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Der Tag, an dem Israel die Buchhändler holte

Mit einem palästinensischen Malbuch als Beweis für „Aufwiegelung“ stürmte die israelische Polizei die weltberühmte Buchhandlung Educational Bookshop in Ostjerusalem und verhaftete die Besitzer.

Von Oren Ziv, +972Mag in Kooperation mit Local Call, 11. Februar 2025

(Originalbeitrag in englischer Sprache)

 

Wenn Sie in den letzten anderthalb Jahren gedacht haben, dass die israelischen Behörden bereits alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, um die Meinungsfreiheit der PalästinenserInnen einzuschränken, dann haben Sie sich getäuscht. Denn gestern hat die israelische Polizei zwei Filialen eines weltberühmten palästinensischen Buchladens im besetzten Ost-Jerusalem gestürmt, den Besitzer und seinen Neffen verhaftet und eine Auswahl an Büchern beschlagnahmt – darunter auch ein Malbuch für Kinder.

Während der heutigen Anhörung vor dem Jerusalemer Magistratsgericht sagte die Polizeivertreterin, Oberstleutnant Ortal Malka, dass sie acht Bücher im Educational Bookshop identifiziert habe, die die Kriterien für „Aufwiegelung“ erfüllten, gab aber nicht an, welche. Sie weigerte sich auch, auf die Tatsache einzugehen, dass die meisten Bücher nicht einmal in arabischer Sprache verfasst sind und dass die Kundschaft des Ladens hauptsächlich aus dem Ausland stammt.

Da für eine Verhaftung wegen des Verdachts auf Aufwiegelung die vorherige Genehmigung der Staatsanwaltschaft erforderlich ist, wurden der Eigentümer des Ladens, Mahmoud Muna, und sein Neffe Ahmad Muna, der mit ihm zusammenarbeitet, wegen des Verdachts auf „Störung der öffentlichen Ordnung“ verhaftet – eine gängige Praxis in Fällen, die mit der Meinungsfreiheit zusammenhängen. Dennoch behauptete die Polizei in einer Erklärung, der Laden verkaufe Bücher mit „aufrührerischem Inhalt und Unterstützung für den Terrorismus“, und im Durchsuchungsbefehl, den die Polizei für die Razzia in den beiden Filialen des Ladens verwendete, wurde „Solidaritätsbekundung mit einer terroristischen Organisation“ als mutmaßlicher Straftatbestand genannt.

Die beiden wurden über Nacht im Russian Compound, einem Verhörzentrum und Gefängnis in Westjerusalem, festgehalten und am Montagnachmittag einem Richter zur Anhörung über die Verlängerung ihrer Haft vorgeführt. Vor dem Gerichtssaal versammelten sich Dutzende von AktivistInnen und DiplomatInnen, um für die Inhaftierten zu demonstrieren, während ihre Familienangehörigen und Freunde versuchten, den Gerichtsaal zu betreten. Der Richter entschied, die Haft bis Dienstagmorgen zu verlängern, und empfahl dann ihre Freilassung. [Update: Mahmoud und Ahmad wurden am Dienstag zu fünf Tagen Hausarrest und 20 Tagen Ladenverbot entlassen.]

Auf die Frage ihres Anwalts, Nasser Odeh, warum die Munas der Störung der öffentlichen Ordnung beschuldigt wurden, antwortete Malka: „Die israelische Polizei ist der Meinung, dass der Verkauf von Büchern, die das enthalten, wessen wir sie verdächtigen, gerade in dieser Zeit und vor allem in Jerusalem rechtfertigt, [die Männer] als Gefahr zu betrachten.“

Auf die Frage nach der Anzahl der entwendeten Bücher – Odeh stellte fest, dass die Polizei den Laden mit mehreren Kisten verlassen hatte – antwortete Malka: „Dreißig, vielleicht vierzig, ich weiß nicht, wie viele davon wir letztendlich als aufrührerisch einstufen werden. Wir haben mindestens acht Bücher beschlagnahmt [die wir der Aufwiegelung verdächtigen], vielleicht auch mehr, aber es ist nicht sicher, dass sie alle als solche eingestuft werden. Die Beamten haben alles mitgenommen, von dem sie dachten, dass es den Kriterien entspricht.“

