erhalten. Viele von ihnen haben Familienangehörige verloren, kommen aber trotzdem zur Arbeit. Viele leben in Zelten in der Nähe der Krankenhäuser oder laufen täglich – manchmal stundenlang – vom Familienzelt zu den Krankenhäusern.
Tausenden der über 100 000 Verwundeten wurden Gliedmaßen amputiert, und das zu einer Zeit, in der es im Gazastreifen weder Krücken noch Rollstühle, geschweige denn Prothesen für Amputierte gibt. Verletzte Kinder benötigen eine Reihe von Operationen, die im derzeitigen Zustand des Gesundheitssystems im Gazastreifen nicht durchgeführt werden können. All diese Feststellungen wurden durch die Schreiben der medizinischen Fachkräfte und die von uns gesammelten AugenzeugInnenberichte bestätigt.
Die Zerstörung der zivilen Infrastruktur des Gazastreifens hat drastische Auswirkungen auf die Fähigkeit des Landes, ein funktionierendes Gesundheitssystem aufrechtzuerhalten. Von den sechzehn in Betrieb befindlichen Krankenhäusern verfügen nur vier über eine vollständige Wasser- und Abwasserversorgung, während nur zwei über einen regelmäßigen Stromanschluss verfügen.
Die Folgen liegen auf der Hand: Ohne Strom ist es unmöglich, Sauerstoffgeräte zu betreiben oder Medikamente zu kühlen. Ohne grundlegende sanitäre Einrichtungen besteht die Gefahr, dass man sich sogar innerhalb des Krankenhauses mit tödlichen Krankheiten infiziert. In dem Schreiben der MedizinerInnen heißt es, dass sie in fast allen Krankenzimmern, in denen sie als Freiwillige arbeiteten, und unter dem medizinischen Personal in Gaza Fälle von Gelbsucht (Hepatitis) festgestellt haben.
Aufgrund des gravierenden Mangels an Seife und Reinigungsmitteln im gesamten Gazastreifen - in der Umfrage von Dr. Sidhwa gaben 64 von 65 Befragten an, dass selbst die grundlegendsten medizinischen Ausrüstungsgegenstände wie Seife und Handschuhe in der Regel nicht verfügbar waren – kann die chirurgische Umgebung nicht desinfiziert werden, was zu hohen Sterberaten aufgrund von Infektionen führt.
In einem Gespräch mit uns sagte der Kinderarzt Dr. Aman Odeh, der im März 2024 in Rafah arbeitete, bevor der Grenzübergang nach Ägypten geschlossen wurde, aus, dass die Seifenflaschen im Operationssaal nur eine kleine Menge Flüssigseife enthielten, die mit Wasser verdünnt worden war. In Ermangelung von Reinigungsmitteln wurde der Beatmungsschlauch in der Neugeborenenstation zwischen den Einsätzen nicht desinfiziert, was zur Ausbreitung von Infektionen und zur Sterblichkeit unter den Frühgeborenen führte. Dr. Odeh beschreibt eine Szenen, die er gesehen hat:
„Da war ein Neugeborenes auf der Neugeborenen-Intensivstation, dessen Zustand sich sehr schnell verschlechterte, egal was wir versuchten. Wir versuchten es mit den stärksten Antibiotika, aber wir konnten die Infektion nicht unter Kontrolle bringen. An diesem Tag konnten wir von einer anderen Stelle des Krankenhauses eine Blutkulturflasche bekommen. Nachdem das Baby verstorben war, konnte man feststellen, um welche Art von Bakterien es sich handelte. Es handelte sich um ein multiresistentes Bakterium. Aber schon am nächsten Tag zeigten andere Babys ähnliche Muster. Wir hatten kein Handdesinfektionsmittel. Die Seifenflasche bestand aus einem winzigen Stück Seife und altem Wasser. Wir hatten keine Handschuhe. Die Infektionen breiteten sich so schnell aus.
