Das Global Polio Laboratory Network wies am 16. Juli in Abwasserproben, die am 23. Juni in den Städten Khan Younis und Deir Al-Balah in Gaza entnommen worden waren, Poliovirus vom Typ 2 nach.
Das Poliovirus ist eine hoch ansteckende Krankheit, die hauptsächlich Kinder unter fünf Jahren befällt. Der Virus löst beim Menschen die sogenannte Kinderlähmung aus; die Viren befallen Nervenzellen, und zwar vorzugsweise die für die Muskulatur wichtigen Vorderhornzellen im Rückenmark, wodurch es zu Lähmungen und in extremen Fällen zum Tod kommen kann.
Am vergangenen Freitag wurden bei einem zehn Monate alten Baby in der Stadt Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens nun erstmals nach 25 Jahren in Gaza eine Polio-Erkrankung festgestellt. Ärzte hatten aufgrund der Symptome des Babys Verdacht geschöpft, eine Probe der Untersuchung wurde nach Jordanien geschickt. Das Baby hatte keine Polio-Impfung erhalten.
Wie die WHO mitteilte, besteht bei drei Kindern in Gaza der Verdacht auf eine Polio-Erkrankung, nachdem sie von akuten Lähmungssymptomen betroffen sind, die für Polio typisch sind. Die finalen Untersuchungsergebnisse dieser Kinder sind noch ausständig. Anzumerken ist hierbei, dass nicht jede Polio-Erkrankung zu Lähmungserscheinungen führen muss, sondern sie sich auch z.B. in grippeähnlichen Symptomen äußern kann, wodurch die Dunkelziffer an erkrankten Personen – hoch ansteckend für ihre Umgebung, aber atypische Symptome – bereits sehr hoch sein kann.
In einer Ansprache am 16. August gab UN-Generalsekretär Antonio Guterres an, dass 95 (!) Prozent der Kinder in Gaza geimpft werden müssten, um eine Verbreitung der Krankheit zu verhindern:
„Die Gesundheits-, Wasser- und Abwassersysteme im Gazastreifen sind völlig zerstört und die meisten Krankenhäuser und Einrichtungen der Primärversorgung nicht funktionsfähig. Die Menschen werden ständig dazu gezwungen, zu flüchten. Darüber hinaus sind die routinemäßigen Impfungen aufgrund des Krieges stark beeinträchtigt, was die Verbreitung von Masern, Hepatitis A und anderen vermeidbaren Krankheiten begünstigt. Wir wissen, dass eine wirksame Polio-Impfkampagne durchgeführt werden muss.“
Dafür müssten Polio-ExpertInnen Zugang zu dem von Israel vollständig abgeriegelten Gebiet bekommen. 708 Teams sollen in Gesundheitseinrichtungen die Impfungen durchführen, die WHO hat 1,6 Millionen Dosen Impfstoff freigegeben, 640 000 Kinder unter zehn Jahren müssten in zwei Durchgängen geimpft werden. Es müsste Treibstoff für Fahrzeuge vorhanden sein und die Kühlketten für den Impfstoff aufrechterhalten werden, was aufgrund der israelischen Blockade und des fast vollständig zerstören Gesundheitssystems in Gaza eine große Herausforderung darstellt.
Vor allem aber müsste die Sicherheit für ZivilistInnen garantiert werden, damit diese zu den Impfstationen gelangen könnten.
Guterres betonte, dass „ein bösartiger Virus besiegt werden muss, der, wenn er nicht bekämpft wird, nicht nur für die palästinensischen Kinder im Gazastreifen, sondern auch in den Nachbarländern und in der Region katastrophale Folgen haben würde“.
Die WHO und das UN-Kinderhilfswerk Unicef forderten Israel und die Hamas auf, die Kämpfe sieben Tage lang einzustellen, um die Impfaktion durchführen zu können. Die Hamas unterstützte diese Forderung, wie ein Sprecher der Organisation mitteilte.
Von israelischer Seite gab es keinen Kommentar.
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Quellen (Stand 19.08.2024)
Guterres appeals for ‘Polio Pause’ in Gaza (Unted Nations)
Gaza remains at ‘high risk’ of polio virus spread, warn UN aid teams (United Nations)
10-month-old contracts Gaza’s first case of polio in 25 years (CNN)
Polio cases 'very likely' in Gaza population, WHO says (Reuters)
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