Als Odeh die Titel der beschlagnahmten Bücher und die Namen ihrer AutorInnen wissen wollte, antwortete Malka: „Das kann ich nicht beantworten. Wir werden [die Munas] mit den Büchern konfrontieren, wenn ich die Genehmigung dazu erhalte ... Es wird einige Zeit dauern, sie durchzugehen, weshalb wir hier um eine mehrtägige Verlängerung der Haft der [Munas] bitten ... Die meisten Bücher sind auf Arabisch, einige auf Englisch und einige auf Deutsch. Ich kann sie nicht eins nach dem anderen durchgehen.“

Ausgehend von einem Bild einiger der beschlagnahmten Bücher, die später zurückgegeben wurden, waren unter den Titeln Werke von Noam Chomsky, Ilan Pappé und Banksy sowie Bücher über den israelisch-palästinensischen Konflikt, Studentenrevolutionen und Kunst. Zu den beschlagnahmten Büchern gehörte laut einer von der Polizei nach der Razzia veröffentlichten Erklärung auch ein Malbuch für Kinder mit dem Titel „From the River to the Sea“ des südafrikanischen Illustrators Nathi Ngubane.

 

Zwischen den Zeilen

Die beiden Filialen des Educational Bookshop befinden sich gegenüber in der Salah Al-Din Street, der wichtigsten Geschäftsstraße in Ostjerusalem, nahe dem Damaskustor der Altstadt. Die 1984 gegründete Einrichtung gilt heute als eine der führenden Buchhandlungen im Nahen Osten, die von JournalistInnen, WissenschaftlerInnen, DiplomatInnen und TouristInnen wegen ihrer umfangreichen Sammlung von Büchern über die Politik und Geschichte Israels und Palästinas in Englisch, Arabisch und anderen Sprachen aufgesucht wird. Außerdem finden dort regelmäßig öffentliche Veranstaltungen wie Buchvorstellungen statt.

Neben der Leitung der Geschäfte ist Mahmoud Muna Mitherausgeber einer Anthologie mit Geschichten von Schriftstellern aus Gaza mit dem Titel „Daybreak in Gaza: Geschichten aus dem Leben und der Kultur der Palästinenser“, die vor dem Hintergrund des israelischen Angriffs auf Gaza zusammengestellt wurde, um „das Erbe des Volkes von Gaza durch Literatur, Musik, Geschichten und Erinnerungen zu bewahren“.

Während die beiden Geschäfte beim internationalen Publikum berühmt sind und sich in unmittelbarer Nähe des Magistratsgerichts befinden, sind sie in Israel nahezu unbekannt. Die Gerichtsbeamten, Polizeibeamten und Wachleute waren von dem großen Interesse der Medien und Diplomaten überrascht – und als die Anhörung am Montagnachmittag stattfand, waren die Geschäfte geöffnet und Dutzende linker Israelis und Ausländer kamen, um Bücher zu kaufen und ihre Solidarität zu zeigen.

Murad Muna, Mahmouds Bruder und Ahmads Onkel, beschrieb gegenüber +972 den Überfall und die Verhaftungen, wie sie ihm von einem dritten Bruder, der Zeuge der Ereignisse war, berichtet wurden. „Um 15 Uhr kam die israelische Polizei in die beiden Filialen der Buchhandlung und suchte nach Büchern mit palästinensischer Flagge“, sagte er. Obwohl die meisten der beschlagnahmten Bücher auf Englisch waren, „konnten sie kein Englisch lesen, also benutzten sie Google Translate, um zu verstehen, worum es in den Büchern ging.“