Ein Baby, das sehr, sehr krank war, musste an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Was machen wir mit dem Beatmungsgerät, nachdem das Baby verstorben ist? Es gibt keine Möglichkeit, das Beatmungsgerät zu desinfizieren und diese multiresistenten Bakterien loszuwerden. Wir hatten auch keine Schläuche zum Wechseln, wenn wir das Beatmungsgerät für ein anderes Baby verwendeten. Die Wahrscheinlichkeit ist also sehr groß, dass Sie die Infektion auf andere Babys übertragen: Entweder stirbt das Baby, weil es kein Beatmungsgerät gibt, oder es stirbt an der bakteriellen Infektion. Unsere Optionen waren katastrophal begrenzt.“
Dr. Syed erzählte uns, dass während ihres Aufenthalts in Gaza eine Seifenlieferung eintraf, doch der Preis für eine kleine Flasche stieg auf 40 Dollar. Eine Krankenschwester berichtete, sie habe an einem Tag in Gaza mehr Maden in Wunden gesehen als in ihrer gesamten Laufbahn als Wundspezialistin.
Tödliche Kombinationen
Im Brief der MedizinerInnen heißt es, dass ein hoher Prozentsatz der Schnitte bei ihren Operationen kontaminiert war. Dr. Thalia Pachiyannakis, eine Gynäkologin und Geburtshelferin aus Indiana, erzählte uns, dass die Krankenhäuser ihre Klimaanlagen abschalten mussten, um Treibstoff zu sparen, was dazu führte, dass sie im Nasser-Krankenhaus Operationen bei 40° Celsius durchführte, so dass der Schweiß von ihrer Stirn und der Stirn des anderen medizinischen Personals in die Wunden der PatientInnen, die sie operierten, tropfte.
Aus dem Brief geht weiters hervor, dass die Operationen, einschließlich der Kaiserschnitte, ohne Anästhesie oder Schmerzmittel durchgeführt wurden. Danach erhielten die Frauen lediglich Paracetamol zur Schmerzbehandlung.
Dr. Pachiyannakis sprach auch über den Mangel an sauberem Wasser, den sie als internationale Freiwillige zu beklagen hatte und der sie und das übrige medizinische Personal krank werden ließ. „Wir wurden auch sehr krank. Man erkrankt an Durchfall, dann geht es einem besser, dann erkrankt man wieder, und man erbricht. Einmal musste ich erbrechen und hatte gleichzeitig Durchfall“, berichtete sie uns.
Bei Kleinkindern, die unterernährt geboren werden und die mit verunreinigtem Wasser gefüttert werden, wird dieser Zustand lebensbedrohlich; dem Brief der ÄrztInnen zufolge sind viele daran gestorben. Fünfundzwanzig der für die Studie befragten MedizinerInnen gaben an, dass sie gesehen haben, wie gesund geborene Säuglinge ins Krankenhaus zurückkehrten und an Dehydrierung, Unterernährung oder Infektionen starben.
Dr. Odeh sagte aus, dass andere Babys, deren Mütter aufgrund von Unterernährung nicht in der Lage waren, sie zu stillen, und die aufgrund des Mangels an Säuglingsnahrung und sauberem Wasser nicht ausreichend ernährt wurden, im Krankenhaus eine Infusion erhielten, aber im selben Zustand nach Hause zurückkehrten, der zu ihrem Krankenhausaufenthalt geführt hatte.
In den zahlreichen ZeugInnenaussagen wird der chronische Mangel an Ausrüstung im Gazastreifen hervorgehoben. Die drei ÄrztInnen, mit denen wir sprachen, sagten aus, dass das israelische Militär ihnen untersagte, selbst gekaufte medizinische Geräte nach Gaza zu bringen. In den Kreißsälen, in denen Dr. Odeh arbeitete, gab es nur ein einziges Beatmungsgerät, während es in den Kreißsälen, in denen Dr. Pachiyannakis arbeitete, keinen Kühlschrank gab, so dass die Lebensmittel verdorben waren.
„Es gibt kein sauberes Wasser, keine Schmerzmittel für Frauen in den Wehen, die Kreißbetten sind kaputt. Es gibt nur ein einziges Wärmegerät für die Neugeborenen, so dass sie nach der Geburt alle zusammen in ein Wärmegerät gelegt werden. Es gibt nur einen Monitor für Herztöne, wenn ein Baby also schlechte Herztöne hat, kann man es nicht entdecken, weil es nur einen funktionierenden Apparat gibt. Es kommt also zu fötalen Todesfällen.“
Eine der Krankenschwestern berichtete, dass fast alle Kinder, die während ihrer Zeit in Gaza neu aufgenommen wurden, starben und dass diese Todesfälle mit einer angemessenen Ernährung, grundlegenden Desinfektionsmitteln und ausreichender Versorgung hätten verhindert werden können.
