Bombardierung von Anlagen, Unterbrechung von Pipelines: Israel treibt die Wasserkrise im Gazastreifen an den Rand des Abgrunds
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Seit März lässt die israelische Armee den Menschen im Gazastreifen keine andere Wahl, als Meerwasser zu trinken und verunreinigte Vorräte zu rationieren.
Von Ibtisam Mahdi, +972Mag, 23. April 2025
(Originalbeitrag in englischer Sprache)
Wissam Badawi verbringt ihre Tage damit, zu warten und zu lauschen, in der Hoffnung, dass sie das unverwechselbare Hupen eines Wassertransporters in ihrer Nachbarschaft hört. Diese Lastwagen, die von örtlichen Freiwilligen bemannt werden, sind für die 49-jährige Mutter von acht Kindern und Tausende von PalästinenserInnen in Gaza-Stadt die letzte Rettungsleine inmitten einer immer schwerwiegenderen Wasserkrise, die durch Israels anhaltende Angriffe auf den Gazastreifen verursacht wird.
„Die meisten Wasserleitungen sind durch die Bulldozer der israelischen Armee zerstört worden, und die Stadtverwaltung kann sie nicht reparieren“, sagt Badawi, die im Viertel Tel Al-Hawa lebt, gegenüber +972. „Es gibt keinen Brunnen in der Nähe, also muss ich meine Kinder ans Meer schicken, um Wasser für den täglichen Gebrauch zu holen. Dann warte ich auf den Lastwagen, damit ich sauberes Wasser mit dem Meerwasser mischen kann, um seinen Salzgehalt zu reduzieren und es trinkbar zu machen."
Aufgrund der extremen Knappheit ist der Wasserpreis auf den Märkten in Gaza in die Höhe geschnellt. „Der Preis für einen Liter Wasser liegt zwischen 5 und 8 NIS [1,20 – 1,90 EUR, Anm.]. Wir brauchen etwa fünf Liter pro Tag zum Trinken und Kochen, und das kann ich mir kaum leisten. Außerdem gibt es in unserer Gegend niemanden, der Wasser verkauft - wenn also keine Lastwagen kommen, muss ich eine lange Strecke laufen, um es zu kaufen."
In Gebieten, in denen es keine Lastwagen gibt, die Wasser bringen, müssen viele BewohnerInnen des Gazastreifens kilometerweit laufen und stundenlang Schlange stehen, um einen einzigen Behälter an einem Brunnen aufzufüllen. Aber selbst diese werden immer knapper, da sie entweder bombardiert oder durch israelische Vertreibungsbefehle unzugänglich gemacht wurden. UNICEF warnte bereits davor, dass die Wasserkrise im Gazastreifen ein „kritisches Ausmaß“ erreicht hat, und stellte fest, dass derzeit nur einer von zehn Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat.
Diese Krise ist keine Nebenwirkung des israelischen Angriffs, sondern vielmehr ein bewusster Aspekt davon. Nach Angaben des Medienbüros der Regierung von Gaza hat die israelische Armee seit dem 7. Oktober 719 Wasserbrunnen zerstört. Am 10. März unterbrach Israel die verbleibende Stromversorgung des Gazastreifens und zwang die größte Entsalzungsanlage im Gazastreifen, ihren Betrieb herunterzufahren. Wenige Tage später wurde die zweitgrößte Anlage aufgrund von Treibstoffmangel, der auf die totale Blockade der Enklave durch Israel zurückzuführen ist, außer Betrieb genommen.
Eine weitere Anlage, die Ghabayen-Anlage in Gaza-Stadt, wurde Anfang April bombardiert. Und am 5. April stellte Israel die Wasserversorgung des Gazastreifens durch das israelische Unternehmen Mekorot ein, das fast 70 Prozent des Trinkwassers im Gazastreifen lieferte.
Ahmad Al-Buhaisi, ein 22-jähriger Wasserverkäufer aus Deir Al-Balah im Zentrum des Gazastreifens, der von der Entsalzungsanlage Aquamatch beliefert wurde, erklärt gegenüber +972: „Die Schließung der Anlage hat mich nicht nur meinen Lebensunterhalt gekostet, sondern auch vielen BürgerInnen die Möglichkeit genommen, sauberes, trinkbares Wasser zu bekommen.“
Er berichtet, dass er ständig von Menschen kontaktiert wird, die ihn bitten, Wasser zu ihren Häusern zu bringen, und alles, was er tun kann, ist, sich zu entschuldigen und ihnen zu sagen, dass keine Entsalzungsanlagen mehr in Betrieb sind. „Ich bin immer noch auf der Suche nach einem funktionierenden Brunnen, aus dem ich trinkbares Wasser kaufen kann“, sagt er. „Aber die Preise sind dramatisch gestiegen, und es ist für uns schwierig geworden, es zu kaufen und dann an die Öffentlichkeit weiterzuverkaufen.“
„Sie vernichten jede Lebensader"
Die Entsalzungsanlage Ghabayen – eine private Anlage, die Teile von Gaza-Stadt und Jabalia versorgt, war eine der wichtigsten Wasserquellen im nördlichen Gazastreifen. Am 4. April bombardierte die israelische Armee die Anlage zum dritten Mal während des laufenden Krieges und tötete einen ihrer Besitzer, Majd Ghabayen. Er befand sich in der Station, und sein Körper wurde zusammen mit den Rohren und Tanks in Stücke gerissen.
