Die negativen Auswirkungen von Bewegungseinschränkungen und die damit einhergehend wachsende Arbeitslosigkeit auf die ohnehin ökonomisch geschwächte palästinensische Bevölkerung geben Anlass zu großer Sorge.
Das palästinensische Ministerium für soziale Entwicklung (MoSD) schätzt, dass in den letzten Wochen in den palästinensischen Gebieten mindestens 53.000 Familien aufgrund des Verlusts einer Einkommensquelle in Armut gestürzt sind. Dies zusätzlich zu jenen Familien, die aufgrund der ohnehin außerordentlich hohen Arbeitslosenrate in Gaza, Westjordanland und Ostjerusalem bereits unter der Armutsgrenze leben mussten.
Vor dem Lockdown überquerten beispielsweise tagtäglich tausende palästinensische Arbeiter und Arbeiterinnen die israelischen Checkpoints in Richtung israelisches Kernland, um zu ihrer Arbeitsstelle zu gelangen oder aber um als Tagelöhner Arbeit zu finden. Schätzungen zufolge versuchten vor dem Lockdown jede Nacht allein in Bethlehem 4000 – 6000 ArbeiterInnen aus Bethlehem und Umgebung über den Checkpoint 300 nach Jerusalem zu gelangen. Auf israelischer Seite angekommen verdingen sich palästinensische Arbeiter ihr Brot als Billigarbeitskräfte, die über keinerlei Arbeitsrechte verfügen. Oftmals sind die Arbeiter auch Tagelöhner, die über keine feste Anstellung verfügen und auf der Straße ihre Dienste (meist für Bauarbeiten) anbieten – auch hier gibt es keine Garantie, überhaupt Arbeit zu finden und wenn, dann kommt es oft zur Ausbeutung durch den Auftraggeber, der nach getaner Arbeit keinen oder einen geringeren Lohn als vereinbart auszahlt, im Wissen, dass sich die palästinensischen Arbeiter nicht dagegen wehren können aus Angst, ihre Genehmigung, den Checkpoint zu überqueren, zu verlieren.
Am 5. März wurde Bethlehem und der für die ArbeiterInnen und für den Tourismus so wichtige Checkpoint 303 aufgrund von Covid-19 abgeriegelt, zehn Tage später folgte das gesamte Westjordanland. Zigtausende PalästinenserInnen verloren schlagartig ihre Arbeit, und dies in einer Region, in der es keinerlei Absicherung in Form von Mindestsicherung oder Arbeitslosengeld gibt. In den ersten Wochen sorgte noch der soziale und finanzielle Zusammenhalt der Familien sowie Ersparnisse dafür, dass die Menschen weiterhin Nahrungsmittel und Dinge des täglichen Bedarfs kaufen konnten. Auch Kirchen und Moscheen versuchten, zu helfen. Mittlerweile sind jedoch die lokalen Ressourcen erschöpft, die Ersparnisse der Familien, sofern sie vorhanden waren, aufgebraucht. Hilfsorganisationen vor Ort, wie beispielsweise Caritas Jerusalem, berichten davon, immer mehr Nahrungsmittelhilfe und Hygienepakete an verarmte Familien ausliefern zu müssen, sie kommen der Nachfrage kaum noch nach.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA kann aufgrund der Zahlungseinstellung von Seiten der USA und anderer Staaten nur noch marginal helfen. Der UN-Sonderkoordinator Nikolay Mladenov warnt auch vor den sozioökonomischen Folgen der Krise für die bereits geschwächte palästinensische Wirtschaft, deren Einnahmen aus Handel, Tourismus und Transfers auf den niedrigsten Stand der letzten zwei Jahrzehnte (!) zurückgingen.
„Wir erleben in Palästina gerade eine Tragödie unvorstellbaren Ausmaßes“, so Botschafter Salah Abdel Shafi. „Die palästinensische Wirtschaft ist fast vollständig zum Erliegen gekommen, die wichtigsten Einkommensquellen wie Tourismus und Handel sind vollständig eingebrochen und es ist ungewiss, wie lange dies noch andauern wird. Zusätzlich hat die israelische Regierung soeben beschlossen, 450.000.000 NIS (umgerechnet 118 Mio Euro) an palästinensischen Steuergeldern einzufrieren. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl gilt morgen, am 1. Mai, all jenen palästinensischen Familien, die aufgrund der Arbeitslosigkeit von Armut und massiven Existenzängsten betroffen sind.“
Weiterführende Informationen:
Link United Nations Office for the Coordination of Human Rights Affairs Occupied Palestinian Territories (UNOCHA)
Link Ministry of Social Development of the State of Palestine (Webseite in arabischer Sprache)