Ende September 2024 waren von den 113 Dialyseeinheiten, die es vor dem Krieg im nördlichen Gazastreifen gab, nur noch 17 betriebsbereit, während es im Süden 72 von 178 waren.
In ihrem Schreiben befürchten die MedizinerInnen, dass bereits Tausende an der tödlichen Kombination aus Unterernährung, Krankheit und der Unmöglichkeit, eine angemessene Behandlung zu erhalten, gestorben sind und dass in den kommenden Monaten aufgrund der winterlichen Bedingungen im Gazastreifen weitere Zehntausende sterben könnten. Die meisten der Toten, so warnen sie, werden kleine Kinder sein, deren Immunsystem schwächer ist als das von Erwachsenen.
Nicht überzeugende rechtliche Behauptungen
In einem kürzlich erschienenen Grundsatzpapier für das Institute for Palestine Studies argumentieren die Wissenschaftler Nicola Perugini und Neve Gordon, dass Israel den völkerrechtlichen Grundsatz zum Schutz von Krankenhäusern sehr weit auslegt. Nach internationalem Recht dürfen Krankenhäuser nur dann angegriffen werden, wenn die Kampfhandlungen innerhalb des Krankenhauses selbst stattfinden, sofern der Angriff verhältnismäßig ist und aus echter militärischer Notwendigkeit erfolgt und sofern die Kampftruppe das Leben von ZivilistInnen nicht gefährdet.
Zeugenaussagen, die Israels Angriffe auf Krankenhäuser, die Vertreibung aller BewohnerInnen und die Freilegung von Massengräbern beschreiben, weisen eindeutig auf die Nichteinhaltung dieser rechtlichen Bedingungen hin. Diese wiederum stehen im Zusammenhang mit dem Gesamtbild der Militäroperation im Gazastreifen und der daraus resultierenden katastrophalen humanitären Lage, über die schon detailliert auf +972 berichtet wurde.
Perugini und Gordon schlagen eine Änderung des internationalen Rechts vor, die Angriffe auf Krankenhäuser unter allen Umständen verbieten würde. Die weitreichenden Auswirkungen auf alle Krankenhäuser in Gaza können jedoch nicht auf eine solche Änderung warten. Und angesichts der zahlreichen Beweise, die sich im vergangenen Jahr angesammelt haben, sind die Argumente Israels, sie hätten internationale Rechtskonventionen eingehalten, alles andere als überzeugend.
Ein unabhängiger UN-Untersuchungsausschuss zur Zerstörung der Gesundheitsinfrastruktur in Gaza, der im September veröffentlicht wurde, kam zum Schluss, dass Israels Vorgehen Teil einer vorsätzlichen Politik ist, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt, auch in Form von Ausrottung und Folter. Die Autoren des Berichts fanden keine Belege für die meisten israelischen Behauptungen über die militärische Nutzung von Krankenhäusern durch die Hamas und stellten fest, dass Israel trotz neunmaliger Aufforderung keine Informationen an die Autoren des Berichts weitergegeben hat.
Die Zerstörung des Gesundheitssystems zeichnet ein düsteres Bild von Gazas Gegenwart, ganz zu schweigen von seiner Zukunft. Ein Krieg, der Krankenhäuser zerstört und keinen angemessenen Ersatz zulässt, ist ein Krieg gegen eine Zivilbevölkerung, die nun von Krankheiten und Hunger geplagt wird. Jede Diskussion über den Krieg in der Gegenwart oder am „Tag danach“ muss daher einen ehrlichen und direkten Blick auf die unmittelbaren Folgen der israelischen Politik für ihre Opfer werfen.
Liat Kozma ist Professorin in der Abteilung für Islam- und Nahoststudien und Inhaberin des Harry-Friedenwald-Lehrstuhls für Geschichte der Medizin an der Hebräischen Universität.
Lee Mordechai ist Dozent an der Fakultät für Geschichte der Hebräischen Universität.
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