„Jedes Mal, wenn die Armee die Anlage bombardierte, verursachte sie massive Zerstörungen“, erklärt Ahmad Ghabayen, Majds jüngerer Bruder, gegenüber +972. „Doch wir kehrten immer zurück und reparierten, was wir konnten, mit dem Geld und den Ressourcen, die wir hatten, um die Menschen mit Wasser zu versorgen.“
Doch der letzte Angriff war anders. „Dieses Mal wurde der Brunnen selbst von einer sehr großen Rakete getroffen, die ihn vollständig zerstörte“, berichtet Ghabayen. „Uns wurde gesagt, dass es schwierig sein würde, einen neuen Brunnen zu graben, weil die Kontamination durch den Raketeneinschlag ihn unbrauchbar gemacht hatte.“
„Israel hat nicht nur eine Wasserverteilungsanlage angegriffen, sondern einen Teil des Lebens meiner Familie zerstört und Tausende von Menschen um ihr Wasser gebracht“, so Ghabayen weiter. "Die Station versorgte große Gebiete von Al-Tuffah, Shuja'iyyah, Al-Daraj, Sheikh Radwan und Jabalia. Die Menschen kamen von weit her, um Wasserbehälter zu füllen. Sie vernichten alles, was wir noch als Lebensader haben."
Die Bombardierung der Ghabayen-Station ist Teil einer systematischen Politik, die Israel seit Beginn des Krieges verfolgt: gezielte Angriffe auf Wasserbrunnen und die mit ihnen verbundene Infrastruktur sowie die Unterbrechung der Wasserversorgung, die einst durch israelische Pipelines nach Gaza floss.
Wael Abu Amsha, ein 51-jähriger Vater von sieben Kindern und einer der Benutzer der Station, sagt, die Zerstörung der Station sei ein „schwerer Schlag“ für Hunderte von Familien, die sich auf die Station als wichtigste Wasserquelle verlassen hatten. „Nachdem die Station bombardiert wurde, begannen wir nach einer alternativen Quelle zu suchen“, berichtet er gegenüber +972. „Wir haben eine andere Station gefunden, aber sie ist weit entfernt – etwa eine halbe Stunde Fußmarsch – und ihr Wasser ist nicht wirklich sauber. Aber wir sind gezwungen, davon zu trinken.“
„Wir profitierten sehr von der Station, weil wir Trinkwasser zu einem Preis kauften, der sich seit der Zeit vor dem Krieg nicht verändert hatte - und an vielen Tagen wurde es zudem kostenlos verteilt“, fährt er fort. „Auch salzhaltiges Wasser wurde den ganzen Tag über kostenlos verteilt, was uns half, nachdem die [israelische] Armee die Wasserleitungen zerstört hatte, die Wasser aus der Gemeinde geliefert hatten. Jetzt haben wir kein Wasser mehr. Die Menschen leiden. Ich gehe lange Strecken und warte stundenlang, nur um eine Gallone Wasser [zirka 3,8 Liter, Anm.] für meine Familie abzufüllen - und das ist nicht einmal genug. Am Ende mischen wir es mit Wasser von einer anderen Station, deren Wasser zwar nicht zum Trinken geeignet ist, aber näher liegt als das der ersten Station. Wir haben keine andere Lösung."
Eine Katastrophe für die öffentliche Gesundheit
Die Wasserkrise führt nicht nur zu Durst, sondern hat auch direkte Auswirkungen auf die Gesundheit derjenigen, die an Krankheiten leiden. Samar Zaarab, eine 45-jährige Krebspatientin aus Khan Younis, die derzeit in einem Zelt in Al-Mawasi lebt, berichtet gegenüber +972, dass die Wasserknappheit ihre täglichen Schmerzen verschlimmert. „Mein gebrechlicher Körper braucht dringend sauberes Trinkwasser“, sagt sie.
„Seit ich vor ein paar Tagen vertrieben wurde, hat sich mein Leiden vergrößert“, so Zaarab weiter. „Wasserwagen kommen nicht zu uns, und das wenige Wasser, das wir bekommen, reicht nicht einmal für die grundlegendsten täglichen Bedürfnisse wie Waschen und Putzen. Ohne Hygiene verschlimmert sich meine Krankheit. Wenn ich nicht an der Krankheit sterbe, dann am Mangel an sauberem Wasser."
