Vielen herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für unser Gespräch genommen haben. Darf ich Sie bitten, etwas über Ihren familiären und beruflichen Hintergrund zu erzählen?
Ich wurde im Jahr 1980 in Beit Jalla in einer christlichen Familie geboren und habe zwei Brüder und eine Schwester. Meine Familie stammt ursprünglich auch aus Beit Jalla, nur hat mein Großvater vor 1948 in Ramleh, im heutigen Israel, gelebt und gearbeitet. 1948 musste er, so wie Hunderttausende andere Palästinenser, flüchten und kam zurück nach Beit Jalla, in seine ursprüngliche Heimat. Das ist auch der Grund, weshalb ich bis heute den Flüchtlingsstatus innehabe. 1988, während der ersten Intifada, wurde mein Vater von der israelischen Armee ermordet. Meine Mutter stand plötzlich mit uns vier Kindern alleine da. Sie hatte keine Arbeit, kein Geld, keinen Mann. Um die Familie durchzubringen mussten mein älterer Bruder und ich nachmittags nach der Schule auch arbeiten gehen. Meine Mutter arbeitete nach dem Tod meines Vaters als Näherin.
Mit 18 habe ich an der deutschen Schule Talitha Kumi in Beit Jalla mein „Tawjihie“, also die Matura, gemacht und begann ein Studium im Fach Hotelmanagement an der Bethlehem Universität. Nach einem Jahr brach ich dieses Studium jedoch ab und bekam die Möglichkeit, in Deutschland zu studieren. Ich habe dann Sozialpädagogik und -management an der Dualen Hochschule in Heidenheim in Baden-Württemberg studiert. Insgesamt habe ich daher sieben Jahre in Deutschland gelebt, bevor ich im Jahr 2007 nach Dubai ging, um dort zu arbeiten. Nach einem Jahr wurde jedoch meine Arbeitsgenehmigung in Dubai nicht verlängert und ich musste zurück nach Palästina. Seit 2010 arbeite ich in Bethlehem im Caritas Baby Hospital und leite dort die Abteilung für Medien- und Öffentlichkeitsarbeit.
Wie sind Sie zur Malerei gekommen?
Eigentlich habe ich fast schon mein ganzes Leben gemalt und wollte schon immer Künstler werden. Die Malerei habe ich von meinem Vater geerbt, auch er war Künstler. Ich bin ein autodidaktischer Maler, das heißt, ich habe mir alles selbst beigebracht, durch Beobachten und Experimentieren. Die Erlebnisse und Erfahrungen in meinem Leben spiegeln sich in meiner Kunst wider und haben mich zu dem Künstler gemacht, der ich heute bin.
Haben Sie künstlerische Vorbilder?
Als kleines Kind hatte ich Künstlerkataloge von Salvador Dali, Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Paul Cezanne, die mich sehr fasziniert haben. Heute begeistern und faszinieren mich die Werke von Gerhard Richter, aber auch von Jean-Michel Basquiat, der sehr jung gestorben ist, aber wie ich ein autodidaktischer Künstler und für mich sehr einzigartig in seiner Kunst war.
Was möchten Sie mit Ihrer Kunst ausdrücken? Wo liegt Ihr Schwerpunkt?
In erster Linie versuche ich meine Gefühle und Emotionen auszudrücken. Ich versuche, meine Umgebung zu verstehen, die Entwicklung von unserer Kultur und unserer Gesellschaft, und drücke das alles mit meiner Kunst aus. Ich bin auch sehr kritisch, sowohl mir selbst als auch meiner Gesellschaft gegenüber. Ich versuche aufzuzeigen, dass nicht alles, was in unserer Gesellschaft schiefgeht, immer auf die israelische Besatzung zurückzuführen ist, sondern dass auch wir manchmal mitverantwortlich sind. Ich bearbeite nicht, wie viele palästinensische Künstler, den Israel-Palästina-Konflikt, sondern mein Schwerpunkt liegt auf gesellschaftlichen und kulturellen Problemen und Missständen innerhalb der palästinensischen Gesellschaft. Das löst bei vielen Unverständnis aus und ich stoße mitunter auch auf große Kritik, doch sehe ich gerade darin meine Herausforderung.
