Im heutigen Ö1-Mittagsjournal war ein Beitrag von Karim El-Gawhary mit dem Titel „Eine Sprachnachricht aus Gaza – 26 Minuten Elend“ zu hören, in der ein Anwalt aus Gaza Stadt über die katastrophalen Lebensumstände seiner Familie in Gaza Stadt berichtet. Der Beitrag kann sieben Tage lang nachgehört werden.
Transkription des Beitrags:
Moderation: Und jetzt zu den Menschen im Gazastreifen, die mit den gescheiterten Verhandlungen leben müssen. Die UNO warnt zuletzt vor einer Hungerkatastrophe, wenn nicht sofort genug Nahrungsmittel und andere Versorgungsgüter vor allem den Norden des Gazastreifens erreichen. Unser Korrespondent in Kairo, Karim El-Gawhary, hat mit einer Familie eines Anwaltes in Gaza Stadt Kontakt aufgenommen. Da die Kommunikation dorthin schwierig ist, habe er erst nach drei Tagen eine Antwort bekommen: eine 26-minütige Whats App-Sprachnachricht, in der der Anwalt sein Leben und das Leben seiner Frau und seiner drei Kinder im Alter zwischen vier und elf Jahren beschreibt.
Beginn Beitrag von Karim El-Gawhary:
Es sind 26 Minuten des Elends, die der Anwalt Ibrahim Harabishi in seiner Sprachnachricht beschreibt. „Um ehrlich zu sein, es müsste einen anderen Ausdruck als „katastrophal“ geben. Wir leben eine Mischung aus Angst, Hunger und Durst, gepaart mit einer totalen psychologischen Erschöpfung.“
Er gibt der Warnung der Welternährungsorganisation vor einer unmittelbar bevorstehenden Hungersnot insbesondere im nördlichen Gazastreifen einen sehr persönlichen Kontext mit der Beschreibung des Lebens seiner Familie, die in Sheikh Radwan, einem einstigen Mittelklasse-Viertel in Gaza Stadt, lebt. „Unsere Mahlzeiten bestehen aus Kräutern und anderem Grün, das gerade in Saison ist, wie wilder Mangold und manchmal ein paar Zitrusfrüchte. Wir kochen das und das kommt dann auf unsere Teller, das ist nicht wirklich nahrhaft, aber es gibt uns das Gefühl, etwas zu essen.“ Manchmal durchstreifen sie die Häuser die zerstört sind oder die von den Bewohnern verlassen wurden, die in den Süden des Gazastreifens geflohen sind und suchen irgendetwas Essbares in deren Küchen und Vorratskammern. Er sei zu erschöpft, um sich mit Zehntausenden anderen um die wenigen Hilfslieferungen zu streiten, die aus der Luft abgeworfen werden, erzählt er.
Der größte Schmerz des 32-jährigen seien seine Kinder. Er gibt ihnen die größeren Portionen, damit sie aufhören, vor Hunger zu schreien und zu weinen, erzählt er, denn das hielten keine Eltern aus. „Manchmal schreien sie die ganze Nacht und ich mache mich auf die Suche, um irgendetwas zu finden, das sie ruhigstellt. Manchmal wünsche ich mir, dass uns jemand den Gnadenschuss gibt, irgendein schneller Tod statt dieses langsamen Verhungerns.“
Auch das Wasser ist ein Problem. Der Anwalt geht fünf Kilometer, um einen Kanister in einem Brunnen abzufüllen. Das ist nicht nur gefährlich, weil der Brunnen in Richtung der Stellungen der israelischen Armee liegt, erzählt er, das Wasser stinke, sei trüb, versetzt mit Meer- und Abwasser. „Ich sehe Getier darin, wie Würmer. Wir versuchen das mit einem Stück Stoff herauszufiltern.“
Auch der mentale Zustand der Menschen sei katastrophal. Demenz, alle Arten von Psychosen und Depressionen sind weit verbreitet, erzählt Ibrahim. „Oft sehe ich besonders Menschen mit besserer Bildung, wie sie ziellos durch die Straßen ziehen. Ihr Kopf hält das einfach nicht mehr aus, sie haben buchstäblich ihren Verstand und ihr Gedächtnis verloren.“
Schon vor einem Monat warnte das UN Kinderhilfswerk UNICEF davor, dass die Kinder in Gaza eine mentale Gesundheitskrise erleben und dringend psychologische Hilfe bräuchten. Viele erlebten regelmäßige Angstzustände. Auch Ibrahim erzählt, dass sich seine Kinder immer wieder vor Angst einnässen.
Er endet seine Sprachnachricht mit seiner größten Sorge, seinem vierjährigen Sohn. „Mit den Bombardierungen begann mein Sohn, merkwürdige Geräusche zu machen und mit seinen Augen zu rollen und Grimassen zu schneiden. Sein Gehirn schickt verwirrende Signale an seine Nerven. Ich nehme all meine Kraft zusammen und sage ihm, es ist vorbei, du brauchst vor nichts mehr Angst zu haben. Er sitzt auf meinem Schoß und ich halte ihn fest an mich gedrückt, um seine Bewegungen zu kontrollieren. Ich fürchte, er verliert langsam seinen Verstand.“
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