Nur wenige sind in die südliche Stadt des Gazastreifens zurückgekehrt, wo die israelischen Streitkräfte an der Grenze immer noch auf ZivilistInnen schießen. Diejenigen, die zurückgekehrt sind, erkennen ihre eigenen Häuser kaum wieder.
Von Ruwaida Kamal Amer, +972Mag, 4. Februar 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache mit dazugehörendem Fotomaterial)
Acht Monate nach der israelischen Invasion der südlichsten Stadt des Gazastreifens, Rafah, durch die mehr als eine Million Palästinenser gewaltsam vertrieben wurde, hat der Waffenstillstand einigen ehemaligen BewohnerInnen der Stadt die Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht. Doch anders als im nördlichen Teil des Gazastreifens, wo der relativ rasche und vollständige Abzug der israelischen Streitkräfte Zehntausenden von Vertriebenen die Rückkehr in ihre zerstörten Viertel ermöglichte, haben die anhaltende Präsenz der Armee in Rafah entlang der Grenze zu Ägypten und ihre ständigen Angriffe auf rückkehrende ZivilistInnen dazu geführt, dass nur wenige den Versuch unternommen haben, heimzukehren.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza hat die israelische Armee seit dem 19. Januar, dem Tag, an dem die Waffenruhe begann, 80 Palästinenser im Gazastreifen getötet. Sechzig dieser Todesfälle ereigneten sich an diesem ersten Tag, als Israel die Umsetzung der Vereinbarung um mehrere Stunden verzögerte, und es ist unklar, wie viele vor oder nach dem offiziellen Inkrafttreten der Vereinbarung getötet wurden. Von den 80 Todesopfern war die Hälfte allein in Rafah zu beklagen.
Unter ihnen war auch der 24-jährige Hassan Issa Abu Sharkh aus dem Viertel Al-Shaboura in Rafah. Seine Cousine Amani sagt, Abu Sharkh habe der Familie geraten, mit der Rückkehr noch ein paar Tage zu warten, „weil die [israelische] Armee uns immer betrügt“, entschied sich dann aber, am dritten Tag der Waffenruhe allein zurückzukehren, um das Haus zu überprüfen und für die Rückkehr der Familie vorzubereiten. „Das Haus war sehr stark beschädigt“, so Amani gegenüber +972. „Nur die Säulen und das Dach waren noch intakt, aber alle Wände waren zerstört.“
Während dieses Aufenthalts, erzählt Amani, wurde Abu Sharkh von einem israelischen Scharfschützen unter Umständen angeschossen, die für die Familie unklar bleiben. Er wurde in kritischem Zustand ins Krankenhaus gebracht und erlag am nächsten Morgen seinen Verletzungen. „Wir stehen alle unter Schock“, sagt sie. „Er war der älteste Sohn seiner Eltern, ein ehrgeiziger junger Mann. Er arbeitete sehr hart als privater Englischlehrer, um seine Familie zu unterstützen.“
Nach der Ermordung von Abu Sharkh riet die Stadtverwaltung von Rafah andere EinwohnerInnen zu ihrer eigenen Sicherheit davon ab, in das Gebiet zurückzukehren. „Leider wissen wir nicht, welche Orte wegen der anhaltenden Anwesenheit der Armee gefährlich sind“, sagte Amani.
Der Bürgermeister von Rafah, Dr. Ahmed Al-Sufi, erklärt gegenüber +972, dass die in der Nähe der Grenze stationierten israelischen Streitkräfte in den letzten Tagen immer noch auf PalästinenserInnen geschossen haben, die zurückkehren wollten. „Es gibt immer noch israelische Militärfahrzeuge in einigen Gebieten, und sie schießen auf ZivilistInnen, daher haben wir die Menschen aufgefordert, nicht zurückzukehren, bis sich die Situation stabilisiert hat“, sagt er. Er warnt auch davor, dass der „völlige Mangel an Infrastruktur“ die Menschen, die zurückkehren wollen, weiter gefährdet.
Dr. Al-Sufi wies auf die immensen Herausforderungen hin, die der Wiederaufbau des Gazastreifens mit sich bringt, und berichtete, dass das westliche Gebiet von Rafah „zu mehr als 90 Prozent zerstört“ sei, während die südlichen Grenzgebiete „völlig vernichtet“ worden seien.