Zuhd Al-Aziz, Berater des stellvertretenden Ministers für Kommunalverwaltung des Gazastreifens, erklärte gegenüber +972, dass die gesamte Bevölkerung mit einer „katastrophalen humanitären Krise“ konfrontiert sei, nachdem Israel die Stromzufuhr zum Gazastreifen gekappt und die meisten Entsalzungs- und Wasseraufbereitungsanlagen abgeschaltet habe.
Nach Angaben von Al-Aziz hat die israelische Armee direkt auf die Notstromaggregate gezielt, so dass es äußerst schwierig ist, die Anlagen in Betrieb zu halten. „85 Prozent der Frischwasserquellen im Gazastreifen wurden zerstört, so dass die Bewohner gezwungen sind, verschmutztes und nicht trinkbares Wasser zu verwenden“, erklärt er. „Etwa 90 Prozent der privaten und öffentlichen Entsalzungsanlagen – insgesamt 296 – haben ihren Betrieb eingestellt, entweder durch direkte Angriffe oder aufgrund von Treibstoffmangel. Fünf große Abwasseraufbereitungsanlagen sind ebenfalls nicht mehr in Betrieb, was die Gefahr von Umweltverschmutzung und Krankheitsausbrüchen erhöht hat.“
Assem Al-Nabeeh, ein Sprecher der Stadtverwaltung von Gaza-Stadt, beschrieb die Krise in ähnlich deutlichen Worten. „Die israelische Besatzung hat allein in Gaza-Stadt mehr als 64 Brunnen und über 110 000 laufende Meter Wassernetze zerstört, was zu einem massiven Rückgang der verfügbaren Wasserversorgung geführt hat“, erklärt er. „Derzeit sind nur 30 Brunnen in Betrieb, die nicht einmal einen Bruchteil des Bedarfs der Bevölkerung decken können - insbesondere angesichts des Zustroms von Vertriebenen aus den nördlichen Bezirken.“
„Die Stadtverwaltung bemüht sich trotz extrem begrenzter Mittel um Alternativen, aber der Schaden ist enorm und kann bei anhaltender Belagerung und Bombardierung nicht ausgeglichen werden“, so Al-Nabeeh weiter. „Es gibt weder Treibstoff noch Ersatzteile - weder für Generatoren noch für Brunnenpumpen. Die Brunnen können nicht 24 Stunden durchgehend betrieben werden. Etwa 61 Prozent der Haushalte sind jetzt darauf angewiesen, ihr Trinkwasser aus teuren privaten Quellen zu beziehen, was ein gefährlicher Indikator für den Zusammenbruch des öffentlichen Wassersystems ist."
Al-Nabeeh weist darauf hin, dass die Wasserkrise mit der Verschärfung des Hungers, der anhaltenden Belagerung, den steigenden Temperaturen und der sich verschlechternden Gesundheits- und Umweltsituation einhergeht, die durch die Anhäufung von Abfällen und das Auslaufen von Abwässern verursacht wird - all dies stellt eine direkte Bedrohung für das Leben der BewohnerInnen dar, insbesondere wenn sie keinen Zugang zu Wasser für die Sterilisation, die Hygiene oder das Kochen haben.
Es ist zwar unmöglich, genaue Zahlen zu ermitteln, aber Al-Nabeeh schätzt, dass die durchschnittliche tägliche Wasserversorgung auf 3 bis 5 Liter pro Person und Tag gesunken ist - das ist eklatant weniger als die 15 Liter, die als Minimum für Trinken, Kochen und Hygiene zum Schutz der öffentlichen Gesundheit in Notsituationen gelten.
„Wasserknappheit ist bekanntermaßen die Ursache für die Ausbreitung von Epidemien sowie Haut- und Darmkrankheiten“, fügt er hinzu. „Und wenn das Verbot von Treibstoff und Energiequellen, die für den Betrieb lebenswichtiger Einrichtungen benötigt werden, anhält, könnte dies zu einer massiven Abschaltung der Wasser- und Abwasserinfrastruktur führen - was die humanitäre und gesundheitliche Katastrophe in der Stadt noch weiter verschlimmern würde.“
Die israelische Armee reagierte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht auf die Bitte von +972 um eine Stellungnahme. Sollte eine solche eingehen, wird sie hier hinzugefügt.
Ibtisam Mahdi ist eine freiberufliche Journalistin aus Gaza, die sich auf die Berichterstattung über soziale Themen, insbesondere über Frauen und Kinder, spezialisiert hat. Sie arbeitet auch mit feministischen Organisationen in Gaza in den Bereichen Berichterstattung und Kommunikation zusammen.

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