Sie haben auch am Dar Al Kalime College Kunst unterrichtet. Haben Sie das Gefühl, dass künstlerische Tätigkeiten, künstlerischer Ausdruck jungen Menschen ermöglicht, ihr Leben unter israelischer Besatzung besser zu meistern?
Vor einem Jahr musste ich musste ich meinen Unterricht am College beenden, da mir neben meiner Arbeit im Caritas Baby Hospital und meinem derzeit laufendem Kunstprojekt keine Zeit dafür blieb. Trotzdem kann ich aufgrund meiner Erfahrungen sagen, dass Kunst ein außerordentlich wichtiges Instrument für die Menschen ist, um bestimmte Situationen zu verarbeiten. Insbesondere bei der Auswahl der Themen und der Ausdrucksmethoden konnte man dies gut bei den Studenten und Studentinnen beobachten. Die vorherrschende Realität und die Lebensweise von Palästinensern beeinflussen ganz stark die Werke der jungen Studenten. Die meisten jungen Künstler behandeln in ihren Werken den Israel-Palästina-Konflikt.
Ist Kunst und Kreativität für Sie auch eine Form des friedlichen Widerstands?
Natürlich, denn kreativ zu sein ist an sich schon Widerstand. Die Tatsache hier zu leben und zu arbeiten ist für mich jedoch auch Teil dieses Widerstandes.
Was sind Ihre alltäglichen Schwierigkeiten im Leben unter israelischer Besatzung?
Ich bin jetzt 35 Jahre alt. Außer den sieben Jahren, die ich in Deutschland gelebt habe, habe ich mein ganzes Leben unter Besatzung verbracht. Aufgrund der sieben Jahre im Ausland habe ich kennengelernt, was es heißt, als Mensch frei zu sein – uneingeschränkte Bewegungsfreiheit zu haben, nicht unter ständiger Kontrolle zu leben, nicht unter diesem enormen psychischen Druck zu stehen und mit der Angst zu leben, nicht zu wissen, was als nächstes passieren wird, vor allem jedoch auch hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen – und ich weiß eben auch, was es heißt, unter israelischer Besatzung zu leben. Ich versuche, nicht immer an den Konflikt und die damit verbundenen Probleme zu denken, aber die Wirklichkeit holt einen ständig ein. Es stellt sich mir die Frage, wo mein Recht, als Mensch gesehen und auch als solcher behandelt zu werden, geblieben ist.
Sind Sie nach wie vor optimistisch bezüglich einer friedlichen Lösung des Konflikts?
Derzeit nicht. Solange sich die politische Lage so weiterentwickelt wie bisher, sehe ich eine dunkle Zukunft fuer unser Land.
Können Sie ein paar Worte zur palästinensischen Künstler-Community sagen?
Die größte Künstler-Community gibt es in Ramallah. Dort gibt es auch Galerien und Kuratoren, die die Künstler unterstützen. Ich lebe jedoch in Beit Jalla, durch die Besatzung und den daraus resultierenden Schwierigkeiten, nach Ramallah zu fahren, ist es nicht einfach für mich, einen regen Austausch mit der Community dort aufrechtzuerhalten. Immerhin habe ich jedoch in Bethlehem zwei sehr gute Freunde, die auch im künstlerischen Bereich tätig sind und mit denen ich mich regelmäßig treffe und austausche - wir diskutieren dann sehr kritisch über Kunst, Gesellschaft, den Konflikt und unsere Erfahrungen.
Welche Ihrer Ausstellungen war für Sie persönlich besonders wichtig?
Meine letzte Ausstellung „a new state of mind“, die sich mit meinen inneren Konflikten beschäftigt und in meiner Heimatstadt Beit Jalla in der ehemaligen Nähwerkstatt meiner Mutter stattgefunden hat.
Was verbinden Sie mit Österreich?
Meine Frau ist Österreicherin, wir sind seit einem Jahr verheiratet und leben gemeinsam in Beit Jalla. Und Mozartkugeln.
Wovon träumen Sie?
Ich träume davon, mit meiner Kunst die Menschen zu erreichen.
Kontaktinformationen:
Emailadresse: bashir.qonqar@crb-mail.org