„Es gibt etwa 150.000 obdachlose Menschen in Rafah“, berichtet er. „Wir müssen 50 000 Wohneinheiten bauen, um sie unterzubringen, was mindestens fünf Jahre dauern wird“, fügt er hinzu und betont die dringende Notwendigkeit von Übergangslösungen wie mobilen Wohneinheiten.
„Wir haben damit begonnen, auf eigene Faust und mit begrenzten Mitteln die durch Trümmer blockierten Straßen wieder freizugeben“, so Al-Sufi weiter. „Wir brauchen Treibstoff und Ersatzteile, um unsere Arbeit fortsetzen zu können, sowie schweres Gerät, um die schweren Dächer [der eingestürzten Gebäude] zu entfernen. Wir müssen die Infrastruktur reparieren, insbesondere die Wasserversorgung, damit die BürgerInnen in ihre Häuser zurückkehren können. Alle Strom- und Kommunikationsmasten sind völlig zerstört. Wir brauchen die Hilfe anderer Länder, um wieder Leben in die Stadt Rafah zu bringen.“
Dr. Muhammad Al-Mughair, ein hochrangiger Beamter des Zivilschutzes im Gazastreifen, erklärt, dass selbst Gebiete, die von den israelischen Streitkräften vollständig evakuiert worden sind, nach wie vor extrem gefährlich sind. „Nach dem Rückzug der israelischen Armee entdeckten unsere Teams viele verdächtige Objekte in den Straßen und [nicht explodierte Munition] in großen Mengen“, sagt er dem Magazin +972. Infolgedessen sah sich sein Team gezwungen, seine Bemühungen um die Bergung der Leichen derjenigen, die nach dem israelischen Einmarsch in Rafah im vergangenen Mai getötet worden waren, einzustellen. „Das meiste, was wir geborgen haben, waren verkohlte Skelette“, fügt er hinzu.
+972 bat die israelische Armee um eine Stellungnahme zu Abu Sharkhs Ermordung, aber ein Sprecher sagt, dass sie sich nicht dazu äußern könnten, solange wir nicht die genauen Koordinaten des Vorfalls angeben, die wir aufgrund der Gefahr, die von der Armee in diesem Gebiet ausgeht, nicht erhalten konnten.
Wir haben das Ende der Welt gesehen
Trotz der Gefahren sind einige BewohnerInnen von Rafah seit Inkrafttreten des Waffenstillstands nach Hause zurück gegangen, in der Hoffnung, den ersten Schritt zum Wiederaufbau ihres alten Lebens machen zu können. Das Ausmaß der Zerstörung, das sie in der Stadt, in der vor dem Krieg fast 300 000 PalästinenserInnen lebten, vorfanden, hat viele von ihnen am Boden zerstört.
Unter ihnen ist Manal Salim, eine 49-jährige Mutter von acht Kindern, die kurz nach Beginn der israelischen Invasion mit ihrer Familie ihr Haus in Rafah verließ. Sobald der Waffenstillstand in Kraft trat, kehrte ihr 20-jähriger Sohn Issam zurück, um nach dem Haus zu sehen. „Ich rief ihn an, um ihm zu sagen, dass er schnell zurückkommen solle, weil die Gegend immer noch gefährlich sei, aber ich hörte ihn nur weinen“, erzählt sie. „Er sagte mir: 'Das ganze Haus ist zerstört', und bat mich, mit ihm am Telefon zu bleiben, weil er so starke Schmerzen im Herzen verspürte, dass er befürchtete, ohnmächtig zu werden.“
Nachdem sie mit ihrem Sohn gesprochen hatte, beschloss Salim, sich mit ihren anderen Kindern selbst ein Bild davon zu machen, was von ihrem Haus übriggeblieben war. „Ich konnte nicht glauben, was ich da sah“, erzählt sie. „Ich konnte nicht fassen, dass dies die Gegend war, in der ich gelebt haben soll. Das gesamte Haus war zerstört. Es war nichts mehr davon übrig.“
