Heuer fand bereits zum vierten Mal das Mednarodni Film Festival in Kranjska Gora in Slowenien statt, zum dritten Mal mit palästinensischer Beteiligung.
Vom 27. Juli bis zum 3. August 2019 wurden internationale Filme, darunter auch Najwa Najjar’s „Eyes of a Thief“ und der irisch-palästinensische Dokumentarfilm „Gaza“ in entspannter Atmosphäre und vor dem Hintergrund der fantastischen Landschaft von Kranjska Gora gezeigt. Neben Filmvorführungen sorgten Konzerte, Lesungen, Diskussionsrunden und Workshops für ein ereignisreiches Rahmenprogramm. Die Vertretung des Staates Palästina in Österreich und Slowenien trat auch dieses Jahr wieder als Ko-Sponsor des Festivals auf.
„Gaza“ (2019) ist eine eindrucksvolle, cineastische Reise, die durch Einzelschicksale von Bewohner*innen von Gaza führt, abseits des Grolls des seit Jahrzehnten andauernden Konflikts. Die Regisseure Garry Keane and Andrew McConnell erzählen die Geschichte mutiger Palästinenser*innen, deren Stärke und Sinn für Zusammenhalt, trotz all der alltäglichen Schwierigkeiten, tief ins Herz der Zuseher*innen treffen. Das Leben der Menschen in Gaza ist vom Konflikt gezeichnet, aber sie lassen sich nicht davon beherrschen.
Najwa Najjars Drama „Eyes of a Thief” (2014) beginnt zum Höhepunkt der zweiten Intifada im Jahr 2002. Die Geschichte von Tareq ist in der palästinensischen Bevölkerung sehr bekannt. Nach einem Attentat auf israelische Soldaten gerät Tareq in israelische Gefangenschaft. Zehn Jahre später kehrt er in sein Heimatdorf zurück. In einem für ihn vollkommen veränderten Palästina macht er sich auf die Suche nach seiner Familie.
Die Vorführungen der beiden palästinensischen Filme in Anwesenheit der Filmemacher*innen und des palästinensischen Botschafters Salah Abdel Shafi begeisterten Publikum und Organisator*innen.
Interview mit Najwa Najjar, Regisseurin des Films "Eyes of a Thief"
Najwa Najjar wuchs auf in Saudi Arabien und studierte Politikwissenschaft und Film in den USA. Die palästinensische Filmemacherin arbeitet an Dokumentar- und Spielfilmen, die mit internationalen Filmpreisen ausgezeichnet wurden. Darunter Yasmine’s Song (2005), Naim and Wade’a (2000), Pomegranates and Myrrh (2008) und Eyes of a Thief (2014).
Was hat Sie inspiriert, „Eyes of a Thief” zu drehen?
Als palästinensische Frau und Filmemacherin, die im „No Man’s Land“ zwischen Ramallah und Jerusalem lebt, eigentlich offiziell Jerusalem, aber innerhalb der 450 km langen Mauer, hoffe ich sehnlichst auf ein Ende dieser Ungerechtigkeiten, die den Palästinenser*innen widerfahren. Und doch sehe ich, wie sich die Situation Tag für Tag verschlechtert. Ich habe mich gefragt, welche Möglichkeiten wir noch haben, uns auszudrücken, wenn wir umgeben von Verzweiflung leben und angekommen sind an einem Punkt, an dem die Luft zum Atmen dünn wird.
Ich habe nach Möglichkeiten gesucht, Bücher gelesen, Filme geschaut und mit Leuten gesprochen, die unter ähnlichen Bedingungen leben. Ich habe versucht über ein Land, geschädigt von täglicher Gewalt, Mauern, elektrischen Zäunen, Checkpoints und Enteignungen hinwegzusehen. Ich habe mich wiedergefunden, als ich begann mich in Verzweiflung, Unsicherheit und Wut zu verlaufen. Und obwohl ich verstanden habe, wie unerfüllte Träume und Sehnsüchte eine Gesellschaft dazu bringen, sich zu isolieren, vor allem, wenn dies alles passiert vor den Augen der restlichen Welt, die diese Ungerechtigkeiten ignoriert, habe ich mich dazu entschieden, dagegen zu arbeiten.