Mai, die Frau von Mahmoud, erklärt gegenüber +972, dass ihre elfjährige Tochter bei der Polizeirazzia anwesend war. „Leider war Laila in der Buchhandlung. Sie hat alles gesehen und war sehr geschockt. Aber wir haben mit ihr gesprochen und ihr erklärt, dass ihr Vater stark ist und sie sich keine Sorgen machen muss. Sie hat nicht verstanden, warum sie die Bücher mitgenommen haben und was sie wollten.“ Mai merkt an, dass sie befürchtet hatte, dass ein solcher Moment kommen würde. „Ich habe Mahmoud immer gesagt, dass ich mir Sorgen gemacht habe, dass so etwas passieren würde – ich habe es kommen sehen.“

Murad meint: „Das ist eine rein politische Angelegenheit. Die Bücher, die wir verkaufen, sind online erhältlich – man kann sie überall kaufen. Sie befassen sich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Wir haben viele Bücher, die von israelischen ProfessorInnen und AkademikerInnn geschrieben wurden. Ich glaube nicht, dass es eine Logik oder einen Grund gibt, die beiden zu verhaften“. Mit zitternder Stimme fügte er hinzu: „Es ist nicht leicht für uns als Familie. Wir hoffen, dass sie heute frei kommen werden.“

Während der Anhörung versuchte Anwalt Odeh dem Gericht zu erklären, dass die KundInnen der Läden überwiegend aus dem Ausland kommen – DiplomatInnen, JournalistInnen und TouristInnen –, um die Behauptung der Staatsanwaltschaft, es handele sich um Aufwiegelung, zu entkräften. Der Polizeivertreter entgegnete: „Ich weiß nicht [wer die Kunden sind], und es ist wirklich nicht wichtig. Das Wichtigste ist, dass es ein Publikum gibt, und das Gericht sollte das verstehen.“

„Von dem Moment an, als ich von den Verhaftungen hörte“, fuhr Odeh fort, “fühlte ich mich an zwei dramatische Vorfälle erinnert. Als die Mongolen 1258 in Bagdad einfielen, drangen sie in Bibliotheken ein, beschlagnahmten und verbrannten Bücher und warfen einige in den Fluss, um das Wissen zu kontrollieren – nur aus Rache, sonst nichts. Der zweite Fall war 1933 in Deutschland, als die jüdische Gemeinde verfolgt wurde. Ich will keinen Vergleich anstellen, aber SchriftstellerInnen und AutorInnen wurden verhaftet, weil man befürchtete, dass ihre Kunst eine Kritik an den Gräueltaten des Regimes darstellte.“

In einer Erklärung vom Montag sagte der Polizeisprecher: „Es wurde eine Durchsuchung in zwei Buchläden in Ost-Jerusalem durchgeführt, die im Verdacht standen, Bücher mit aufrührerischem Inhalt zu verkaufen. Die Verdächtigen, die die Bücher verkauften, wurden von Polizeibeamten festgenommen. Im Rahmen der Ermittlungen wurden die Ermittler ... mit zahlreichen Büchern konfrontiert, die verschiedene aufrührerische Materialien palästinensisch-nationalistischer Art enthielten, darunter ein Malbuch für Kinder mit dem Titel „From the river to the sea“. Die Verdächtigen im Alter von etwa 30 Jahren wurden von den Ermittlern festgenommen und zum Verhör gebracht. Die beiden werden heute dem Gericht vorgeführt, da die Polizei beantragt hat, ihre Haft zu verlängern, um die Ermittlungen abzuschließen. Die israelische Polizei wird ihre Bemühungen fortsetzen, die Aufwiegelung zum und Unterstützung des Terrorismus zu verhindern und dabei alle verfügbaren Ressourcen, einschließlich fortschrittlicher technologischer Möglichkeiten, nutzen. Dazu gehört auch, diejenigen ausfindig zu machen und zu verhaften, die in Straftaten verwickelt sind, die darauf abzielen, die Sicherheit der israelischen Bürgerinnen und Bürger zu beeinträchtigen, wo auch immer sie sich befinden.“

 

Oren Ziv ist Fotojournalist, Reporter für Local Call und Gründungsmitglied des Fotokollektivs Activestills.


 

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