Wie auch andere zurückkehrende EinwohnerInnen von Rafah und Beamte aus dem Gazastreifen, die mit +972 sprachen, berichtet Salim, dass die israelische Armee entlang der Grenze zu Ägypten – dem so genannten Philadelphi-Korridor –, der sich südwestlich der Stadt erstreckt, schießt. „Die israelische Armee ist immer noch in Rafah“, sagt sie. „Wir hörten das Geräusch von Granaten, als wir nach unserem Haus sahen.“
Salim, deren Ehemann während des Höhepunkts der Pandemie an COVID-19 starb, trauert um den Verlust der wertvollen Erinnerungen ihrer Familie in ihrem Haus und bangt um die Zukunft ihrer Kinder. „Als Mutter bin ich es leid, so viel zu weinen“, sagt sie. „Ich habe mehr als 25 Jahre lang gearbeitet, um dieses Haus zu bauen. Ich habe einen Schönheitssalon eröffnet, in dem meine Töchter arbeiteten, und einen Brautkleiderverleih, in dem meine Söhne arbeiteten. Ich habe geglaubt, ich hätte ihre Zukunft gesichert und ihnen einen Weg für ihr Leben eröffnet. Jetzt werde ich unter unmöglichen Bedingungen wieder arbeiten [müssen].“
„Als meine elfjährige Tochter Sarah unser Haus sah, konnte sie nicht aufhören zu weinen“, so Salim weiter. „Als wir vertrieben wurden, ließen wir unsere Habseligkeiten in einem Zimmer zurück; als wir zurückkamen, fanden wir ein tiefes Loch mit den Habseligkeiten darin. Meine Kinder versuchten, alles zu retten, was sie konnten, und waren froh, dass sie ein paar Dinge finden konnten.“
Tel Al-Sultan, das Viertel, in dem Salims Haus einst stand, gehört zu den am stärksten betroffenen Vierteln in Rafah. „Die Nachbarn standen alle unter Schock“, sagt sie. „Die [israelische] Besatzung hat einem Leben in dieser Gegend den Sinn genommen. Es gibt keine Schulen, keine Universitäten und keine Infrastruktur. Was haben wir ihnen getan? Wir waren ZivilistInnen mit einem Leben und einer Zukunft, aber sie haben alles zerstört. Wir haben in Tel Al-Sultan das Ende der Welt gesehen“.
Unter Schock stehend schlugen Salim und ihre Familie ein Zelt neben den Trümmern ihres Hauses auf, aber der Regen zwang sie schon bald, in ihr Zeltlager an der Al-Aqsa-Universität bei Khan Younis zurückzukehren. Dennoch bekräftigte Salim, dass sie beabsichtigen, in ihr altes Viertel zurückzukehren und dort zu leben.
Die Armee nimmt immer noch ZivilistInnen ins Visier
Maha Issa, 37, wurde ebenfalls aus Tel Al-Sultan vertrieben und kehrte am zweiten Tag des Waffenstillstands zurück, um nach dem Haus ihrer Familie zu sehen. „Ich dachte, das Leid, das ich mehr als sieben Monate lang in Zelten ertragen musste, würde mit meiner Rückkehr ein Ende haben, aber als ich zurückkehrte, war ich schockiert von dem, was ich sah“, sagt sie gegenüber +972.
Issa, eine Mutter von zwei Kindern, die mit ihrer Familie seit dem Beginn der israelischen Invasion in Rafah in einem Vertriebenenlager im Küstengebiet von Al-Mawasi lebte, sagt, dass der Zustand ihrer Nachbarschaft sie „in einen Zustand des Schocks und der Depression“ versetzt habe.
„Mein Haus, das Haus der Familie meines Mannes und das Haus unserer Nachbarn wurden vollständig zerstört“, beklagt sie. „Die Zukunft meiner Kinder wurde wegen einer Besatzung zerstört, die uns als PalästinenserInnen hasst. Ich fühle mich verloren und weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, ob es eine Zukunft für uns gibt und ob wir die Kraft haben, weiterzumachen.“
Als sie in die Gegend zurückkehrten, in der sie lebten, erinnert sich Issa: „Meine Kinder, die beide unter sieben Jahre alt sind, hatten Angst, als sie die Verwüstung sahen. Sie zogen mich an meinen Kleidern und wollten zum Zelt zurückkehren“.