Dann ist mir die Geschichte eines jungen Palästinensers eingefallen, der 2002, zum Höhepunkt der zweiten Intifada, tat, was viele „Terrorismus“ und andere „Selbstverteidigung“ nennen. Die Geschichte hat mich fasziniert und die Frage danach, was Widerstand und Überleben bedeuten, wenn Menschen unter Beschuss sind. Der Film verhandelt die von Palästinenser*innen seit Jahrzehnten geforderte Gerechtigkeit, Würde, Demokratie und Selbstbestimmung und wie diese erreicht werden können, wenn die Hoffnung auf Frieden basierend auf diesen Grundsätzen schon lange ausgelöscht wurde.
Was wollten Sie mit „Eyes of a Thief“ erreichen?
„Eyes of a Thief“ soll aufzeigen, was in einer von Gewalt und Krieg geprägten Gegend oft in Vergessenheit gerät: das Schicksal der Menschen. Durch eine individuelle Geschichte erzählt „Eyes of a Thief“ die Geschichte vieler. Die Charaktere, Motive und Hintergründe des Films sind für palästinensisches oder arabisches Kino eher ungewöhnlich.
Der Film ist ein Beziehungsdrama eines Vaters und seiner Tochter, eine Liebesgeschichte, eine Betrachtung der Vergangenheit und Gegenwart Palästinas und eine provozierende Reflexion des so schwer erfassbaren Konzepts von Überleben. Er ist eine facettenreiche Chronik von Menschen mit unantastbaren Überzeugungen und zeigt die Ungewissheit dieser Zeit. „Eyes of a Thief“ fragt danach, was passiert, wenn Vernunft und Hoffnung schwinden, wenn Apathie zunimmt und Bewusstsein nahezu ausgelöscht wird. Wird auch der Überlebenswille der Menschen nachlassen? Welche Möglichkeiten haben die Menschen noch? Diese Fragen sind nicht nur für Palästina, sondern die ganze Region relevant.
Über Jahrzehnte ist der Diskurs über Widerstand und Überleben in der arabischen Welt vereinfacht dargestellt worden. Dies hat zu einer verschobenen Diskussion und einem verzerrten Bild geführt. Viel zu lange haben jene die Geschichte erzählt, die die arabische Perspektive übersehen, die Region und vor allem die Menschen, die involviert sind.
Die Konsequenzen sind eine vereinfachte Darstellung der Tatsachen, eine Reduzierung der Konflikte in der Region auf religiöse und binäre Gegenüberstellungen wie etwa „Muslim*innen gegen Jüd*innen“ oder „Muslim*innen gegen den Westen“. Nach 9/11 war es nicht mehr schwer, Muslim*innen und Araber*innen zu dämonisieren und entmenschlichen. Und gleichzeitig die Diskriminierung von Minderheiten, wie Christ*innen, im arabischen Raum.
Die Erhaltung historischer Diversität und die Rolle, die Minderheiten darin spielen, sind von großer Bedeutung. Wichtig war mir, dass der Film jene repräsentiert, und zwar in einer ungewohnten Art und Weise, die die reduzierende Darstellung in Mainstream Medien und Filmen herausfordert und sich unpassenden Narrativen und Stereotypen entgegenstellt. Der Film soll Haltungen und Bilder von der Region und den Menschen, die definiert sind von falsch verstandenen Überzeugungen und entstellten Stereotypen, geraderücken.
Nur durch das Hören aller Seiten dieser Geschichten, kann wirkliches Verständnis für den Ort, die Menschen, deren Träume und Sehnsucht nach Würde, Gerechtigkeit, Demokratie und Selbstbestimmung entstehen.
Arbeiten Sie gerade an einem neuen Projekt?
Wir sind in der finalen Phase der Post-Produktion unseres dritten Spielfilms. „Between Heaven and Earth“ ist eine Geschichte über Liebe und Scheidung in Palästina.
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