Issa berichtete auch von anhaltenden Angriffen der israelischen Armee trotz der Waffenruhe. „Die Armee feuert immer noch Granaten auf Tel Al-Sultan ab und nimmt ZivilistInnen ins Visier, die zu ihren Häusern zurückkehren möchten. Ich weiß nicht, was sie von uns wollen.“
Im Gegensatz zu Salim erklärte Issa gegenüber +972, dass sie nach dem, was sie dort erlebt hat, nicht vorhat, langfristig nach Rafah zurückzukehren. „Ich werde im Zelt bleiben“, sagte sie. „Tel Al-Sultan sieht aus, als wäre es von einem starken Erdbeben oder einer Atombombe getroffen worden. Es gibt kein Wasser, nichts. Die Straßen sind voller Schutt. Die Gegend, in der ich geboren wurde, aufgewachsen bin und meine Kinder zur Welt gebracht habe, ist mir fremd geworden – ich erkenne sie nicht wieder“, fährt sie fort. „Ich habe die schlimmsten Tage meines Lebens im Zelt verbracht und wartete geduldig, um in mein Zuhause zurückzukehren, aber dieser Traum ist nun zu einem Albtraum geworden.“
Ich werde auf den Trümmern meines Hauses leben
Aya Al-Mudallal, 33, sagt gegenüber +972, dass sie und ihre Familie sich „nie daran gewöhnt haben, in einem Zelt zu leben“, nachdem sie nach der israelischen Invasion im vergangenen Mai aus Rafah vertrieben worden waren. Sie versuchten gleich am ersten Tag des Waffenstillstands heimzukehren, aber was sie auf dem Weg dorthin sahen, verwirrte sie. „Ich konnte die Straßen wegen des Ausmaßes der Zerstörung nicht wiedererkennen“, erzählt sie.
Als sie Rafah erreichten, so Al-Mudallal, hörten sie und ihre Familie vereinzelte Schüsse. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir uns in einem Waffenstillstand befinden. Die Armee steht auf dem Philadelphi-Korridor und beschießt alle Gebiete in Rafah. Wir wollen, dass die Armee uns klar sagt, wo sichere Zonen sind.“
Die Gefahr für ihr Leben zwang die Familie zu der schmerzhaften Entscheidung, zurück in das Vertriebenenlager in Al-Mawasi zu ziehen, aber Al-Mudallal betont, dass sie so bald wie möglich zurückkehren möchte. „Mein Haus wurde zerstört und das Land von der Armee mit Bulldozern planiert, aber ich möchte zurückkehren und in Rafah bleiben“, sagt sie. „Warum können die Menschen im Norden ihre Häuser erreichen, während wir, die Menschen im Süden, unsere überhaupt nicht erreichen können?“
Auch Salem Asraf, 50, kehrte nach Inkrafttreten des Waffenstillstands in sein Haus in Tel Al-Sultan zurück und musste feststellen, dass es – wie auch der Rest des Viertels – in Schutt und Asche gelegt war. „Ich habe monatelang die Vertreibung ertragen und mich an die Hoffnung geklammert, dass ich nach Hause zurückkehren, mich in meinem eigenen Schlafzimmer ausruhen und meinen gewohnten Tagesablauf wieder aufnehmen könnte“, sagt er. „Aber ich kam zurück und fand nichts als Zerstörung vor. Ich umarmte meinen Nachbarn und gemeinsam weinten wir bitterlich über das, was wir sahen.“
Die Zerstörung war so extrem, dass Asraf sagt, er hätte sich fast gewunschen, der Krieg wäre nicht zu Ende gegangen, damit er nicht zurückkehren hätte müssen, um es zu sehen. „Jahre harter Arbeit verschwanden in einem einzigen Augenblick“, sagt er. „Ich habe keine Spur von meiner Heimat gefunden; ich habe gesucht, aber ich kann sie nicht finden. Ist das Hass? Oder Rache? Häuser sind nicht nur Steine, sie sind Erinnerungen, eine Zukunft, Sicherheit und Stabilität – und wir haben all das verloren“, fährt er fort. „Ich tue alles, um meine fünf Kinder und Enkelkinder zu unterstützen, damit sie diese Katastrophe ertragen können, aber ich kann mich selbst nicht trösten. Ich warte darauf, dass es Wasser gibt, und dann werde ich auf den Trümmern meines Hauses leben, bis es wieder aufgebaut ist. Wir wollen, dass die internationalen Gerichte Israel für diese Zerstörung anklagen.“
Ruwaida Kamal Amer ist eine freiberufliche Journalistin aus Khan Younis.

Comentarios